Blauer Himmel, weiße Wolken, die Schatten eines Mädchens und eines Jungens, die sich gegenüber stehen, drei Luftballons, die Er in der Hand hält … ein malerisch-kitschiges Cover? Nun, wäre da nicht dieses eine bestimmte Detail, läge diese Assoziation wohl nahe. Jedoch befindet sich auf dem Cover zu Josh Sundquists Jugend-Reality-Roman ein gelber Kreis. Dieser ist hinter die Luftballons gelegt, sodass sie das Blindensymbol bilden. Denn genau das ist der entscheidende Unterschied zwischen diesem Roman und anderen Jugendbüchern.
Der Protagonist und Ich-Erzähler William, genannt Will, ist von Geburt an blind. Unter Farben und Bildern kann er sich rein gar nichts vorstellen. Das macht erwartungsgemäß verschiedene Probleme, mit denen Sehende und auch Erblindete, nicht konfrontiert werden.
Aber Will möchte vor allem eins: In der Welt der Sehenden bestehen können. Deshalb wechselt er von seinem „sicheren“ Blindeninternat an eine ganz normale High School und verweigert sich dort einer Betreuerperson. Denn was wäre der Sinn, an eine normale Schule zu gehen, wenn man dort auch nur auf altbewährte Hilfen zurückgreift? Wenn man auch dort abhängig ist? Er verzichtet darauf und sieht sich konfrontiert mit Mitschülern, die seine Lage nicht nachvollziehen können, mit der Peinlichkeit, die falsche Toilette zu benutzen (Was sind die auch direkt nebeneinander?) und am schlimmsten: mit Mitleid.
Dennoch läuft es eigentlich ganz gut – er findet Freunde im Quizteam der Schule, Nerds, die wie er selbst irgendwo fehl am Platz sind, und er verliebt sich in Cecily. Cecily, die Bilder in Töne übersetzt und ihm so Kunst erklären kann – etwas, das er bisher nie kennenlernen konnte. Und gerade, wo er in seiner blinden Welt eigentlich recht zufrieden sein könnte, erhält er eine Chance: durch eine OP das Augenlicht erhalten. Zum ersten Mal sehen, die Welt in Bildern erleben können! Wenn es nur so einfach wäre … die plötzliche Sehkraft birgt eigene Risiken. Sind die „Bilder“, die er in seinem Kopf hat, von seinen Mitmenschen, von der Welt, nicht vorbestimmt ihn zu enttäuschen?
Josh Sundquist schafft einen beeindruckenden Roman, der in so vielen Punkten mutig ist. Zum einen, wie oft stoßen wir schon auf ein Buch, dessen Protagonist auf optische Beschreibungen verzichten muss? Ich war gleichermaßen beeindruckt und überrascht, wie gut die Geschichte auch ohne all diese Bilder funktioniert – der Leser ist praktisch im gleichen Sinne blind wie Will, ohne dass es negativ aufstoßen würde. Viel mehr wirkt die Geschichte sehr realitätsnah und der Autor geht mit sehr viel Sensibilität vor, um die Emotionen und Situationen des Protagonisten greifbar und verständlich zu machen. Mutig ist aber nicht nur die Wahl der Hauptfigur, auch die Hauptfigur selbst ist mutig – denn an der Blindenschule zu bleiben wäre definitiv einfacher gewesen, als der Kampf, in der Sehenden-Welt zu überleben. Doch am meisten Mut schreibe ich dem Plot zu, da mich dieser wirklich berührt und auch lange nach dem Lesen noch beschäftigt hat: der Konflikt aus einer Welt des bildlichen Nichts in die volle Ladung visuelle Information zu treten, das Zusammenspiel aus Hoffnung, Angst, Wut. Dem Autor ist es gelungen, das nicht nur zu beschreiben, sondern fühlbar zu machen und man kommt nicht umhin, seine eigene Position zu überdenken, sich zu fragen „Wie wäre es für mich? Wie würde ich damit umgehen?“.
Dieser Roman hat meinen tiefsten Respekt, und ich kann und möchte ihn nicht in seine Einzelteile zerlegen. Ich möchte ihn aber jedem ans Herz legen, da es sich hier um eine psychische und literarische Bereicherung für jeden, ob sehend oder nicht, ob jung oder alt, handelt. Definitiv schon mal ein Anwärter auf der Liste zum Top-Read des Jahres!
Autorin / Autor: cheshirekitty - Stand: 2. März 2018