Ein abgelegenes mystisches Haus im Wald, das von allen Ortsansässigen gemieden wird und ein mutiges, keckes Mädchen, das sich hineintraut… Das alles klingt für dich wie ein Standardanfang für einen schlechten Horrorfilm oder Thriller? Mag sein, aber „Hyde“ von Antje Wagner hat es faustdick hinter den Ohren und ist ein Roman, den vielleicht nicht jeder mögen wird, der aber in jedem Fall nicht gewöhnlich und schon gar nicht langweilig ist.
Hyde wurde noch in diesem Jahr im Beltz&Gelberg Verlag Weinheim veröffentlicht. Antje Wagner wurde 1974 geboren, lebt in Hildesheim und studierte deutsche sowie amerikanische Literaturgeschichte und Kulturwissenschaften. 2012 zählte sie zu den 20 besten deutschsprachigen Autoren unter 40 Jahren und mit Hyde hat sie 2018 einen neuen Treffer gelandet.
Das Buch erzählt die Geschichte von Katrina, die gerade volljährig geworden ist und als Tischlerin auf der Walz unterwegs ist und somit für ihre handwerklichen Tätigkeiten nicht bezahlt wird. Stattdessen wird ihr eine Unterkunft gestellt. Ständig wechselt sie also sowohl Job als auch Unterkunft und stößt so auf immer neue Arbeitgeber. Unter diesen ist auch ein ziemlich unverschämter Lokalbesitzer, der sie erniedrigt, in eine hautenge Uniform zwingt und den lieben langen Tag Essen servieren lässt, anstatt ihr die Chance zu geben, ihre handwerklichen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Nach kurzer Zeit entscheidet sich Katrina zwangsläufig für eine Flucht mit dem Auto ihres Arbeitgebers und landet kurzer Hand in der Nähe eines sehr abgelegenen Hauses im Wald, das von allen Ortsansässigen gemieden wird. Sie wird die neue Verwalterin des Hauses und bringt es Stück für Stück auf Vordermann.
So viel und nicht mehr zum Inhalt des Buches, das immer wieder zwischen Katrinas Vergangenheit mit ihrer Schwester und ihrem Vater sowie der Gegenwart hin- und herspringt. Bevor man das Buch aufschlägt und beginnt zu lesen, sollte man auch gar nicht mehr wissen, es macht sogar mehr Spaß, nach und nach die Geschichte und Welt Katrinas zu erkunden, langsam zu begreifen, worum es eigentlich geht. Fragen nach Hyde, nach ihrer Familie, Vergangenheit und ihrer bruchstückhaften Erinnerung häufen sich während des Lesens an und werden erst im Verlauf des Buches beantwortet.
Mir persönlich hat Hyde von Antje Wagner sehr gut gefallen, sowohl das Cover als auch der Titel sind ansprechend und bewegten mich dazu, das Buch zu lesen.
Die Beschreibung zum Buch bleibt ungenau und unvollständig, was in diesem Fall ein klarer Pluspunkt ist, da so die Spannung nicht genommen wird und die Neugier geweckt wird. Abgesehen davon entwickelt sich auch die Geschichte so, dass man stets neugierig bleibt. Das Ende ist unerwartet und die Idee kreativ und gut umgesetzt, wenn auch manche Absätze zu poetisch und esoterisch ausfallen mögen. Ich bin ein Fan von Metaphern, aber eine bestimmte ausdrucksstarke Metapher, die das Haus betrifft, ist mir persönlich doch zu unrealistisch.
Dafür gefallen mir vor allem die Hauptcharaktere sehr gut, sie sind schön ausgestaltet und besonders Katrina ist interessant, und als Tischlerin alleine unterwegs zu sein, ist meiner Meinung nach mal eine alternative Lebensweise, die gezeigt wird (da sie ja auch eine Frau ist und leider viel zu wenige Frauen handwerklichen Tätigkeiten beruflich nachgehen und sich in die „Männerdomäne“ hineintrauen). Leider hat mir ihre Mutter hingegen überhaupt nicht gut gefallen und das nicht, weil sie generell ein unsympathischer Charakter ist, sondern weil sie ein durch und durch stereotyper Charakter ist. Viel zu laut, hysterisch und anstrengend – ein stark überzeichnetes Bild.
Die vielen Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart, man kann schon von zwei Handlungssträngen sprechen, sind interessant, aber teils auch anstrengend. Von Zeit zu Zeit habe ich mich selbst dabei erwischt, wie ich Absätze übersprungen habe, nur um inhaltlich bei z.B. einem Teil aus ihrer Vergangenheit weiterlesen zu können. Das flüssige Lesen bleibt somit schwierig und kann nur durch den angenehmen Schreibstil gerettet werden, der wirklich mein absoluter Favorit im Buch war! Ebenfalls positiv zu nennen ist, dass es keine klassische Liebesgeschichte in diesem Roman gibt, endlich einmal wieder ein Buch, das ohne eine Dreiecksbeziehung auskommt. Die Heldin des Buches verliebt sich nicht unsterblich in einen verarmten Jungen aus einer niedrigeren Bevölkerungsschicht, sondern steht für sich. Die einzige Liebesbeziehung, die in Hyde zu beobachten ist, ist die zwischen Katrina, ihrer Schwester und ihrem Vater.
Negativ anzumerken ist, dass die Handlung teils unverständlich bleibt und auch manche Handlungen wie die Racheplanaktion, zu erwarten waren (bzw. auch der letztendliche Ausgang dieses Plans).
Dennoch ist Hyde eine Empfehlung für alle, besonders für Jugendliche ab etwa 13 Jahren. Ich behaupte, es spricht eher Mädchen als Jungs an und eignet sich für anspruchsvolle Romanliebhaber mit einem Herzen für Metaphern und einen poetischen Schreibstil.
„Fragen stellen war gut. Sie zu beantworten, konnte gefährlich werden.“ – Noch Fragen? Dann lies selbst hinein und komme den Antworten in Hyde auf die Spur!
*Erschienen bei Beltz*
Autorin / Autor: anker99 - Stand: 13. August 2018