53 Mal am Tag das Handy aktiviert
Forscher glaubt, dass Smartphones abhängig, unproduktiv und unglücklich machen
Hallo, jemand zu Hause? Wäre man ein Smartphone, so dürfte man vermutlich permanente Aufmerksamkeit genießen. Im Durchschnitt aktivieren wir 53 Mal am Tag unser Handy und unterbrechen alle 18 Minuten eine Tätigkeit, mit der wir gerade beschäftigt sind, nur um uns unserem Smartphone zu widmen. Smartphones machen abhängig, unproduktiv und unglücklich: Das ist das Fazit von Alexander Markowetz, Forscher der Universität Bonn. Der Juniorprofessor für Informatik hat mit Hilfe einer App die Handy-Nutzung von 60.000 Personen ausgewertet. In seinem Buch “Digitaler Burnout” erklärt der Forscher die Zusammenhänge und beschreibt die Folgen für unser Privatleben und die Arbeitswelt.
*Smartphone-Apps funktionieren wie Glücksspielautomaten*
Rund 300.000 Personen haben mittlerweile die App “Menthal” heruntergeladen, die im vorigen Jahr von Informatikern und Psychologen der Universität Bonn zu Forschungszwecken entwickelt wurde. Die App zeichnet die Smartphone-Nutzung auf und übermittelt die Daten anonymisiert an die Server der Forscher. Die Auswertung zeigt, wie selbstverständlich die meisten Menschen zum Smartphone greifen und es nicht mal 30 Minuten unberührt lassen können. „Smartphone-Apps funktionieren wie Glücksspielautomaten. Wir betätigen sie immer wieder, um uns einen kleinen Kick zu holen”, sagt Alexander Markowetz.
Das Verhalten sei kein exklusiver Tick der Jugend, sondern ziehe sich durch alle Altersgruppen und soziale Schichten. „Wir erleben die Entstehung des Homo Digitalis, der einen Großteil seiner Tätigkeiten mittels digitaler Medien abwickelt“, sagt Markowetz. „Ein Großteil der Zeit verbringen die Menschen mit Social Media-Anwendungen wie Facebook, WhatsApp und Spielen.“
*Erfahrung von Flow verhindert*
Dramatisch seien dabei besonders die ständigen Unterbrechungen. Sie erlaubten es nie, sich einer Tätigkeit vollauf zu widmen, und verhinderten damit jede Erfahrung von Flow. Die Folgen seien Unproduktivität und ein mangelndes Glücksempfinden.
Besonders Jugendliche sind extrem auf ihr Handy fixiert. Die 17- bis 25-jährigen Teilnehmer der Studie nutzten ihr Smartphone noch häufiger - insgesamt drei Stunden. Und das, obwohl ein Großteil ihrer Zeit bereits durch Schule oder Ausbildung in Beschlag genommen ist.
Auch die Wirtschaft habe noch nicht erkannt, was auf sie zukomme. „Derzeit reagieren viele Unternehmen mit ungeeigneten Maßnahmen”, sagt Markowetz. Zahlreiche Konzerne würden dem Zeitgeist folgen, ihre Mitarbeiter mit Tablets und Smartphones ausstatten und ihnen völlige Flexibilität ermöglichen – und so Abhängigkeit und Burnout-Gefahr verstärken. Der Produktivitätsverlust sei immens, und die Krankheitswelle werde sie teuer zu stehen kommen.
Andere Unternehmen würden zwar abends die berufliche Smartphone-Nutzung unterbinden - etwa indem sie E-Mail-Server abstellen. Dies führe aber am eigentlichen Problem vorbei, so der Forscher der Universität Bonn. „Entscheidend sind die ständigen Unterbrechungen im Arbeitsalltag und weniger die abendliche E-Mail.”
*Das Schlafzimmer wird zur Handy-freien Zone*
Es gehe Markowetz nicht darum, Smartphones abzuschaffen oder zu verteufeln. „In einem ersten Schritt haben wir die Geräte geschaffen, in einem zweiten müssen wir uns nun gesunde Umgangsformen angewöhnen“, so der Forscher. Während es etwa in Fragen der Ernährung eine riesige Auswahl an Diäten gebe, seien zum Umgang mit dem Internet so gut wie keine praktischen Hilfen vorhanden. Aufklärungskampagnen, Forschungsprojekte oder politische Initiativen seien bisher Mangelware.
Einen Ausweg zeigen erste Vorreiter aus den USA. Dort seien es genau die digitalen Eliten, die nun anfingen, sich digitale Diäten aufzuerlegen. „Die permanente Smartphone-Nutzung ist ein unterbewusster Reflex”, sagt Markowetz. Die Automatismen könne man durch konkrete Techniken loswerden. Etwa, indem man das Schlafzimmer zur Handy-freien Zone erkläre oder die Regel aufstelle, das Smartphone nur auf einem unbequemen Küchenschemel zu nutzen.
Doch der Mensch ist nicht alleine auf der Welt, und nicht alle Unterbrechungen sind selbstverschuldet. Daher, so Markowetz, müssten wir beginnen, in unserer Kommunikation gegenseitig Rücksicht aufeinander zu nehmen und uns eine neue Kommunikationsetikette auferlegen. Und beide Kulturtechniken, Diäten wie Etikette, müssten bereits in der Schule vermittelt werden.
Die Smartphone-Nutzung sei nicht das Ende der Entwicklung, sondern erst der Anfang. Schon jetzt werde das Internet in Spielzeug, Brillen und Uhren integriert. Markowetz: „Wir brauchen dringend eine gesellschaftliche Debatte und einen interdisziplinären Austausch in der Wissenschaft, um zu verstehen, was die Digitalisierung mit unseren Psychen macht.”
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Bloß nicht übertreiben! Vom Smartphone verführt
Autorin / Autor: Redaktion/ PM - Stand: 2. Oktober 2015