Wirtschaftskrise ist auch Menschenrechtskrise
Amnesty International stellt Jahresreport vor
Wirtschaftskrise löst Armutswelle aus
Die globale Wirtschaftskrise könnte bis zu 90 Millionen Menschen weltweit in die Armut stürzen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) befürchtet, dass mit der abstürzenden Wirtschaft die Unterdrückung von Menschen zunimmt. Unruhen und politische Gewalt könnten sich demnach häufen, insbesondere in Afrika, warnt AI. Die Organisation stellte ihren Jahresbericht 2009 vor. Der Report beschreibt die Menschenrechtslage in 157 Staaten.
In Menschenrechte investieren
"Der größte Teil der Opfer von Menschenrechtsverletzungen, die wir in unserem Jahresbericht aufführen, ist arm, und das ist kein Zufall", sagte Nicolas Beger, Direktor des EU-Büros von Amnesty International, bei der Präsentation des Jahresreports in Berlin. "Noch viel zu wenig Regierende dieser Welt haben begriffen, dass Armut oft die Folge von Menschenrechtsverletzungen ist und für Menschenrechtsverletzungen besonders verwundbar macht. Armut wird auf Dauer nur zu vermindern sein, wenn die Menschenrechte der Armen respektiert, geschützt und gewährleistet werden. Die Staaten müssen daher mindestens genauso in Menschenrechte investieren wie in Wirtschaftswachstum."
Arme sind in den meisten Ländern zwar Staatsbürger. Doch ihre Rechte gewinnen oft keine materielle Kraft. Arme haben keinen Zugang zu Bildung. "Besonders verheerend ist, dass sie in der Regel keine Möglichkeit haben, vor Gericht ihr Recht zu erstreiten. Die UN schätzen, dass dies für vier Milliarden Menschen gilt - knapp zwei Drittel der Menschheit", sagte Beger.
Besonders verheerend wirkt sich die Rohstoffförderung großer Unternehmen in Afrika aus. So wird meist die Lebensgrundlage der ansässigen Bevölkerung zerstört, ohne sie dafür gebührend zu entschädigen. "Wer Menschenrechte verletzt, muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden - ob das ein Staat, ein transnationales Unternehmen oder eine internationale Institution ist", forderte Beger.
Meinungsfreiheit ist ein Traum
Bereits im vergangenen Jahr beobachtete AI, dass 81 von 157 Ländern die Meinungsfreiheit verletzt wurde. Allein in 50 Ländern davon sitzen Menschen, wegen ihrer politischen oder religiösen Überzeugung, im Gefängnis. 27 Länder schoben Menschen auch dann ab, wenn ihnen in ihrem Heimatland Folter, Verfolgung oder die Todesstrafe drohten. In 24 Ländern sind Menschen gewaltsam aus ihren Wohnungen vertrieben worden.
Auch in den zwanzig wichtigsten Industrie und Schwellenländern (G-20) werden Menschenrechte überdurchschnittlich verletzt:
78 Prozent aller Hinrichtungen weltweit werden in den G-20-Ländern durchgeführt. In neun der 19 Länder gab es illegale Tötungen durch den Staat; in 15 Ländern wurden Menschen gefoltert oder misshandelt; in neun Ländern liefen Gerichtsprozesse grob unfair ab, und 14 der 19 Staaten halten Menschen unverhältnismäßig lang ohne Anklage oder Prozess in Haft.
Wieder Ghettos in EU-Staaten
Eines der drängendesten Probleme in der EU sind massive Angriffe auf Roma in mehreren Mitgliedsstaaten. "Roma müssen vielfach in Ghettos leben. Ihr Zugang zu Bildung, Wohnraum, Arbeit und Gesundheitswesen ist derart eingeschränkt, dass dies zuweilen Züge einer Apartheid annimmt", sagte Beger.
Infolge der Wirtschaftskrise ist zu erwarten, dass noch mehr Flüchtlinge und Migranten den lebensgefährlichen Seeweg nach Europa nehmen werden. "Die EU zwingt zunehmend Flüchtlinge, ihren Asylantrag in Staaten wie Libyen, Senegal oder Mauretanien zu stellen. Diese Staaten kennen aber gar kein ordentliches Asylverfahren. Damit verwehrt die EU Flüchtlingen praktisch den Zugang zu einem Asylverfahren. Das ist völkerrechtswidrig und für die EU wirklich beschämend", sagte Beger.
Die Lage in Deutschland
AI kritisiert vor allem die Untergrabung des Folterverbots, hinsichtlich der Terrorbekämpfung. So haben deutsche Kriminal- und Geheimdienstbeamte mehrfach inhaftierte Verdächtige in Ländern befragt, die für Folter und Misshandlung bekannt sind. Mutmaßlich Gefolterte zu vernehmen, ist mit der Unantastbarkeit der Menschenwürde nicht vereinbar und verletzt Artikel 1 des Grundgesetzes. Solche Informationen dürfen in Ermittlungs- und Gerichtsverfahren nicht verwertet werden. Vermehrt haben deutsche Stellen auch auf Informationen Dritter zurückgegriffen, die wahrscheinlich durch Folter erlangt wurden. Außerdem ist Deutschland wie andere EU-Staaten bereit, auf der Basis rechtlich unverbindlicher "diplomatischer Zusicherungen" Terrorverdächtige in Länder abzuschieben, in den ihnen Verfolgung und Folter drohen. "Auch das leistet der Folter Vorschub und darf daher keinesfalls stattfinden", sagte Beger.
Lies im Netz
Autorin / Autor: Pressemitteilung / Redaktion