Ein Sommer in einem Haus am Meer, viele Familien, Sonne, Strand. Die Erwachsenen kennen sich aus dem College. Sie verbringen die Tage mit Exzess: Trinken, Drogen, Körperlichkeit. Den Kindern und Jugendlichen könnte das Verhalten ihrer Eltern nicht peinlicher sein. Erst verspielen sie mit ihrer hedonistischen Art die Zukunft des Planeten, dann feiern sie sich selbst dafür.
Diesen Sommer leben die Kinder alleine, ohne die Eltern. Sie schlafen gemeinsam auf dem Dachboden des großzügigen Sommerhauses, verbringen Tage und Nächte am Strand und am wichtigsten: Niemand darf erfahren, welche Eltern zu ihnen gehören. Sie setzen alles daran, dass die anderen Kinder und Jugendlichen nicht mitbekommen, wer ihre Eltern sind.
Dann kommt das Unwetter. Und mit ihm die Flut, die alles zerstört. Regengüsse, die sich aus den Wolken auf die Erde herabwerfen und alles verschlingen. Panisch versuchen die Eltern, die Löcher im Haus mit Planen abzudecken und genug Alkohol heranzuschaffen, um sich eine Weile isolieren zu können. Den Kindern bleibt nichts anderes übrig, als ihnen zu helfen. Doch dann finden sie einen Mann auf einer Luftmatratze. Von den Seuchen, die er in dem aufgestauten Wasser vermutet, wollen die Eltern nichts hören. Die Jugendlichen aber beschließen, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen und mit ihm an einen sicheren Ort zu fliehen. Dort gibt es Lebensmittel, trockene Schlafplätze und genug Raum für alle.
Während die Jugendlichen ihre eigene kleine Gesellschaft aufbauen und ihre Gruppe durch Gestrandete wächst, die sich ihnen anschließen, bleiben die Eltern in ihrem Sommerhaus, wollen unbedingt die Kaution zurückbekommen, das Haus wieder instand bringen. Doch die Vorräte der Jugendlichen wecken Begehrlichkeiten und nicht alle meinen es so gut mit ihnen wie die Besitzerin des Grundstücks, auf dem sie Unterschlupf gefunden haben.
Lydia Millet zeichnet in ihrem Buch eine Dystopie, das düstere Szenario darüber, was passieren könnte, wenn wir den Klimawandel nicht ernst nehmen und welche Vorwürfe die nächste Generation uns machen wird. Hedonismus, Eskapismus, Flucht vor der Realität und Individualismus setzen die Jugendlichen ein Kollektiv entgegen, in dem alle ihren Platz haben und das doch gemeinsam arbeitet.
Als Leser:innen begleiten wir in diesem Buch die 15-jährige Evie, die sich neben der Abgrenzung von ihren Eltern vor allem um ihren kleinen Bruder Jack Sorgen macht, dem die Eltern bisher nichts von der Klimakatastrophe erzählt haben und der sich mehr und mehr an der Bibel festhält, die er von einer der Mütter geschenkt bekommen hat. Dabei folgt er nicht blindlings den Geschichten der Schrift, sondern findet seine eigenen Interpretationen der Gleichnisse und Erzählungen, sucht Halt bei der Wissenschaft und in Gruppen.
Dieses Motiv greift die Autorin immer wieder in ihrem Buch auf: Da ist die Sturmflut, die den Überkonsum der Menschen bestraft, Burl, den die Kinder auf einer Luftmatratze treibend finden, da sind eine Geburt und drei Menschen, die zu dieser kommen. Da sind Gebote und Regeln. Der englische Titel des Buchs „A Children’s Bible“ ist in meinen Augen passender, fängt er doch den dystopischen Charakter der Bibel und der Konsequenzen unseres Handelns ein, die uns alle einholen können.
Mir hat die Erzählung gut gefallen und Stoff zum Nachdenken gegeben. Teils scheint die Geschichte wahnsinnig absurd und weit weg zu sein, teils könnte sie auch als realistisches Szenario dessen gelesen werden, was uns vermutlich erwartet. Was den Lesefluss für mich etwas verkompliziert hat, ist die schiere Masse an Charakteren. Immer wieder habe ich zurückgeblättert, um nachzulesen, von welchen Personen gerade die Rede ist und so Verwirrungen auf einem Minimum zu halten. Abgesehen davon finde ich das Buch gut geschrieben und auf eine düstere Art unterhaltsam.
Erschienen bei btb
Autorin / Autor: Karla G. - Stand: 02. August 2024