Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet
Dunkelheit umgibt mich, und das einzige, was ich vernehmen kann, ist das seltsame Geräusch auf der anderen Seite von dieser Tür. Ich lausche gespannt, all meine Muskeln sind für den entscheidenden Moment bereit. Langsam, ohne Hast schleiche ich mich zur Tür, aber halte kurz vor ihr inne. Was wenn dahinter mein Verderben liegt? Was wird man mir versuchen zu erklären, wenn ich die nie gestellte Frage ausspreche? Der Zweifel hatte mich nun gepackt und versuchte mich in seine tiefen Abgründe zu reißen. Dieses lähmende Gefühl, die beklemmende Dunkelheit und die still in mir ruhende Ungewissheit ergaben eine Mischung der Gefühle, sodass ich immer mehr das Bedürfnis bekam, in die Knie zu sinken. Was für ein berauschendes Erlebnis sich auch immer hinter dieser hölzernen Tür verbirgt, ich will es nun nach so langer Zeit wissen. Nun verfiel ich immer mehr in den Glauben, dass ich eigentlich nichts zu befürchten hatte. Es gab nichts zu verlieren, zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich nur um eine Erfahrung reicher werden. Warum warten oder zögern? Das Öffnen einer Tür ist ein Schritt ins Ungewisse ohne Erwartungen oder Vorstellungen. Wieder eine komplett neue Begebenheit für mich. Wer ich bin, fragt man sich? Mein Name ist Debby. Zumindest nennt man mich so, wenn ich überhaupt jemanden zu Gesicht bekomme. Das Gesicht und die Bewegungen von anderen Menschen sind wie ein schöner Traum. So unantastbar wie der Himmel und so hypnotisierend wie eine aufspringende Knospe. Wenn ich dieses Wechselspiel zwischen Emotionen und Bewegungen miterleben darf, dann fühle ich mich frei. Ich sehe mich selbst leichtfüßig über die Wiesen gleiten. Doch das Schönste und Kostbarste der Welt liegt eigentlich nur einen Kilometer von mir entfernt. Ich stelle mir vor, mit den Füßen den sandigen Untergrund zu berühren. Die kalte Brise würde mein Gesicht auf eine schon fast liebevolle Art umwehen. Seufzend lehnte ich mich zurück. Ich könnte Tag und Nacht von den Weiten des Meeres träumen, immer mit dem Verlangen es mit eigenen Augen zu sehen. Die Menschen, die mich besuchen kommen, bringen mir oft Bilder vom Meer mit. Sie versuchen zu beschreiben, wie es sich anfühlt in ihm zu baden. Ich habe meine Mutter immer wieder gebeten, dass ich es nur einmal sehen darf. Sie hatte jedes Mal ihre hellblauen Augen verdreht und gemeint, dass ich nicht existieren dürfte und schon gar nicht dürfe ich der Welt präsentiert werden. Ich verstehe es einfach nicht. Warum sollte man ein Leben, jeglicher Art, so vergeuden? Meine Welt besteht aus einem Bett, einem Tisch mit Stuhl, einem Badezimmer und einer Staffelei mit vielen Leinwänden und Farben. Ich zeichne für mein Leben gerne, doch je älter ich werde, desto verzweifelter versuche ich immer wieder meine Gefühle durch Zeichnungen auszudrücken. Die Striche werden immer hastiger, als ob ich keine Zeit mehr hätte. Atemlos stehe ich dann vor dem Bild, fühle mich in keinster Weise befreit und beginne noch einmal von vorne. So geht es manchmal tagelang bis ich mich dann, so wie jetzt wieder vor dieser Tür befinde. Doch anders als die letzten Male war ich diesmal fest entschlossen alles zu riskieren. Mit zitternder Hand fasste ich die kühle Klinke der Tür. Schwer schluckend drückte ich diese hinunter. Noch nie hatte ich mich so frei gefühlt. Dann öffnete ich sie langsam, bedacht keine zu schnellen Bewegungen zu machen, da ich sonst befürchtete die Chance meines Lebens zu vertun. Dann sah ich es vor mir, wie in meinen schönsten Träumen. Das Sonnenlicht, das alles erhellt, in der Ferne das glitzernde Meer, dessen salzigen Geruch ich schon riechen konnte. Warum wollte man mich nur von dieser Pracht fernhalten? Mit federnden Schritten glitt ich aus dem Raum, aus der Verdammnis und gab mich der Schönheit der Außenwelt hin. Tief durchatmend ging ich den schmalen Pfad entlang Richtung Meer. Mein Leben, so wusste ich, lag hinter mir und mein größter Traum vor mir. Unbeirrt von jeglichen Geräuschen ging ich, lief ich immer weiter und weiter. Nichts konnte mich aufhalten und als ich an der Klippe ankam und endlich alles von dem Wunder Meer sehen konnte, war ich von seiner Schönheit verzückt. Ich wollte es fühlen und so trat ich einen Schritt nach vor. Ich ließ mich einfach fallen, die vorbei ziehende Brise liebkoste mein Gesicht. Ich spürte die eisige Kälte des Wassers, doch plötzlich war es wieder dunkel. Hätte ich weinen können, dann hätte ich es getan.
Einen Tag später erschien in der Tageszeitung folgender Bericht:
Mädchen begeht Selbstmord durch einen Sprung von der Klippe
Debby Hallow wurde ein Leben lang von ihren Eltern in einem stickigen, schlecht beleuchteten Raum gefangen gehalten. Die Ursache für deren Entscheidung ist derzeit noch nicht bekannt, da sie wegen des Selbstmordes ihrer Tochter noch schwer unter Schock stehen. Fakt ist, dass Debby, ein siebzehnjähriges Mädchen, gestern zum ersten Mal ohne Beisein der Eltern nach draußen gegangen ist. Niemand weiß den eigentlichen Grund für den Selbstmord doch Psychologen vermuten, dass sie wahrscheinlich unter Depressionen gelitten haben muss. Aber sie bezweifeln, dass sie je herausfinden werden, was dieses Mädchen dazu getrieben hat, sich auf diese Art das Leben zu nehmen. Nur Debbys Tante weist darauf hin, dass ihre Nichte schon immer eine Schwäche für das Meer gehabt habe…
Autorin / Autor: Julia, 15 Jahre - Stand: 21. Mai 2010