Akzent = Lüge?
Wie sich unser Gehirn in die Irre führen lässt
Manchmal kann man sich über das eigene Gehirn doch nur wundern... Während wir selbst gern glauben, anderen Menschen vorurteilsfrei zu begegnen, scheint unser Gehirn sehr genau zu unterscheiden, ob es eine Aussage eines anderen Menschen für glaubhaft befindet oder nicht. Die Forscher Shiri Lev-Ari und Boaz Keysar von der University of Chicago haben nun festgestellt, dass Menschen mit einem ausländischen Akzent anscheinend weniger glaubwürdig auf andere Menschen wirken als Muttersprachler.
In ihrem Experiment spielten die Wissenschaftler 30 amerikanischen MuttersprachlerInnen 45 Aussagen von einem Tonband vor. Die eine Hälfte der Behauptungen war richtig ("Giraffen sind Wiederkäuer"), die andere Hälfte gelogen ("Ameisen schlafen nie"). Dabei wurden die gehörten Aussagen mal von Muttersprachlern und mal von Personen mit ausländischem Akzent gesprochen. Beide Gruppen äußerten sowohl wahre als auch falsche Behauptungen.
Nach jedem Satz mussten die VersuchsteilnehmerInnen entscheiden, ob er ihrer Meinung nach stimmte oder nicht.
Und heraus kam: ganz egal, ob der Inhalt der Aussagen wahr oder gelogen war, die Behauptungen der Sprecher mit ausländischem Akzent wurden deutlich häufiger als unwahr bewertet.
Nicht allein auf Vorurteile zurückzuführen
Vor Versuchsbeginn wurden die TeilnehmerInnen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die SprecherInnen ausschließlich für die sprachliche Vermittlung der Aussagen und nicht für deren Wahrheitsgehalt zuständig seien.
Deswegen gehen die beiden Wissenschaftler davon aus, dass das (dennoch diskriminierende) Ergebnis ihres Experiments nicht allein auf mögliche ausländerfeindliche Vorurteile der HörerInnen zurückzuführen ist. Sie glauben vielmehr, dass es etwas mit der Verarbeitung im Gehirn zu tun hat.
*Fehlverarbeitung im Gehirn*
Die Bewertung einer Aussage einer anderen Person ist nicht nur abhängig vom Inhalt, sondern auch davon, wie einfach unser Gehirn sie verarbeiten kann. Fällt ihm die Verarbeitung einer neuen Information leicht, bewertet es sie eher als wahr. Muss es dagegen vielleicht erstmal kurz überlegen, was eine zum Beispiel mit Akzent gesprochene Information bedeuteten könnte, hat es Probleme mit der Verarbeitung. Und in diesem Moment lässt es sich in die Irre führen: es merkt nicht, dass die Schwierigkeit bei der Verarbeitung an einem sprachbedingten Verständnisproblem liegt, sondern geht davon aus, dass mit dem Inhalt etwas nicht stimmen kann. Und dann beurteilt es den Inhalt als Unwahrheit.
Dass das Ergebnis dieses Experiments verheerende Auswirkungen auf das Alltagsleben von Menschen haben kann, die nicht die Sprache des Landes, in dem sie leben, als Muttersprache haben, ist wohl eindeutig. Denn eine mangelhafte Glaubwürdigkeit kann es einem ganz schön schwer machen: sei es zum Beispiel in der Schule, im Beruf oder bei der Arbeitssuche.
Also lieber noch einen kurzen Moment länger nachdenken, bevor wir unser Gehirn ein Urteil über eine Aussage fällen lassen, die von einer Person mit Akzent gesprochen wurde.
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Autorin / Autor: Redaktion - Stand: 28. Juli 2010