Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet
Ich kam gerade vom Sport und ging unsere Straße entlang. Es war sehr ruhig. Nur ein paar Vögel zwitscherten und eine Wolke war am Himmel zu sehen. Ich ging gerade an dem Haus unserer Nachbarin vorbei, als ich bemerkte, dass die Haustür nur angelehnt war. Ich schaute mich um, um zu sehen, ob sie vielleicht bei einer anderen Nachbarin im Garten saß, Kaffee trank und sie die Tür zu schließen vergessen hatte. Aber ich sah sie nirgends. "Veronica, sind Sie da?“, fragte ich vorsichtig. Aber keiner antwortete. „Komisch,“ dachte ich erst einmal, das war sonst gar nicht ihre Art. Sie war eine der freundlichsten Personen in dieser Straße. Aber vielleicht war sie ja auch einfach kurz bei jemandem mit ins Haus gegangen, um etwas zu reparieren. Darin war sie nämlich die Beste. Für eine Frau vielleicht ungewöhnlich, aber sie war schon als kleines Mädchen davon begeistert gewesen alles zu reparieren. Das hatte sie mir mal erzählt. Ich war oft bei ihr. Sie konnte gut zuhören und erzählen. Es war nie langweilig bei ihr, im Gegenteil, es war immer lustig. Und wenn ihre Enkelkinder da waren, dann durfte ich auch ab und zu mal auf die beiden aufpassen, wenn sie etwas mit ihrer Tochter unternehmen wollte. Ich ging zu mir ins Haus und stellte meine Sportsachen in den Flur. Bei uns war im Moment keiner zu Hause. Meine Mutter war arbeiten und mein Vater auch. Da hörte ich wie Penny, unser Hund, angelaufen kam. "Hallo Penny, na wie geht’s?“, fragte ich sie und streichelte sie hinter den Ohren. Sie gab nur ein einfaches "Wuff“ von sich. Ich nahm die Hundeleine und ging mit ihr eine Runde ins Feld. Sie tobte sich richtig aus. Ich war schon froh, dass wir vor fast zwei Jahren hierher gezogen sind. Es ist viel schöner hier und mein Schulweg ist auch nicht mehr so lang. Langsam traten wir den Rückweg an.
Als ich wieder an Veronicas Haus vorbeikam, war die Tür immer noch angelehnt. Penny fing an zu bellen. "Psssst Penny, aus!!!“, sagte ich und versuchte sie zu beruhigen. "Veronica“, rief ich. Aber es kam keine Reaktion. Vorsichtig öffnete ich die Tür und schaute mich um. Es schien alles normal zu sein. Ich ging leise mit Penny durch den Flur. Wenn es darauf ankam leise zu sein oder jemanden reinzulegen, dann war es Penny, die das am besten konnte. Sie war ein Deutscher Schäferhund und als Polizeihund ausgebildet. Mein Vater, der Polizist ist, nahm sie auch manchmal mit zur Arbeit, wenn sie gerade einen schwierigen Fall zu lösen hatten. Wir schauten vorsichtig in die Küche. Nichts! Im Bad, wieder nichts! Als wir das Wohnzimmer betraten, hörte ich jemanden schwer atmen. Penny schien es auch gehört zu haben. Sie lief hinter das Sofa und fing an zu winseln. Ich ging auch dorthin und sah Veronica auf dem Boden liegen. "Veronica! Was ist passiert?“, fragte ich sie. Sie bewegte sich nicht. Nur ihr Brustkorb hob und senkte sich ganz langsam. Da schlug sie die Augen auf und brachte ein leichtes Lächeln hervor. Sie hob die Hand und strich mir über die Wange. Ich holte mein Handy heraus und wählte die Notrufnummer. Schnell gab ich alles durch. Dann sprang ich auf und holte ein Kissen und eine Decke. "Es wird alles wieder gut“, sagte ich zu ihr. Penny hatte sich ganz still neben sie gelegt. "Deine Mutter hat es dir noch nicht gesagt oder?“, fragte sie mit zittriger Stimme. Ich schüttelte den Kopf und schaute sie verwundert an. "Was soll sie mir gesagt haben?“ Meine Mutter verstand sich auch gut mit Veronica und sie tranken oft zusammen Kaffee. Aber was wusste sie, was meine Mutter mir nicht sagen wollte?
"Tja, ich werde alt und ich.......ich bin halt nicht mehr die Jüngste. Jedenfalls habe ich schon am Anfang des Jahres gemerkt, dass es mir nicht mehr so gut geht wie in den letzten Jahren und meine Sinne lassen mich auch langsam im Stich. Aber ich möchte, dass du eines weißt: Du bist ein sehr kluges, nettes, hilfsbereites und lustiges Mädchen. Du warst für mich da, wenn es mir schlecht ging und hast mich zum Lachen gebracht. Du warst ein prima Kindermädchen. Immer wenn die Kleinen wieder zu Hause waren, wollten sie wissen, wann sie dich wieder sehen können.“ Ich hörte ihr aufmerksam zu. "Vorhin, als ich nur kurz die Blumen vor der Haustür gießen wollte, wurde mir schwindelig und ich bin ins Wohnzimmer gegangen um meine Tabletten zu nehmen und ein Glas Wasser zu trinken. Da wurde mir plötzlich schwarz vor Augen.“
"Das wird wieder“, sagte ich und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Dann hörte ich, wie der Krankenwagen kam und auf einmal fielen ihre Augen zu. "Veronica! Veronica!“, schrie ich. Ich hatte auf einmal richtig Angst. Penny stand auf und lief zur Tür. Dann kam sie mit den Sanitätern zurück. Ich hörte alles nur noch dumpf. Sie holten eine Trage. Ein Sanitäter sprach mich an, aber ich verstand ihn nicht. Penny bellte dauernd. Ich rief sie zu mir. Sie kam und winselte. Das war das Einzige, was ich noch wahrnahm. Dann sah ich noch wie meine Mutter zur Tür hereinkam. Plötzlich löste sich alles in mir und ich fing heftig an zu weinen. Sie schoben sie raus und meine Mutter nahm mich in den Arm. Ich ließ mich einfach fallen und irgendwann war ich so müde, dass ich einschlief.
Als ich wieder aufwachte, lag ich in meinem Bett. Ich schaute mich in meinem Zimmer um. Die Abendsonne schien gerade durch mein Fenster. Penny lag in ihrem Körbchen. Sie stand auf und leckte mir einmal übers Gesicht. "Ach Penny“, sagte ich und kraulte sie hinter den Ohren. Dann sprang ich auf und rannte die Treppen runter. Meine Mutter und mein Vater saßen auf dem Sofa, jeder hatte ein Glas Wein in der Hand. Sie schauten beide in den Garten. "Ich weiß nicht, wie ich es ihr sagen soll“, sagte meine Mutter schließlich. "Ich bin mir sicher, dass du eine Möglichkeit findest“, sagte mein Vater und küsste sie aufs Haar. "Dann sag es mir doch einfach jetzt.“ Ich ging ins Wohnzimmer und setzte mich vor sie. Meine Mutter schaute meinem Vater kurz in die Augen, dann stellte sie den Wein auf den Tisch. "Veronica wurde ins Krankenhaus gebracht und........sie ist dort....verstorben. Es tut mir so leid, ich weiß, wie gern du bei ihr warst. Aber jetzt ist es nun mal so gekommen. Ich, ich hätte es auch nicht gewollt.“ Ihre Stimme bebte zum Schluss. Nun kamen auch ihr die Tränen. Papa stellte auch seinen Wein auf den Tisch und nahm sie in den Arm. Ich stand auf und setzte mich neben Papa. Er zog auch mich an sich ran. Und zuletzt kam auch noch Penny mit aufs Sofa, was sie normalerweise eigentlich nicht durfte. Aber heute machten wir eine Ausnahme. So saßen wir eine Weile. Da das Sofa groß genug für uns drei war, richteten Papa und Mama es her, so dass wir dort heute Nacht schlafen konnten. Ich holte nur schnell noch Pennys Korb. Wir legten uns alle hin und unterhielten uns noch ein wenig über die Zeit mit Veronica. Wir lachten auch über die lustigen Momente mit ihr. Es wurde doch noch ein recht fröhlicher Abend. Dann rief nur noch kurz ihre Tochter Michelle an und wir sprachen ein wenig. Ich redete auch noch mit ihren Kindern Linda und Lukas. Linda ist sechs Jahre alt und war immer sehr verschlossen gewesen. Damals hatte sie sich mir als einzige anvertraut und seitdem war sie wieder fröhlich. Lukas ist vier Jahre alt. Und wenn ich auf die beiden Kinder aufgepasst habe, dann haben sie mich immer ganz schön auf Trab gehalten. Nachdem wir das Telefonat beendet hatten, legte ich mich wieder aufs Sofa. Mama legte noch eine CD ein. "Ich glaube, da wo sie jetzt ist, wird sie glücklich werden“, sagte sie und gab mir einen Kuss aufs Haar. "Das finde ich auch“, sagte Papa. "Ich hoffe es. Und dass sie ihre Familie, ihre Freunde und uns nie vergessen wird“, sagte ich, kraulte Penny, die neben mir lag, zwischen den Ohren. Dann schlief ich ein.
Ein paar Wochen vergingen.
Es hatte sich nicht viel verändert. Michelle war mit ihrem Mann, Linda und Lukas in das Haus ihrer Mutter gezogen. So sah ich sie auch jeden Tag. Linda war nach dem Tod ihrer Oma wieder ganz verschlossen gewesen und Michelle wäre fast durchgedreht. Und diesmal hat Linda sich uns allen anvertraut. Sie hatte gesagt, dass sie sich immer, wenn jemand stirbt, in sich zurückzieht. Damit versucht sie, die schönen Momente, die sie mit der Person genossen hatte, in sich festzuhalten. Das hatte sie auch damals gemacht, als ihr Opa und ihr Hamster gestorben waren. Und ich verstand sie völlig. Denn es gibt einen Menschen nur einmal und dann sollte man jeden Moment mit ihm genießen, den man geschenkt bekommt. Und das versuche ich auch mit meiner Familie zu genießen. Aber das Leben geht weiter und ich werde versuchen, mich jeden Tag daran zu erfreuen. Auch wenn Veronica jetzt nicht mehr da ist.
Autorin / Autor: Annika, 14 Jahre - Stand: 15. Juni 2010