“Ich glaube, keiner, der so was nicht selbst erlebt hat, kann sich vorstellen, was das mit dir macht, wenn die anderen dir jeden einzelnen gottverdammten Tag zu verstehen geben, dass sie dich zum Kotzen finden und dass du nicht dazugehörst. So was macht alles in dir kaputt, bis du selbst anfängst zu glauben, dass du scheiße bist.“ (Astrid Frank, Unsichtbare Wunden, S.282 f.)
In dem Buch „Unsichtbare Wunden“ von Astrid Frank geht es um die 14,5-jährige Anna, die bei einem Reit-/Verkehrsunfall verunglückt ist und ihr vorheriges Leben seit Erhalt ihres Tagebuches sowie um die anschließende Bewältigung ihres Todes durch Vater, Klassenkameraden und Freunde.
Dabei besteht das Buch abwechselnd aus Tagebucheinträgen von Anna (begonnen an ihrem 13. Geburtstag bis einen Tag vor ihrem Tod) und einer an den Tod anschließenden Erzählung.
Die Tagebucheinträge geben dabei darüber Aufschluss, dass Anna zu Anfang von einer kleineren Gruppe ausgeschlossen wurde, was sich später zu einem systematischen Mobbing entwickelte und unter welchen Gefühlen Anna währenddessen litt.
*Meine Meinung*
Während ich zu Anfang den Einstieg noch sehr gekünstelt fand („Bis Morgen, liebes Tagebuch, schlaf gut“) änderte sich dies mit fortschreitender Geschichte. Immer mehr gewann ich den Eindruck, dass die Autorin entweder ein sehr gutes Einfühlungsvermögen, sehr gute Recherche geleistet haben musste oder aber, dass sie aus eigener Erfahrung berichtete, da manche Gedanken so haargenau jenen entsprechen, die man in real stattfindenden Situationen der Ausgrenzung und des Mobbings tatsächlich hat, dass man sich auch leicht als Betroffene in den Schilderungen wiederfinden kann.
Ich persönlich empfinde daher der Autorin gegenüber großen Respekt, da mir das mit bisher keinem anderen Buch über das Thema „Mobbing“ so ergangen ist.
Besonders schön und eindrucksvoll finde ich auch, dass die Autorin den Verlauf (und damit „Beginn“) des Mobbings beschreibt, ohne ein konkretes Ereignis heranzuziehen (sofern man die Neue in der Klasse ausklammert). In dieser Geschichte gibt es kein einzelnes konkretes Erlebnis (auch in dem Buch schreibt die Autorin später treffend: „Es macht ja nicht peng und alles ist anders, sondern es wird Stück für Stück schlimmer“), es fügten sich verschiedene Ereignisse zusammen, die sich wiederum verstärkten und zu dem Mobbing führen, und ich hatte zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, dass die Geschichte unrealistisch wäre (wie es oft gerade bei solchen Thematiken ist, wenn der Protagonist meint, dass ALLE gegen einen gerichtet wären).
Ganz im Gegenteil: Ich habe starkes Mitleid mit dem Vater, dessen Tochter verstorben war, gespürt. Ich habe die sanftmütige Seite an Anna geliebt, mit der sie zu Anfang vorgestellt wird – wie sie im Herbst mit ihrem Pferd durch den Wald reitet. Ich habe mich auch in den Äußerungen der Klassenlehrerin wiederfinden können – diese waren zu keinem Zeitpunkt übertrieben oder abgehoben, sondern so, wie sie tatsächlich in Schulklassen stattfinden können (und teilweise tun). Und ich konnte Annas Situationen nachvollziehen – das plötzliche Zittern und die „Panik“, die entsteht, wenn jemand lacht, selbst Personen, die einen nicht mal kennen oder gar beachten.
Besonders gelungen finde ich auch das Ende – es ändert sich nach dem Tod bzgl. des Mobbing nichts. Es findet weiter statt, es gibt nun andere, auf die es abzielt, es scheint nicht unbedingt einen Lernerfolg zu geben, manche der „Täter“ fühlen sich dafür nicht einmal verantwortlich, und es werden auch keine Menschen (dafür) bestraft – wie es in der Realität auch oft der Fall ist.
*Fazit*
Ein absolut gelungenes Buch, das die ganze, schleichende Entstehung von Mobbing beschreibt, und wie dieser Prozess denjenigen, gegen den es gerichtet ist, immer weiter zersetzt.
Das ist das erste Buch, bei dem ich persönlich das Gefühl hatte, dass es wirklich zu Recht mit einem Literaturpreis ausgezeichnet worden ist! Großer Respekt vor der Autorin und vor dieser Leistung!
*Erschienen beim Verlag Freies Geistesleben*
Autorin / Autor: khyona - Stand: 28. September 2018