Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet
Draußen schien die Sonne, als der Apfelbaum plötzlich zu blühen begann. Die Blätter waren noch von einem zarten Grün, während die rötlichen Blüten die Pflanze in einen bunten Zwerg verwandelten. Doch dann begann es zu regnen und als der Regen aufhörte, waren die Blüten abgefallen und weggewaschen. An ihrem Platz hingen nun kräftige, dicke Äpfel, die mir fast zu zulächeln schienen. Der eine rief: „Iss mich, iss mich, ich enthalte 66,7 % Vitamin C des Tagesbedarfs eines 14-Jährigen!“ Darauf antwortete ein anderer: „Wie lächerlich: ich enthalte 77,9% des Bedarfs vom C eines 76-Jährigen!“ Langsam kam mir das Ganze komisch vor. Warum verwandelten sich Apfelblüten in Äpfel, obwohl es nur kurz geregnet hatte? Dies beschäftigte mich mehr als die Tatsache, dass die Äpfel sprechen konnten. Ich meine, mein Bruder kann auch sprechen...
Plötzlich hörte ich hinter mir eine Tür quietschen und drehte mich um. Die Tür, auf die ich nun blickte, war aus hellbraunem Buchenholz. Jene war nur angelehnt und aus dem Türspalt drang helles Licht. Ich bewegte mich auf die Tür zu. Nein besser gesagt, sie zog mich magisch an. Ich wusste, wenn ich diese Tür öffnete, würde ich irgendeine Lösung finden.
Der Raum in dem ich mich befand, war nicht sehr groß. Aus dem Spalt der angelehnten Tür drang ein wunderbarer Geruch nach gebackener Pflaume oder Kirsche oder vielleicht Apfel. Meine Spannung wuchs. Jetzt legte ich die Hand auf das helle Holz, um die Tür auf zu stoßen, mein Herz klopfte wild im Brustkorb und - aua!
Ich schlug die Augen auf und blickte an die grüne Decke. Mein Rücken schmerzte noch durch den Aufprall, als ich aus dem Bett gefallen war. Noch ganz verwirrt vom Traum, rieb ich meine Augen. Meine Hand taste noch nach dem Wecker, als die Kirchturmuhr acht schlug. Der Schreck rauschte mir durch alle Glieder, denn 08:14 Uhr fuht meine Straßenbahn. Es war so gut wie unmöglich die Bahn jetzt noch zu erreichen. Mit einer Banane in der Hand und offenem Schnürsenkel jagte ich durch die Straße, um die Bahn zu erhaschen.
Da ich die Bahn verpasste, kam ich zu spät zur Vorlesung. Der Professor hatte mit dem Sezieren der Leiche schon begonnen. Die meisten Studenten hingen mit bleichen und angeekelten Gesichtern auf ihren Stühlen herum; Anatomie war bei den Wenigsten beliebt, doch Nies liebte dieses Fach. Er kramte gerade im Bauchraum als ich, ohne zu klopfen die Bude stürmte. Alle blickten natürlich zur Tür, um den zu Spätkommenden mit kritischen Blicken zu strafen. Wie eine besonders helle Scheinwerferlampe trafen mich ihre Blicke. Auch Nies hielt den Zuspätkommenden spannender als den Dickdarm und der Blick seiner dunkelbraunen Augen stach so tief in meine Wange, dass ich augenblicklich rot wurde. Warum findet man nie ein Mausloch, wenn gerade eins gebraucht wird? „Na Fräulein Amila, wollten wir uns heute einmal im Glanz der Unpünktlichkeit sonnen?“, fragte der verehrte Professor und wandte sich wieder seiner Leiche zu.
„Dein Schnürsenkel ist offen.“, sagte Nies und blickte mir direkt in die Augen. Ich weiß nicht mehr genau, wo mein Verstand in diesem Augenblick war und so stammelte ich nur ein kränkliches „dankeschön“. Als ich mich bückte, um meinen Schuh wieder zu zubinden, öffnete sich die Tür und versetzte mir einen Stoß. - Da lag ich also, mitten auf dem Boden, direkt unter dem Blick von Nies. Von da an wusste ich, der Tag konnte nur noch schlimmer werden...
Kann mir irgendjemand das System der Liebe erklären? Warum passieren mir immer die peinlichsten Dinge vor Nies? Nach diesem peinlichen Tag konnte ich mich auf jeden Fall nicht mehr in der Uni sehen lassen. Vielleicht sollte ich das Land verlassen und auswandern? Ich entschied mich früh ins Bett zu gehen und schlief sofort ein.
Wieder stand ich in diesem Raum und blickte aus dem Fenster, wo der Apfelbaum zu blühen begann. Als ich mich umdrehte, war die Tür immer noch angelehnt und das helle Licht strömte aus dem Spalt. Plötzlich ahnte ich, welches Problem ich lösen sollte. Die Tür wollte mir das Geheimnis zeigen, wie ich mich Nies nähern konnte. Doch was könnte mir ein bewegbares Holzbrett schon sagen?
Wieder zog der Duft durch den Türspalt hindurch in meine Nase. Ich konnte den Geruch von gebackener Pflaume oder Kirsche, nein Apfel, wahrnehmen. Gebackener Apfel? Apfelkuchen! Die Lösung des Problems hieß Apfelkuchen – danke liebe Tür! Sie schloss sich wieder quietschend.
Ich wachte auf und sah auf den Wecker - 06:34 Uhr morgens. Ich hatte also noch genügend Zeit einen Apfelkuchen zu backen.
Auch an diesem Morgen verpasste ich die Bahn. Mit dem Apfelkuchen in der Hand, denn ich in eine durchsichtige Folie gewickelte hatte, stürmte ich die Treppe hoch. An der Tür des Vorlesungsraumes klebte ein weißes A4 Blatt: „Die Vorlesung zum chemischen Ionennachweis fällt aus Krankheitsgründen heute leider aus.“ Mein Herz sank buchstäblich in meinen Magen und verursachte dort ein flaues Gefühl. Traurig sah ich auf den Apfelkuchen hinab – die ganze Aktion war völlig umsonst gewesen! Die anderen Studenten und Nies waren gewiss pünktlich gekommen und lasen den Zettel eher als ich. Meine Chancen Nies einzuholen, standen also bei null. Ich drehte mich mit hängendem Kopf um und zuckelte in Richtung Treppe. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich gar nicht bemerkte, wie jemand die Treppe hinaufrannte. Wir sahen uns wohl beide nicht und so prallten wir auf dem oberen Treppenabsatz aneinander. Dabei plumpste ich gegen die Mülltonne, die neben dem Treppengeländer stand. Mein Apfelkuchen aber segelte in hohem Bogen durch die Luft und landete mit einer unglaublichen Zielgenauigkeit mitten in diese. Tschüssi Apfelkuchen war nett mit dir!
„Oh nein, das tut mir echt Leid – hab dich einfach nicht gesehen! Reicht als Entschädigung, wenn ich dich zum Café trinken einlade?“, fragte der Treppenraser. „Mir ist zwar nichts passiert, aber die Einladung nehme ich gerne an. Die Vorlesung fällt eh aus!“, meinte ich und lächelte Nies zu.
Autorin / Autor: Sophie-Viktoria, 16 Jahre - Stand: 15. Juni 2010