Astrid: *Was arbeitest du, was genau macht die „Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus“?*
Catharina: Das Projekt Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin, kurz MBR, gibt es seit bald vier Jahren. Wir unterstützen alle, die etwas gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus tun wollen. Das können Jugendliche, Bürgerinitiativen, Schulen und auch ganze Bezirke sein. Unsere Arbeit besteht darin, Leute über Organisations- und Erscheinungsweisen von Rechtsextremismus zu informieren und wir beraten sie zu Vorgehensweisen im Umgang mit den rechtsextremen Problemlagen direkt vor Ort - also „vor der eigenen Haustür“, in der eigenen Schule, im Betrieb usw. Neben dieser nachfrageorientierten Arbeit begleiten wir Berliner Bezirksämter bei der Umsetzung von langfristigen Strategien.
Astrid: *Warum seid Ihr mobil?* Catharina: Damit Aktionen gegen Rechtsextremismus wirksam und den jeweiligen Problemen angemessen sind, fahren wir zu den Leuten hin, die Rat bei uns suchen. Mobil zu sein ist auch deshalb wichtig, weil es keine einfachen Rezepte gegen Rechtsextremismus gibt und wir von der Schüler/inneninitiative, über das Jugendamt bis zur kommunalen Politik ja in sehr unterschiedlichen Arbeitsfeldern beraten und die Probleme deswegen auch sehr verschieden sein können. Mit den Menschen vor Ort, in Gesprächen und Beobachtungen versuchen wir eine möglichst genaue Analyse des Problems vorzunehmen und die Maßnahmen, Aktionen dann darauf abzustimmen. So ist z.B. nicht jeder Jugendclub gleich, und die Menschen, die dort hingehen sind auch sehr verschieden und trauen sich unterschiedliche Sachen zu. Da ist es sehr wichtig, die Konstellationen vor Ort zu kennen und an diesen Möglichkeiten vor Ort anzusetzen, damit die Leute die Sache selbst in die Hand nehmen und auch ohne uns weitermachen können.
Astrid: *Welche Fälle kommen konkret vor, gibt es Jugendliche, die zu euch kommen, weil sie sich von Rechten bedroht fühlen?* Catharina: Ja, das ist schon öfter vorgekommen. Zum Beispiel: Ein paar Punks wurden regelmäßig auf dem Schulweg und auf den S-Bahnhöfen von rechtsextremen Gleichaltrigen bedroht und zusammengeschlagen. In solchen Fällen vermitteln wir Unterstützung durch die Opferberatungsstelle ReachOut, die auch beim Gang zur Polizei oder bei Gerichtsverfahren begleiten kann. Darüber hinaus hat die MBR in diesem konkreten Fall geholfen, einen Unterstützerkreis aus Eltern sowie einen Runden Tisch zu gründen, an dem Leute aus dem Ortsteil und auch der Bezirksbürgermeister teilnehmen. Dieser Kreis will die Problematik vor allem nachbarschaftsbezogen angehen und diskutiert, was sich auf der Straße, im so genannten öffentlichen Raum verändern muss, damit sich keine „Angstzonen“ entwickeln. Prinzipiell gilt: In konkreten Bedrohungssituationen solltest du immer Dritte hinzuziehen und es ist wichtig, ein Netzwerk von Unterstützer/innen aufzubauen. Das können Familienangehörige sein, aber auch Lehrer/innen oder ältere Mitschüler/innen. Hierbei können wir die Betroffenen beraten und unterstützen.
Astrid: *Kommt ein/e Schulleiter/in, der/die sagt: wir haben ein Problem, z.B. andauernd Hakenkreuz-Graffiti? Und vor allem: Was macht ihr dann?* Catharina: Die Fälle, die wir bearbeiten sind sehr verschieden. Ein einzelnes Hakenkreuz erfordert nicht immer die Entwicklung eines ganzen Maßnahmenkatalogs, oft reichen Gespräche aus. Bei den meisten Anfragen, die wir bekommen, handelt es sich aber nicht um einmalige Vorkommnisse oder Einzelfälle. Außerdem gibt es oft sehr widersprüchliche Sichtweisen und Deutungen rechtsextremer Vorkommnisse. Die Wahrnehmungen sind so verschieden, weil die Menschen oft nicht so genau wissen, wo rechtsextreme Gesinnung anfängt und weil sie unterschiedlich von Rechtsextremismus betroffen sind oder damit zu tun haben. Z.B. bestehen an Orten, an denen rechtsextreme Gruppierungen präsent sind, für Schüler/innen sehr viel größere Schwierigkeiten als für Erwachsene und sie sind auch häufiger Betroffene, weil Erwachsene im Alltag in der Regel weniger Berührungspunkte mit diesen Gruppen haben - weder gehen sie in Schulen, noch in Jugendclubs und Diskotheken oder verbringen ihre Freizeit auf dem Dorfplatz oder vorm Einkaufscenter. Oft gibt es aber auch die Tendenz, rechtsextreme Hintergründe bei den „eigenen“ Kindern nicht wahrhaben zu wollen. Schwierig wird es, wenn die Leute selbst Auffassungen vertreten, die mit rechtsextremen Positionen übereinstimmen.
Astrid: *Was könnte also konkret getan werden?* Catharina: Neben dem sofortigen Eingreifen, die auch bei „einfachen“ Hakenkreuzschmierereien wichtig ist, sollte in einer Schule auch langfristig an einer demokratischen Schulkultur gearbeitet werden, in der rechtsextreme Ideenwelten keinen Platz haben. Das kann z.B. im Rahmen von durch Schüler/innen (mit)organisierten Projekten oder Projektschultagen geschehen. Wo Meinungsverschiedenheiten ausgetragen werden, Verschiedenheit akzeptiert wird, haben dumpfe Parolen und Diskriminierung keine Chance. Oft steht am Anfang auch eine Fortbildung der Lehrer/innen zu Rechtsextremismus, zu seinen ideologischen Elementen und aktuellen Erscheinungsformen. Das ist sehr wichtig, weil das Bild von Rechtsextremen oft noch auf glatzköpfige Bombenjackenträger beschränkt wird und die vielen Veränderungen im Outfit, in den Strategien usw. unbekannt sind.
Astrid: *Was rätst du Jugendlichen? Wie kann man mit Situationen umgehen, in denen man etwa angepöbelt wird wegen seiner „linken“ Gesinnung oder weil man „sichtbar“ „anders“ als „durchschnittsdeutsch aussieht“? Wehrt man sich, ignoriert man das?* Catharina: Bei direkten Angriffen, ob verbal oder körperlich, musst du immer darauf achten, dass du Wege aus der Gefahr findest, z.B. Leute, die drum herum stehen, um Hilfe bitten. Auf keinen Fall solltest du dich auf Provokationen einlassen. Das ist leichter gesagt als getan, aber solche Situationen können sonst leicht eskalieren. Es ist wichtig, sich zu wehren und Notwehr ist erlaubt, aber dabei musst du deine Möglichkeiten ganz genau einschätzen. In solchen Situationen wegzulaufen ist besser als verprügelt zu werden. Wenn solche Bedrohungen öfter stattfinden, du Angst hast, bestimmte Orte aufzusuchen oder vermeidest, zu bestimmten Zeiten dort zu sein, solltest du unbedingt andere einweihen und sie auf das Problem aufmerksam machen und Hilfe suchen.
Astrid: *Wohin kann man mit solchen Problemen gehen? Wer kann tatkräftig helfen, etwa auch wenn Lehrer/innen oder Eltern das Problem nicht wahrhaben wollen?* Catharina: Eltern sind wichtig. Du solltest darauf bestehen, dass sie dich unterstützen – egal wie du dich anziehst oder ob du eine „linke“ politische Meinung hast. Wenn Eltern oder Lehrer/innen aber das Problem partout nicht wahrhaben wollen, kannst du dich an die Vertrauenslehrer/innen deiner Schule wenden oder Initiativen an deinem Wohnort. In Ostdeutschland gibt es mobile Beratungsteams wie die MBR, an die du dich wenden kannst, hier kannst du im Internet suchen: http://www.jugendstifung-civitas.org. Projekte gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus findest du auf der Webseite http://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de.
Astrid: *Und was kann ich tun, wenn es an meinem Ort so etwas nicht gibt?* Catharina: Wo es keine mobile Beratung gibt, können Kinder- und Jugendberatungen Ansprechpartner sein. Die von dir Zuhause nächstliegende Anlaufstelle findest du am besten über Suchmaschinen im Internet. Einfach mal die Begriffe >Beratung<, >Jugend< >rechts< und den Ort, an dem du wohnst, eingeben. Es besteht auch die Möglichkeit, dich durch das Jugendamt in deiner Stadt oder Gemeinde beraten zu lassen. Wenn du nicht möchtest, dass deine Eltern erfahren, dass du dich ohne sie beraten lässt, musst du das den Mitarbeiter/innen im Jugendamt sagen. Wahrscheinlich wirst du auch überall dort Gehör für dein Anliegen finden, wo sich alternative Jugendkulturen treffen oder es interkulturelle Angebote gibt. Lass nicht locker und mach auf dich aufmerksam. Da schlage ich auch vor, im Internet zu „googeln“.
Autorin / Autor: Astrid - Stand: 25. Februar 2005