I love you forever

Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet

„Mmhh...“. Tief sog ich den Duft der Blumen ein, während wir durch die Allee fuhren, die zu dem
Haus meines Onkels führte. Ich blickte nach vorne zu Charles, dem Butler meines Onkels. Er war
groß und schlank, hatte einen strengen Seitenscheitel und platt auf den Kopf geklebte Haare.
Charles war ein typischer englischer Butler.
Mein Onkel war einer der reichsten Männer der Welt, denn er besaß mehrere Firmen. Jack, mein
Onkel, wohnte in einer riesigen Villa, die auf einem noch größeren Grundstück stand. Der Wagen
hielt an. Ich stieg aus und schwang mir meine Tasche über die Schulter. Mein Onkel lief schon auf
mich zu und drückte mich an sich. „Schön dich mal wiederzusehen, Scarlett.“ Ich erwiderte seine
Umarmung. „Na dann, komm rein“, sagte er und führte mich die Veranda hoch, in die
Eingangshalle.
Rechts und links führten zwei Wendeltreppen in das obere Stockwerk. Geradeaus führte eine Tür in
die Küche. „Ähhm...“, mein Onkel räusperte sich. „Du musst die rechte Treppe hoch und dann die
dritte Tür rechts“, wies er mir den Weg. „Okay.“ Ich nickte. „Ich bin dann in meinem
Arbeitszimmer.“ Er wandte sich um.
Langsam setzte ich einen Fuß nach dem anderen auf die Stufen. Als ich am oberen Ende der
Treppe ankam, befolgte ich Jacks Wegweisung. Ich öffnete die dritte Tür auf der rechten Seite –
und landete in meinem persönlichen Paradies. Das Zimmer war riesig. Es hatte große, hohe und
viele Fenster, durch die das Abendlicht hereinflutete. Am hinteren Ende stand eine riesiges
Himmelbett mit pfirsichfarbenen Vorhängen. Das ganze Zimmer war in angenehm warmen Farben
gestaltet. Ich ließ meine Tasche zu Boden fallen, kickte meine Schuhe von den Füßen und legte
mich auf das Himmelbett. Ich schloss meine Augen und lauschte auf die Geräusche, die durch die
geöffneten Fenster drangen. Summen, Zirpen, Quietschen und Vogelgesänge vermischten sich zu
einem einzigen monotonen Geräusch, dass mich in den Schlaf wiegte.
Ich schreckte auf. Das Mondlicht schien hell in mein dunkles Zimmer, doch das hatte mich nicht
geweckt.
Da war es wieder!
Jemand spielte Klavier. Die Musik zerriss mir das Herz. Mal war sie leise, zart und weich, doch
dann schwoll sie zu einer harten Melodie an, die voller Angst, Verzweiflung und Traurigkeit war.
Jemand erzählte sein Leben, nur durch die Tasten des Klaviers. Ich kannte nur einen, der so spielen
konnte – aber das konnte nicht sein.
Ich schlug meine Decke zurück und kletterte aus dem Bett. Vorsichtig tapste ich zur Tür. Das
Mondlicht leuchtete mir den Weg. Leise drückte ich die Klinke meiner Zimmertür herunter und
spähte auf den Flur. Wie in einem magischen Bann zog mich die Melodie weiter zu einer
angelehnten Tür. Die Musik war jetzt ganz nah.
Ich legte meine Hand auf die Klinke. Sollte ich wirklich die Tür öffnen? Oder wieder in mein Bett
zurückgehen? Doch meine Neugierde siegte. Ohne ein Geräusch zu machen zog ich die Tür auf und
machte den ersten Schritt in das Zimmer.
Mein Fuß wurde von einem gewaltigen Sog in die Dunkelheit gezerrt. Ich überschlug mich, wurde
von der Luft wie ein Ball behandelt. Mein Magen wanderte langsam in meine Kehle hoch. Mühsam
versuchte ich ihn wieder an die richtige Stelle zu kriegen. Doch während meines ganzen
Horrortrips, ließ mich die Melodie, die mir so vertraut war, nicht alleine. Abrupt endete meine
Höllenfahrt und ich schlug hart auf dem Boden auf. Die Musik brach ab.
„Scarlett?“ Die Stimme klang ungläubig. Tränen des Schmerzes rannen mir über die Wangen. Die
Stimme, die so dunkel, weich und kraftvoll war, hatte ich zuletzt vor einem Jahr gehört. Es war die
Stimme meines verstorbenen Freundes.
Langsam richtete ich mich auf und drehte mich um. Und da stand er, genau wie ich ihn in
Erinnerung hatte.
„A...Aber d...du...“ Meine Stimme versagte. Will und ich waren das Traumpaar der High School
gewesen. Doch dann starb Will bei einem Autounfall. Ich war am Boden zerstört gewesen. Konnte
nicht mehr lachen. Ich empfand keine Gefühle mehr. Dann war es besser geworden. Ich war wieder
ich selbst gewesen. Doch wenn ich nur an ihn denken musste oder jemand seinen Namen nannte,
zog sich mein Herz vor Schmerz zusammen und ich bekam keine Luft mehr.
Und jetzt stand er vor mir, wie eh und je. Langsam, Schritt für Schritt, kam er auf mich zu. Ich
stürmte los und flog ihm in die Arme. Ich klammerte mich an ihn und schluchzte in sein Hemd.
Beruhigend streichelte er mir über den Rücken.
„Wieso lebst du?“, stammelte ich, als ich mich einigermaßen beruhigt hatte.
„Ich lebe nicht“, erwiderte er. Sanft löste er meine Hände von seinem Rücken und legte sie auf
seine Brust.
Kein Herzschlag. Nichts. Er war im Himmel. Wir waren im Himmel.
Dann war diese Tür, durch die ich gekommen war, ein Tor zwischen Tod und Leben.
„Spielst du für mich?“, fragte ich tonlos. Noch immer rannen mir Tränen über die Wangen. Er
nickte. Er stellte mir keine Fragen wie hergekommen war. Er nickte einfach nur.
Will zog mich zu dem großen, schwarzen Flügel der in der Mitte des Raumes stand. Ein paar
Kerzen standen auf ihm, und erhellten das Zimmer mir flackerndem Licht. Er bedeutete mir, mich
neben ihn auf die Klavierbank zu setzen.
Eine Weile beobachtete ich seine Finger, wie sie sicher und geschwind auf der Tastatur
umherhuschten, dann schloss ich meine Augen und lehnte mich an seine Schulter.
„Ich habe jeden Tag, nur für dich gespielt, und gehofft das du es hörst“, flüsterte er in mein Haar
und drückte mir einen Kuss auf die Stirn.
Wieder wurde ich von einem Sog fortgerissen. Weg von Will. Ich wollte mich an ihn klammern,
doch da war es schon zu spät.
Diesmal war die Fahrt nicht so schrecklich, wie die erste, denn die Melodie bildete eine Schutzhülle
um mich.
Wieder rannen mir Tränen über die Wangen. Wieder wurde er mir fortgenommen.
Als ich am nächsten Morgen von der Sonne geweckt wurde, ließ ich mir alles, was letzte Nacht
geschehen war, nochmal durch den Kopf gehen. Rasch schwang ich meine Füße aus dem Bett und
eilte zur Tür von gestern Nacht. Ich versuchte sie zu öffnen – doch sie war abgeschlossen.
Da wehte ein Luftzug unter der Tür einen Zettel zu mir.
`Schau auf deinen i-pod`, stand in Wills Handschrift darauf. Hastig rannte ich in mein Zimmer,
zerrte den i-pod aus meiner Tasche, steckte die Ohrstöpsel in meine Ohren und drückte auf Play.
Da erklang das Lied, das er mir gestern vorgespielt hatte. Es hieß I love you forever.

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Autorin / Autor: Julia, 12 Jahre - Stand: 15. Juni 2010