Was bin ich?

Beitrag zum Wettbewerb green poems von Lilith N.E. Diringer, 24 Jahre

Es ist selten, dass jemand darüber nachdenkt wie es mir geht,
wenn er mit mir in Kontakt gerät,
mich bemalt, beschreibt, auf mir herumkritzelt.
Mit dem Geschriebenen einen Anderen bespitzelt –
Vertrauen kann man mir in jedem Fall.
Zwar schmunzle ich manchmal leise vor mich hin, unterdrücke ein mitfühlendes Oh! Beim ein oder anderen Liebesgeständnis,
doch zur Kenntnis
nimmt mich dabei niemand, egal -
ob ich nun bereits zum wiederholten Male auf dem Tisch liege,
oder zum tausendsten Mal das Seufzen des Schreibenden mitkriege.

Es ist selten, dass jemand daran denkt, mich vielleicht ein bisschen voller zu schreiben,
lässt mich viel zu häufig einsam mit zwei, drei viel zu groß geschriebenen Worten verbleiben,
und in den Mülleimer fallen,
sodass mich als nächstes irgendwelche Müllmänner krallen,
und ich rot werde vor Zorn, dass mein volles Potential noch nicht ausgeschöpft wurde.

Einst war ich viel breiter, viel fester auf meinem Untergrund verankert
- als damals noch niemand etwas von mir verlangt hat,
noch Sauerstoff produzierend anstelle des heutigen Papiergeknülle,
prachtvoll, stolz in all meiner Fülle,
im Winter das Knistern, im Herbst das Wehen,
im Frühling beim stummen Sprießen zusehen,
das kann ich heute nur noch indirekt,
wenn ein Amateurpoet sich einmal wieder daran versucht, seiner Geliebten die Jahreszeiten zu beschreiben,
Metaphern für Trennung und Unglück zu vermeiden
was meistens nach hinten los geht.

Ob sie mit dem was ich war überhaupt sind vertraut 
wenn sie nicht im unmittelbaren Umkreis des Waldes gebaut?
Wie sie es reihenweise verneinen
Den Naturmangel auch manchmal beweinen -
kein Wunder, dass man mich nur noch in flacher Faserform kennt,
und mich seltenst bei meinem ursprünglichen Namen nennt.

Nur die Gestressten, die Depressiven,
die den Wettlauf der Gesellschaft nicht mehr genießen,
die beginnen, wieder nach draußen zu gehen,
Kur, frische Luft – und versuchen, die Natur aufs Neue zu verstehen.

Lebendig bin ich gewesen.
Habe den Background zu den Klängen der Vögel gerauscht,
Heute wird nur noch auf mir gelesen,
anstatt meinem wahren Wesen gelauscht.
Das Getrampel der Tiere vollkommen verstanden,
genießen können, die Geräusche der Natur,
Das Neuste von den Pilzen erfahren, die in meinem Schatten einen guten Platz fanden –
und den Flughörnchen dabei zuzusehen, wie sie nach einem Bungi-Jump auf meinen Ästen landen. 

Wir waren weniger geworden in den letzten Jahren, wobei die Zeit so schnell verging.
Weniger vom einen und mehr vom anderen, während ein übler Geruch zwischen uns Bäumen hing.
Vögel hatten früher zwischen meinen weiten Ästen Platz gefunden,
verwendeten mich als Start- und Landeplatz, bauten Nester, um in mir zu leben und benutzten
mich als Übungsschanze, um ihren Nachkommen das Fliegen beizubringen,
und spaßeshalbe mit ihnen um die Wette zu ringen.
Heute begegnen mir Vögel nur noch, wenn ich in eine Grundschulklasse gelange.
Und dort eingesperrt in meinen vier Wänden den Zufall einfange,
dass die Lehrerin gerade das Wort Vogel an ihre Schützlinge vermittelt,
sodass man mich zwanzig Mal mit diesen fünf Buchstaben bekritzelt.

Die Lücken waren größer geworden – mehr Sonne, die mich blendete,
mehr sinnlose Zeit, die ich gesprächspartnerlos verschwendete,
nicht wissend, wie es um meine Zukunft und die der Natur stand
als ich mich ausgemustert, blind und ungeschützt wartend in meiner inzwischen zur Lichtung gewordenen Umgebung wiederfand.

Nur an die Milliarden Tiere dachte ich, als ich letztendlich fiel.
Wie viele Würmer, Käfer, Raupen und Larven
die die Tode von meinen Freunden und mir wohl betrafen,
wie viele unter meinem schweren Körper wohl nun begraben
…kaum zu schätzen. Bereits die ersten Schnitte, die mich in bemerkbar kleinere Stücke zerteilten, spürte ich nicht einmal mehr.
Es ging alles so schnell.
Für einen Baum, der schon so lange lebt,
für den Jahr für Jahr dasselbe vergeht
und 365 Tage nur ein Bruchteil seines Lebens bedeuten - 
zu schnell waren sie dabei das Ende einzuläuten.
 
Von Buntstiften an fettigen Kinderhänden werde ich verunstaltet,
in Grün und Braun in eine Form gefaltet,
die darstellen soll, was ich einmal war.
Werde mit hässlichen Klingen gewaltsam auseinandergerissen,
unachtsam zusammengeknüllt in die Ecke geschmissen,
werde in seltsamen Heftchen zusammengetackert,
von Jugendlichen von Schweißperlen tropfend an Matheaufgaben sitzend beackert,
werde von vorne kariert, von hinten liniert,
diene den Kunststudenten als Blankopapier,
Geschreddert
wurde ich bereits zuvor, mit Sortiermaschinen auseinandergezerrt, zerschmettert,
in einzelne Fasern zergliedert,
betrachte ich mich im Spiegel bin ich angewidert,
wurde gepresst, ausgetrocknet und zusammengepackt,
aufgeladen und ausgeliefert, dabei hat man noch nicht einmal daran gedacht,
dass mir beim Autofahren schlecht werden könnte.

Ich bin das, was verwendet wird, um Büros zu bestücken
und an Christmas in seltsamen Figurformen den Weihnachtsbaum zu schmücken,
mit mir werden Häuser gebaut und Kartentürme bewahre ich vorm zusammenkrachen,
auch Geburtstagskarten kann man aus mir machen!

Dabei werde ich trotzdem dauernd vergessen –kaum jemand denkt an mich.

Doch am Ende – ist es der Windstoß.
Doch der Wind, der mich trägt und entscheidet, wohin ich fliege.
bin immer noch ein Baum – auch wenn ich nicht mehr wie ein solcher wirke,
verbreitet werde ich nun überall in diese Welt
und kann live verfolgen, wie die Menschheit an ihren eigenen Errungenschaften zerschellt.

Autorin / Autor: Lilith N.E. Diringer