Die Tür ist angelehnt
Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet
Schon als Kind machte ich die Tür hinter mir nicht richtig zu, ich ließ sie nur angelehnt. Ich wusste nicht warum ich es tat, ich weiß es heute noch nicht genau. Es war wohl eine kindliche Sicht auf Dinge, die Erwachsenen einleuchteten, mir aber nichtig schienen. Später lernte ich es, es gehörte sich wohl so. Meine Mutter meinte, die Kälte solle draußen bleiben, der Duft aus der Küche nicht entfliehen. Die Tür schützte uns vor der Außenwelt, sie gab uns Sicherheit und Geborgenheit.
Obwohl ich mit der Zeit lernte, die Tür zu schließen, so war es nur die eine einzige Tür. Es war nur die Tür zum Haus, eine Platte aus Holz mit einer Messingklinke. Heute mache ich diese aus Gewohnheit zu, doch andere Türen lasse ich offen. Die Türen in meinem Kopf, sie sind nur angelehnt. Ich kann sie nicht zählen, es sind zu viele und alle haben sie Augen, Nasen, Ohren und einen Mund, sie rufen: "Entscheide dich!". Früher war es Faulheit oder fehlende Einsicht, die Klinke war viel zu weit oben, der Weg daran vorbei dagegen kurz. Heute aber ist es Angst. Was passiert, wenn eine Tür erstmal zu ist?
Als ich einmal in einen unbekannten Raum hinein lief, stand die Tür weit offen. Ich weiß nicht wann und wo es war, ich sah nur die hell leuchtende Tür, die etwas Neues und Geheimnisvolles verbarg. Ich öffnete sie und sah mich um. Gefiel mir der Raum, wollte ich hier bleiben oder sollte ich lieber wieder gehen? Ich wollte beides und doch keines davon, deshalb lehnte ich die Tür an. Würde ich sie schließen, so gäbe es kein Zurück mehr, denn die Klinke ist zu weit oben, oft unerreichbar. Ließe ich sie offen, würde vielleicht jemand Unerwünschtes herein kommen und mir den Raum streitig machen, den ich allein mir zuschrieb, trotz der Unentschlossenheit. Denn ich wollte ihn nicht teilen.
Ich wollte einen potentiellen Beruf nicht einer anderen Person überlassen, ich wollte einen potentiellen Mann nicht einer anderen Frau zugestehen. Aber haben wollte ich sie auch nicht. Ich wollte nichts und alles.
Entschied man sich erst für einen Beruf, so musste man die Lasten der Entscheidung tragen, die Konsequenzen ertragen. Ein Rückweg ist immer schwer. Entschied man sich für einen Partner, so verband man sich mit dem Ehering symbolisch für immer. Ein Rückweg ist immer schwer.
Doch ich wollte und will mich nicht entscheiden. Es gibt so viele bunte Wege. So viel Verlockung, so viel Glanz und Pracht, die nach meiner Aufmerksamkeit schreien. Vielleicht würde ich etwas verpassen, wäre die Tür erstmal geschlossen. Vielleicht gibt es einen besseren, einen schöneren Raum, als den hinter der Tür. Deswegen lasse ich sie stets nur angelehnt. So kann ich schnell fliehen, die Tür ist nur angelehnt. Es gibt noch ein Züruck, es gibt noch Raum für neue Ideen und Entscheidungen. Doch die Geborgenheit einer Tür werde ich mit dieser Einstellung niemals erfahren, die Gerüche der Küche werden entfliehen und niemals werde ich sicher sein, vor Gefahren und Kälte, denn die Tür ist nur angelehnt.
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Autorin / Autor: Ludmila, 16 Jahre - Stand: 9. Juni 2010