Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet
Liebevoll faltete ich meine Shorts zusammen. Ich sollte sie bügeln. Als ich sie mit meiner besten Freundin gekauft hatte, da lachte ich noch über den Schlitz in der Hosenöffnung. Männerboxershorts eben. Am liebsten würde ich immer solche tragen, doch sie passen nicht wirklich unter meine Jeans.
Wobei ich meine Jeans ja auch nicht mag, sie liegen zu eng an der Haut.
Kann mir mal einer sagen, was falsch mit mir ist? Manchmal wünsche ich mir, ich wäre als Junge geboren worden. Aber als ein femininer Junge ... komisch, ich weiß.
Warum bin ich so, wie ich bin. Ich habe eigentlich nicht das Recht, mich zu beklagen. Mein Gesicht ist ziemlich hübsch, meine Figur normal. Dumm bin ich jetzt auch nicht unbedingt, und gesund kann ich mich auch nennen.
Das Telefon klingelte. Durch meine Kleider stakend, die wie immer auf dem Boden herumflogen, kämpfte ich mich zu meinem Handy vor. Eine frische Brise kam vom Fenster hereingeweht. Seit der letzten Woche hatten wir jeden Tag um die 30°C. Ein Umstand, der eine beschwingende Aktivität in meinem Körper freigesetzt hatte und mich wie in Ferien fühlen ließ. Dabei hatten wir noch gute zwei Wochen nervige Schule.
„Ja?“, nahm ich den Anruf entgegen.
„Darling!“, quiekte es mir euphorisch entgegen. „Hast du Zeit?“ Wie immer kam sie direkt auf den Punkt.
„Hi Franzi. Für was denn Zeit?“
„Ach, mir ist langweilig und da wollte ich fragen, ob du Lust hast rüberzukommen.“
„Klar“, stimmte ich zu. Warum nicht, besser als alleine im Haus herumzugammeln.
An der Tür öffnete mir ihr Bruder Alex. Er war drei Jahre älter als ich, was bedeutete, dass er schon die stolze 20 erreicht hatte.
„Hi Luan. Franzi ist im Garten und lässt sich rösten“, begrüßte er mich freundlich lächelnd und ließ mich ein. Ich nickte und strebte gleich durchs Wohnzimmer auf die Terasse zu.
Alex war ... hm, wie sollte ich sagen? Er war nett. Aber etwas komisch, irgendwie. Er war immer so korrekt und akkurat ... und immer zu Hause. Manchmal fragte ich mich, ob er überhaupt Freunde hatte. Wenigstens hörte er gute Musik.
Franzi hatte ihn einmal als schüchternen Perfektionisten beschrieben. Ich glaube, sie traf ihn damit ziemlich gut.
Meine beste Freundin war schon fast eingeschlafen, als ich ihr ihr Glas über den Bauch auskippte. Kreischend fuhr sie auf. Ich lachte und rannte davon.
Das ganze endete in einer wilden Wasserschlacht.
„Boah, bin ich nass“, kicherte ich und zog an meinem T-Shirt. Mit einem schmatzendem Plop löste es sich von meiner Haut. „Schlammig bin ich auch.“ Zu meinem Verdruss bin ich nämlich auch volle Kanne auf die Erde geflogen.
„Hahahaha“, lachte Franzi, nicht minder vor sich hintropfend. „Komm, lass uns duschen und die Kleider wechseln.“
Als gute Gastgeberin, die sie war, durfte ich mir auch als erste den Schmutz runterwaschen. Sie hatte mir zudem trockene Klamotten bereit gelegt.
Wieder wie ein normaler Mensch fühlend, verließ ich das Bad und öffnete die Tür zu ihrem Zimmer.
Erm ... dachte ich jedenfalls. Verwirrt blieb ich stehen. Mir war schon klar, dass es eine Weile her ist, seitdem ich das letzte Mal hier war. Meistens treffen wir uns halt doch in der Stadt. Aber dass sich ihr Zimmer so radikal geändert hatte ...
Scherz, ja. Ich weiß, er war nicht lustig. Dummerweise hatte ich wohl die falsche Tür erwischt und Alex’s Zimmer anvisiert. Mich selbst vor die Stirn schlagend, wollte ich sie schon wieder schließen. Doch mein Blick blieb an etwas hängen.
Warum war Alex auch nicht wie gewohnt in seinem Zimmer. Wo war er überhaupt. Das hätte bestimmt das Kommende verhindert. Für wie lange, ich weiß es nicht. Vielleicht für immer, oder auch nur für ein paar Tage.
Ich hatte nicht gewusst, dass er wie Franzi auch einen begehbaren Schrank hatte. Jedenfalls nahm ich an, dass sich hinter der angelehnten Tür einer befand. Doch das war es nicht, was mich innehalten ließ. Es war das, was auf dem Boden zwischen dem Türspalt hervorlugte.
Seit wann schmeißt Franzi ihre Schminkutensilien in Alex‘ Zimmer. Sie fand ihren Bruder ohnehin uncool und konnte ihn somit nicht wirklich leiden. Ich hatte ihre Meinung nie geteilt. Irgendwie fand ich ihn ja süß.
Ich lief also in sein Zimmer hinein, um ihren Lippenstift zu holen. So wie ich sie einschätzte, vermisste sie ihn schon.
Über sie grinsend bückte ich mich, um ihn aufzuheben. Während meine Finger den Gegenstand ergriffen, fiel mein Blick ins Innere hinter der Tür. Ich gab ihr einen Schubs, sodass sie etwas weiter aufschwang.
Schluckend richtete ich mich auf und öffnete sie endgültig.
„Geschockt?“, flüsterte es leise hinter mir.
Erschrocken wirbelte ich herum. Alex stand dort, schaute mich traurig an.
„Ich hatte sie immer geschlossen gehalten, schön abgeschlossen. Nur heute habe ich es wohl versäumt gehabt.“
Ich schluckte. War es eine Rechtfertigung? Irgendwie ja schon. Doch nicht wirklich für das, was hinter der Tür war. Eher für die Tatsache, dass ich darauf aufmerksam geworden bin.
Langsam schüttelte ich den Kopf. „Nein“, meinte ich. „Nein, ich bin nicht geschockt.“ Ich hielt inne, schaute ihm wieder in die Augen.
„Ich bewundere dich“, flüsterte ich. „Denn auch ich habe eine verschlossene Tür in meinem Zimmer. Vielleicht schaffe ich es auch irgendwann einmal, sie nur anzulehnen.“
Er nickte, verstand was ich meinte.
Es war Schminke gewesen. Schminke, Schuhe und wunderschöne Kleider. Frauenkleider.
Autorin / Autor: auro, 17 Jahre - Stand: 11. Juni 2010