Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet
„Erzähl’ uns, welche verrückte Geschichte, welch herzerweichendes Gedicht, welche merkwürdige Gebrauchsanweisung dir zu dem Titel "Eine angelehnte Tür " einfällt. Wir sind gespannt! Denn eine Tür kann so viel mehr meinen, als nur die Verbindung in ein anderes Zimmer…“
Mein erster Gedanke – und vermutlich der etlicher anderer Mädchen – nachdem ich diese Zeilen gelesen habe, ist schlicht: Wie bitte? Was soll eine Tür anderes sein als eine Tür? Bin ich womöglich blind durch die Welt gelaufen und habe eine neue technische Errungenschaft verpasst? Kann meine Tür mir seit neuem „Guten Morgen“ sagen und mir ein Lunchpaket mit auf den Weg zur Schule geben? Ich denke nicht. Eine Tür ist und bleibt eine Tür, nichts weiter. Womit ich den Gedanken an diesen Schreibwettbewerb zum merkwürdigen Thema „mysteriöse Tür“ aufgebe.
Mit einem Seufzer fahre ich mein Notebook herunter und schließe einen Moment die Augen. Es wäre auch zu schön gewesen, meiner Kreativität mal freien Lauf zu lassen – und nicht nur in einem inneren Monolog von Woyzeck, Don Carlos und Co. wie im Deutschunterricht.
Erneut schaue ich auf die Uhr; es ist das ungefähr hundertste Mal an diesem Tag – zumindest kommt es mir so vor. Die grellroten Ziffern 19:00 stechen in meine Augen und mein Herz macht einen Aussetzer, bevor es zu rasen beginnt. Bald kommt er vorbei. Und mit er meine ich nicht meinen Cousin, der sich mal wieder Geld von Oma schnorren will oder meinen Vater, der von der Arbeit nach Hause kommt. Nein, ich meine meinen Freund…naja, Fast-Freund trifft es wohl besser. Aber hallo? Man muss schließlich optimistisch sein, genauso wie Theodor Fontane so schön sagt: Ein Optimist ist ein Mensch, der ein Dutzend Austern bestellt, in der Hoffnung, sie mit der Perle, die er darin findet, bezahlen zu können.
Also einfach mal ins kalte Wasser springen und abwarten was passiert, wird schon nicht so schlimm werden. Und um mir selbst zu beweisen, dass ich nicht nur pseudointellektuelle Sprüche von mir geben kann, lasse ich meinen Worten Taten folgen: Ich gehe heute Abend mit Josh aus – einem der wundervollsten Menschen, der mir je begegnet ist, um ausnahmsweise mal ernst zu werden. Abgesehen von seinem guten Aussehen, hat er Charakterzüge, die heute nur noch in Kitschromanen zu finden sind: Ehrlich, zuvorkommend, nett, hilfsbereit – hört sich zu schön an, um wahr zu sein, richtig? Erneut entfährt mir ein Seufzer, doch dann muss ich kichern. Er glitzert aber weder in der Sonne, noch hat er scharfe Zähne.
Kleiner Scherz am Rande.
Wieder werfe ich einen Blick auf die Uhr. Ich vergeude eindeutig zu viel Zeit mit meinen weit schweifenden Gedanken. Schnell gehe ich ins Bad und bereite mich auf den Abend vor. Ich schalte die Musik ein und lasse keine Zweifel zu oder besser: Corey Taylor vertreibt jegliche Gedanken, indem er mir unablässig ins Ohr schreit. Ich liebe es.
Eine halbe Stunde später stehe ich erwartungsvoll am Fenster. Wobei man es nicht wirklich stehen nennen kann, ich springe eher von einem Fenster zum nächsten und versuche dabei, meinen rebellierenden Magen zu ignorieren.
Als ein Auto vor unserem Haus hält und ich Josh erkenne, ist es vorbei mit meiner „alles-wird-gut“–Phase. Was, wenn er mich nun doch nicht will? Vielleicht geht er ein letztes Mal mit mir aus, um mir zu sagen, dass er keine Zukunft für uns sieht? Ich bin das blanke Nervenbündel auch gutes Zureden meiner Mutter á la „du schaffst das schon“ hilft da nicht. Alles weitere zieht an mir vorbei, als hätte sich ein undurchdringlicher Schleier über meine Gedanken gelegt.
Dann stehe ich vor ihm. Wie ich zur Tür gekommen bin, weiß ich nicht mehr – vielleicht bin ich hingestolpert oder auf dem Boden gekrochen – doch das ist mir egal. Alles ist mir egal, denn vor mir steht Josh. Eine unerschütterliche Ruhe ergreift mich, sodass es nach der Panik von eben beinahe unheimlich ist. Ich blicke ihn an, den Menschen, der neben meinen Eltern, die wichtigste Person in meinem Leben ist. Ich bin mir sicher. Ich weiß, dass ich mit ihm zusammen sein möchte. Ich kann nicht sagen, ob unsere Beziehung zu einer Ehe getreu dem Motto „bis das der Tod uns scheidet“ heranwächst. Doch ich weiß, dass er im Moment das ist, was ich will, was ich brauche. Er lächelt mich an und streicht mir sanft über den Arm, bevor er meine Hand nimmt. Mein Herz macht einen freudigen Hüpfer bei dieser kleinen, liebevollen Geste. Liebevoll…ja, das ist es und plötzlich bin ich davon überzeugt, dass der Abend wunderbar wird.
Und noch etwas wird mir bewusst: Josh besitzt den Schlüssel zu meinem Herzen. Zunächst war unsere Liebe zaghaft, keiner von beiden traute sich an die angelehnte Tür heran, denn was einen dahinter erwartet, weiß niemand. Diese Zeit ist vorbei. Wir haben Mut bewiesen und uns in ungeahnte Gefilde vorgewagt. Türen sind eben nicht nur Verbindungen, die von einem Raum in den nächsten führen; bei dem Gedanken muss ich ein Grinsen unterdrücken.
Es sind auch Portale zu fantastischen Welten und eine von ihnen heißt Liebe.
Autorin / Autor: Mell, 18 Jahre - Stand: 28. Mai 2010