Flut in 20 Bildern

Beitrag zum Wettbewerb green poems von M. V. Leicht, 24 Jahre

1. Ein Tropfen am Scheitel, über dir Wolken so dicht wie Parfüm. Übst ungerührte Miene, horchst dem Trippeln, Tropfen auf Kuchen, Geschirr, dein Revers. Es sollte nicht regnen, sagst du bitter. Du verschiebst das mit dem Ring.

2. Ärger über graues Licht. In grauen Decken wärmen, rasch den Keller räumen, ein netter Gruß der Feuerwehr, am Telefon die Floskel: Was ein Wetter.

3. Die Unruhe sickert. Wieso Klopfen am Fenster, wieso Rosenblüten am Boden, wieso grollender Himmel, volle Flüsse, voll lachender Fische, auf Straßen die huschenden Plastikkuppeln, man spricht sich Mut zu, bald sicher Sonne.

4. Wir wärmen uns die Hände am Kamin. Versuche nicht zu zittern, mein Kopf an deine Schulter gelehnt. Willst mich für immer bei dir, ich nicke bequem. Asphalt draußen zu rutschig.

5. Manchmal füllt sich eine Lunge mit Wasser oder eine Ente versteckt den Kopf zu lang oder ein Ast bricht vom Baum oder ein Auto steckt fest. Aber du bist noch da, alles kein Weltuntergang.

6. Vielleicht keine Flut, vielleicht kein Ende, alles gut, vielleicht nur noch wir, ich die scheue Braut, gehe scheu dein Treppchen rauf, wir küssen uns vor feuchtem Himmel, weiße Taube, Liebesflimmern – da springt ein weißer Hai, schnappt die Taube, gackert blöd, mein Kleid wird nass, es schmiegt sich eine Alge um den Schuh.

7. Ölschlick treibt oben auf, es gluckert ein Fisch, hat sich verschluckt, aber nicht schlimm – genug Fische, nicht viele Fischer. Einer wirft vom Hoteldach die Schnur und fängt einen Barsch.

8. Ich höre dein Grummeln, dein die Treppen auf und ab, dein leises Fluchen, gleich wird’s lauter, schnipst die Asche ins Wasser, jetzt ist's auch egal, ich höre dich trocken lachen, aus dem Fenster siehst du einen paddelnden Bieber, immerhin geht’s dem schlechter als dir. Deine Hände sind sauber, deine Hemden gebügelt, lässt dich bedienen, die Treppe wird höher, die Luft oben dünn, windfeste Jacke, zwei Schluck aus der Flasche. Ich höre es rascheln, das Bett wird gerichtet.

9. Dein Rasenmäher summt nicht mehr. Am Golfplatz in den Löchern legen Lachse ihre Larven ab. Ein paar Korallen um den Ball.

10. Wieso kein Land in Sicht, wieso das eigne Bild im Meeresspiegel, wieso Wellen die ein Reh reißen, wieso ein Mäuschen in der Schüssel segelt oder Zement in seinem Mixer oder Reis in einem Kocher oder Krähen auf dem Altbaufenster.

11. Ich blicke nach draußen, die Scheibe beschlägt. Ich frage: Kann Wasser bis zum Himmel steigen? Sind darum alle Sterne weiß wie Gischt?

12. Mikroplastik im Gebiss, es brandet in maschineller Kehle, trinkende Motoren, rostiges Gewebe, zu viel darauf gesetzt. Es steht zum Anschlag, Tiere in schlagenden Gebärden, ein Käfer im Triebwerk. Alles erbricht sich.

13. Wie du immer noch Häkchen setzt. Immer noch dein Glas nachfüllst. Deine Lippen spitzt, den Fahrstuhl nimmst, fünfzigster Stock, wie du immer noch von eins zählst obwohl das Wasser bis zur dreißig steht, wie du alles noch in Ordnung rückst, dein Kopf dir ein großes Rettungsschiff, ich klammere mich fest.

14. Hier ist Flut, hier schlägt es über, über dein Land, deine Villen, Delfine schnattern über den Stil, Krabben tanzen im Garten und Quallen am Parkplatz, für sie ist es Spaß, vielleicht verstehst du es nicht.

15. Ich frage: Wenn es kein Gras gibt, wo geht der Tau hin? Du öffnest das Dach, es wartet dein Schiff, auf deiner Haut glänzt die Nacht und du bist das Land.

16. Bäume recken die Kronen, Wasserstand ihr grünes Kinn, ein Krokodil im Busch, frisst die Leiche eines Gnus. Einer muss ja profitieren, sagst du immer, nur jetzt bist es nicht du. 

17. Luft wird knapp, kaum ein atmendes Blatt, Motoren ächzen in den Wellen, in den Winden, Flugzeug sucht vergeblich Landeplatz, die Berge steinern sich gegen jedes Rad.

18. Du hättest die Welt gern umschlossen wie das Meer, deine weiten Arme, hast nur mich erwischt und wo bist du jetzt? Schiff, schaukelnd, es stürmt. Sintflut sagen manche, aber um die Kirchen schlägt kein Weg.

19. Kein Flugzeugstreifen mehr, kein Vogelflug, kein verirrter Ast. Der Himmel graue Gewalt, schlägt rau auf dich nieder, oben und unten kommen sich näher und sperren dich ein. Wellen über deinem Schiff und in deiner Nase. Du wolltest zum Mars, wo Wasser sich zu benehmen weiß. Jetzt sind wir hier.

20. Schau, jetzt sind wir hier. Ich kneife die Augen und lasse mich treiben.