Ich teile, also weiß ich?
Forschung: Wer einen Beitrag im Netz teilt, schätzt seine Kenntnis über das Thema höher ein - auch wenn er/sie den Beitrag gar nicht gelesen hat
Interessante Inhalte im Netz teilen wir gerne mit anderen. Manchmal haben wir einen Beitrag komplett gelesen und für gut befunden, manchmal lesen wir nur die Überschrift und finden trotzdem, dass wir diesen Beitrag mit anderen teilen sollten. Viele Forschende beschäftigen sich mit der Frage, inwieweit das Teilen in sozialen Netzwerken das Wissen von Menschen verändert und ob die Kenntnisse zu bestimmten Themen sich dadurch verbessern. Eine aktuelle Studie von Wissenschaftler_innen der University of Texas geht hingegen der Frage nach, was Leute glauben zu wissen, wenn sie Inhalte teilen. Verändert der Vorgang des Teilens den Glauben an das eigene Wissen? Gibt uns das Teilen möglicherweise das Gefühl, Expert_in auf einem Feld zu sein?
Die Forschenden untersuchten dabei vor allem das weit verbreitete Phänomen des "Teilens, ohne zu lesen" (sharing without reading), um herauszufinden, ob wirklich der bloße Vorgang des Teilens für den eingebildeten Wissensvorsprung verantwortlich ist. In insgesamt sechs Studien werteten Adrian Ward, Frank Zheng und Susan Broniarczyk von der University of Texas aus, wie Leute ihre Sachkenntnisse zu bestimmten Themen einschätzten, nachdem sie sie online geteilt hatten. In einer siebten Studie wurde untersucht, wie sich dieses subjektive Gefühl auf ihre Entscheidungen auswirkt.
Subjektives Wissen steigt auch, wenn nicht gelesene Artikel geteilt werden
In den Studien wurden unterschiedlichste Bedingungen untersucht. Mal bekamen die Testpersonen Artikel vorgelegt, die sie lesen und/oder teilen konnten, oder auch nicht. Oder sie sollten bestimmte Artikel teilen, ohne sie zu lesen. Dabei wurden sie jeweils per Quiz zu den Themen befragt, um zu schauen, ob sie tatsächlich Kenntnisse zu den jeweiligen Themen hatten. Außerdem sollten sie stets angeben, was sie glaubten, darüber zu wissen. Dabei zeigte sich logischerweise, dass die am meisten wussten, die die Artikel auch tatsächlich gelesen hatten und dementsprechend auch subjektiv ihr Wissen höher einschätzten. Jedoch stieg das subjektive Wissen auch dann, wenn die Testpersonen die Artikel nicht gelesen, sondern nur geteilt hatten.
Dieser Effekt bestätigte sich in allen Studien, allerdings zeigte sich, dass das eingebildete Wissen nach dem Teilen nicht anstieg, wenn sie es mit völlig Unbekannten teilten. Nur, wenn sie glaubten, die Personen auch wiederzusehen, mit denen sie einen Artikel geteilt hatten, waren sie überzeugt, auch Kenntnisse über das Thema zu haben.
Vermeintliche Expertise hat Einfluss auf Entscheidungen
Wofür diese Frage überhaupt wichtig ist? In ihrer letzten Studie untersuchten die Wissenschaftler_innen, inwieweit das Wissen, dass man zu haben glaubt, auch Entscheidungen beeinflusst. Hier wurden die Testpersonen aufgefordert, eine Anlagestrategie zu wählen, um für das Alter vorzusorgen. Die, die ihr Wissen höher einschätzten, wählten dabei eher riskante Strategien – auch wenn ihr subjektives Wissen nur dadurch erhöht worden war, dass sie Artikel ungelesen geteilt hatten.
Die Forscher_innen folgern, dass der Glaube, Bescheid zu wissen, auf wichtige Entscheidungen im Leben einen Einfluss haben kann. Möglicherweise hält man sich für schlauer als man ist und trifft fragwürdige Entscheidungen, die nur auf vermeintlichem Wissen basieren. Auch bei der Verbreitung von Falschinformationen spielt dieser Mechanismus eine Rolle. Die Leute, die sie teilen, fühlen sich am Ende noch als Expert_innen auf dem Gebiet, obwohl sie lediglich die irreführende Überschrift kennen und gar keine Ahnung haben, was in dem Artikel steht. So entsteht nicht nur eine verzerrte Einstellung zum eigenen Wissen, sondern auch zur Richtigkeit von Informationen.
Lest also, bevor ihr teilt, sonst haltet ihr euch möglicherweise für Expert_innen, die ihr gar nicht seid und schadet euch damit selbst.
Die Studie ist im Fachmagazin Journal of Consumer Psychology erschienen.
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Autorin / Autor: Redaktion - Stand: 29. August 2022