Tankstellenchips

Autorin: Antonia Michaelis
Einbandgestaltung von Kathrin Schüler

Ein Heldenepos! Damit legt schon der Titel die Latte hoch. Und doch ist Antonia Michaelis‘ neuester Roman genau das – skurrile, witzige, turbulente und doch bisweilen bemerkenswert tiefgängige und schmerzlich ehrliche Road Novel mit ebenso schrägen wie liebenswerten Protagonisten und einer Handlung, die sich genau dann immer wieder fängt, wenn sie gerade ein wenig zu sehr ins Absurde umzuschlagen droht ... Kurz: ein grandioses und atemloses Lesevergnügen, das nachdenklicher macht, als man erwartet, und dabei doch nichts seiner Leichtigkeit einbüßt.

Alles beginnt damit, dass der achtzehnjährige Shayan – als Flüchtling aus dem Iran noch nicht lange in Deutschland und gegenwärtig in einem Flüchtlingslager auf Usedom untergebracht – durch einen unglücklichen Zufall Zeuge eines Einbruchs und Mordes wird und bei seinem Versuch, zu helfen, nicht nur versehentlich die Waffe in die Hand nimmt, sondern auch noch mit den Tätern Bekanntschaft macht. Er muss fliehen, doch das nicht allein: Ebenfalls beobachtet hat das Geschehen Heimkind Davy, der gerade wieder einmal ausgebüxt ist und sich Shayan kurzerhand anschließt. Er nennt ihn Sean und schleicht sich ganz unversehens in dessen Herz, und ehe die beiden so recht wissen, wie ihnen geschieht, stecken sie mitten drin in ihrem Abenteuer und ihrer Reise quer durch Deutschland.
Sean nämlich hat ohnehin vorgehabt, eine Internetbekanntschaft in Köln aufzusuchen, da ihm die Abschiebung droht und er die Hilfe eines Anwalts braucht, und Davy will angeblich zu seinem dort lebenden Vater. Tatsächlich aber ändern sich Ziele und Pläne der ungleichen Freunde beinahe schneller, als man schauen kann, und so verschlägt es sie zu Fuß, zu Pferd oder trampend, mit dem Schiff, auf dem Rad oder im Heißluftballon über Berlin nach Köln, von Heidelberg nach Augsburg und weiter in Richtung München. Sie machen Bekanntschaften, werden ausgeraubt und von den echten Mördern verfolgt, erfahren unverhoffte Unterstützung und erleben immer wieder abstruse Zufälle und Schicksalsmomente – bei denen nicht selten die ein oder andere Kuh eine Rolle spielt.

Antonia Michaelis erzählt mit beeindruckender Leichtigkeit, nimmt durch Seans Augen die Deutschen und ihre Marotten und Widersprüche entwaffnend ehrlich und zugleich ebenso liebevoll augenzwinkernd wie augenöffnend in den Blick und verpackt etwa in Form von Davys – zweifellos seiner bildungsfernen Sozialisierung geschuldeten – Sprachfehlern eine subtile Gesellschaftskritik, die in keiner Weise den Spaß an der Lektüre trübt und so umso besser anzunehmen ist. Wortwitz und Freude am Spiel mit der Sprache sprühen aus jeder Seite, und bei aller Überspanntheit mancher Szenen und Entwicklungen machen Originalität und Ideenreichtum der Handlung den Roman doch vor allem zu einem wahrhaft grandiosen Lesevergnügen.

Das Ende sei hier noch nicht verraten, aber eines ist gewiss: Der Weg dorthin ist das Ziel, und diese (Lese-)Reise lohnt sich allemal!

*Erschienen bei Oetinger*

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Autorin / Autor: Fabienne - Stand: 13. August 2018