Schubladendenken durch Unordnung

Forschung: Wie Müll unsere Vorurteile stärkt

Ordnung ist das halbe Leben, so heißt es. Tatsächlich scheint eine aufgeräumte oder eben chaotische Umgebung uns mehr zu beeinflussen als wir vielleicht vermuten würden. Ein zugemüllter Bahnhof und verdreckte Straßen können sogar unsere negativen Vorurteile anderen gegenüber stärken – selbst wenn diese mit dem Chaos gar nichts zu tun haben. Das haben zwei niederländische Forscher in Experimenten herausgefunden.

Wenn bei uns Zuhause Chaos herrscht, können wir es in der Regel ganz einfach selbst beseitigen. Wenn wir uns im öffentlichen Raum  befinden, wird es allerdings sehr viel schwieriger, unser Verlangen nach Ordnung durchzusetzen. Wie sich dieses unerfüllte Bedürfnis auf unser Denken auswirkt, wollten die Wissenschaftler der Universitäten in Tilburg und Groningen herausfinden.

Ein Streik der Utrechter Müllabfuhr kam ihnen für ihre Experimente gerade recht. Am zu diesem Zeitpunkt zugemüllten Utrechter Bahnhof baten sie 40 hellhäutige Reisende, einen Fragebogen auszufüllen, in dem es um Vorurteile gegenüber Gruppen einer bestimmten Nation oder Religion ging. Währenddessen sollten die Testpersonen einen Sitzplatz in einer Reihe mit sechs Stühlen auswählen. Nur der erste war bereits belegt – in manchen Fällen von einem dunkelhäutigen, in anderen von einem weißen, gleichaltrigen Mann. Eine Woche später, als er Bahnhof wieder aufgeräumt war, wiederholten die Forscher das Experiment mit weiteren 40 Freiwilligen.

Der Müll stärkte tatsächlich die Vorurteile der Testpersonen. Dies zeigten sowohl die Fragebögen als auch ihre Wahl der Sitzmöglichkeit. In der chaotischen Umgebung hielten sie mehr Abstand zu dem dunkelhäutigen Mann als zu dem weißen. War der Bahnhof aufgeräumt, setzten sich die Reisenden nicht weiter von dem farbigen Sitznachbarn weg.

In weiteren Experimenten stellten die niederländischen Forscher bewusst Unordnung her, indem sie einige Pflastersteine eines Gehwegs entfernten, ein Auto schrägt parkten oder ein umgekipptes Fahrrad auf  den Bürgersteig legten. Wieder baten sie Passanten den Fragebogen auszufüllen, um ihre Vorurteile zu testen. Als Belohnung dafür sollten sie fünf Euro bekommen. Die Wissenschaftler stellten die Testpersonen vor die Wahl, ob sie dieses Geld an eine Hilfsorganisation für Minderheiten spenden oder doch lieber in die eigene Tasche stecken möchten. Tatsächlich war die Spendenbereitschaft in der unaufgeräumten Umgebung geringer als in einer Vergleichsstraße, in der Ordnung herrschte. Auch in diesem Versuch zeigten sich in der Auswertung des Fragebogens weniger Vorurteile, etwa gegenüber Muslimen, wenn das Drumherum stimmte.

Wie die Forscher im Wissenschaftsmagazin „Science“ berichten, haben wir das Bedürfnis nach Struktur. Wird die Ordnung gestört, so vereinfachen wir die Dinge um uns herum und kategorisieren sie. Dadurch entstehen Vorurteile und wir neigen eher dazu, andere zu diskriminieren. Die Bildung von Stereotypen sei in diesem Moment ein „mentales Reinigungsinstrument“, das uns helfe, mit der Unordnung umzugehen. Herrscht um uns herum Chaos, so versuchen wir zumindest im Geiste unsere Umgebung klar zu strukturieren, erklären die Studienleiter.

Autorin / Autor: Redaktion - Stand: 8. April 2011