Spielball Politikunterricht

Unterrichtszeit für politische Bildung hängt offenbar mit der Zusammensetzung der Landesregierung zusammen

Politikverdruss, sinkendes Vertrauen in staatliche Institutionen, Wahlerfolge extrem rechter Parteien – diese Entwicklungen der letzten Jahre veranlassen viele Bildungsforschende und Politiker:innen dazu, mehr politische Bildung an Schulen zu fordern. Der Politikunterricht hat bei der Stärkung demokratischen Verhaltens und Handelns natürlich eine besondere Rolle. Welchen Umfang hatte aber das Unterrichtsfach Politik in den vergangenen Jahrzehnten? Diese Frage konnten Forschende des Leibniz-Instituts für Bildungsverläufe (LIfBi) nun mithilfe von Daten aus historischen Stundentafeln klären. Dabei zeigt sich, dass fast durchgehend mehr politische Bildung an nicht-gymnasialen Schulformen im Vergleich zum Gymnasium vorgesehen war. Zudem lässt sich bis Ende der 1990-er Jahre ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Anzahl der Unterrichtsstunden in diesem Fach und der parteipolitischen Zusammensetzung der Regierung beobachten.

Die Daten, die das LIfBi-Forschungsteam (Dr. Norbert Sendzik, Ulrike Mehnert, Prof. Dr. Marcel Helbig) gesammelt hat, beziehen sich darauf, wie viele Wochenstunden „Politik“ in der Sekundarstufe I, also von der 5. bis einschließlich 10. Klasse, in den verschiedenen Schulformen pro Schuljahr gelehrt werden sollten, und zwar in allen westdeutschen Bundesländern seit 1949 bis 2019. Die Daten der ostdeutschen Bundesländer sind darin seit der Wiedervereinigung enthalten. Damit konnte erstmalig ein bildungshistorisch-quantitativer Blick auf die Entwicklung des Politikunterrichts von der Gründung der Bundesrepublik Deutschland bis in die Gegenwart geworfen werden.

Große Unterschiede zwischen den Ländern

Die Analysen zeigen, dass seit den 1970-er Jahren die Bedeutung des Politikunterrichts zunahm und sich die Unterrichtszeit für dieses Fach in allen Bundesländern und an allen Schularten bis zu den 1990-er Jahren nahezu verdoppelte. Dabei gab es große Bundeslandunterschiede. So wurde beispielsweise um die Jahrtausendwende das Fach Politik in Nordrhein-Westfalen mit 7 Wochenstunden gelehrt (also pro Schuljahr im Durchschnitt ca. 1,2 Wochenstunden), während es in Bayern und Sachsen nur 2 Wochenstunden waren (ca. 0,3 pro Schuljahr). Aber auch in der jüngeren Vergangenheit finden sich bundeslandspezifische Entwicklungen: So wurde in Hessen die Unterrichtszeit seit den 1990-er Jahren bis in die 2010-er Jahre von 7 auf 3 Wochenstunden mehr als halbiert, während sie in Schleswig-Holstein im selben Zeitraum von rund 1 auf fast 5 Wochenstunden anstiegen.

Mehr politische Bildung unter SPD-Regierungen

Deutlich sichtbar wurde zudem ein politischer Einfluss der Landesregierung auf den Politikunterricht, insbesondere für die 1970-er bis Ende der 1990-er Jahre, so Dr. Norbert Sendzik: „ War die SPD an einer Regierung beteiligt, wurde mehr politische Bildung unterrichtet. Regierte die CDU, war weniger politische Bildung vorgesehen. Besonders deutlich ist das für die ostdeutschen Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, die nach der Wende christdemokratisch geprägt waren. Dort war im Vergleich sehr wenig politische Bildung vorgesehen.“ Man muss allerdiungs dazu sagen: Seit den 2000-er Jahren ist politische Bildung jedoch weniger von der Zusammensetzung der Landesregierung geprägt.

Mehr politische Bildung an nicht-gymnasialen Schulformen

Die Datensätze zeigen aber auch: Entgegen der landläufigen Vermutung waren in der Geschichte der Bundesrepublik in der Regel mehr Unterrichtsstunden „Politik“ an nicht-gymnasialen Schulformen im Vergleich zum Gymnasium vorgesehen. Das überraschte das Forschungsteam, denn andere Studien zeigen, dass gegenwärtig Gymnasiast:innen mehr politische Bildung erhalten als Schüler:innen an anderen Schulformen.

Die Forschenden fordern aber weitere zielgerichtete Forschung. Insbesondere der Entwicklung von der „Civic Literacy“, also zivilgesellschaftlichen und politischen Kompetenzen von Menschen, sollte dabei Aufmerksamkeit gewidmet werden. Mehr Wissen darüber, welche Auswirkungen politische Bildung hat, könne dann hoffentlich auch Antworten dazu finden, wie man mit der aktuell zu beobachtenden politischen Polarisierung der deutschen Gesellschaft umgehen soll.

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Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung