Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet
„Lena! Bitte, ich will mit dir reden!“ „Isabelle. Hau ab. Verschwinde einfach!“ „Aber ich wollte doch nur…“ „Lass. Mich. In. Ruhe!!!“
Jedes von Lenas Worten ist ein Satz. Und jeder Satz ist wie ein Messerstich mitten ins Herz. Kalt und grausam. Ich will noch einen letzten Versuch starten, aber Lena lässt mich nicht zu Wort kommen. „Isabell, jetzt hör mal zu. Du und ich, wir sind keine Freundinnen mehr!“ Mit diesen Worten rauscht sie auf die andere Straßenseite und verschwindet zwischen den Blockhäusern. Ich bleibe auf der Straße stehen und blicke ihr noch lange nach. Langsam wende ich mich und renne nach Hause. Ich will niemandem begegnen, mit tränenverschleiertem Blick stolpere ich die Einfahrt hoch, öffne die Haustür und renne in mein Zimmer. Mein Fenster ist offen und ich kann auf die Straße sehen. Dort, wo meine ehemalige Freundin und ich eben noch gestanden haben, geht jetzt ein Mann mit Hund spazieren. Spürt er denn nicht die Gefühle in der Luft? Die Wut, die Trauer, die Verzweiflung? Oder haben wir sie eingepackt wie in einen Rucksack, und mitgenommen? So jedenfalls fühle ich mich.
Kurze Zeit später liege ich auf meinem Bett und lasse den Tränen freien Lauf. Ich fühle mich leer, als wäre all mein Leben aus mir herausgelassen worden wie Luft aus einem Ballon. Also schließe ich die Augen. Doch dann kommen die Erinnerungen von gestern wieder. Ich versuche sie verdrängen, doch schließlich übermannen sie mich und der ganze Film des gestrigen Tages spielt sich wieder ab.
Ich bin bei Lena zu Hause in ihrem Zimmer. Sie hat heute „Nachhilfe“, aber ich weiß, dass sie auf den Typen steht. Ich habe ihn schon mal gesehen (behauptet Lena), und heute will sie ihn mir richtig vorstellen. Nach Lenas Geschmack müsste er ja eigentlich ganz gut aussehen. Es klopft und meine beste Freundin schiebt ihren „Lehrer“ zur Tür rein. Er sieht wirklich gut aus – und ich kenne ihn. Tommy, der wahrscheinlich hübscheste Typ der ganzen Schule. Vielleicht hätte ich Lena erzählen sollen, dass er und ich uns schon oft getroffen haben und er mich dann immer ganz besonders lieb ansieht… Doch nun ist es zu spät, denn Lena dirigiert mich aus ihrem Zimmer und knallt mir die Tür vor der Nase zu. Mindestens eine viertel Stunde stehe ich davor und weiß nicht, was ich machen soll. Schließlich geht die Tür auf und eine glücklich grinsende, gerötete Lena erscheint. „Ich muss mal“, kichert sie und verschwindet Richtung Badezimmer.
Die Tür ist nur angelehnt. Durch den kleinen Spalt kommt ein Geruch, der immer, wenn Tommy in der Nähe ist. Es duftet nach Erdbeeren und frischen Blumen, nach Sonnenschein, Sommer und Meer. Manchmal bilde ich mir ein, der Duft nimmt die Form von Rauch an, rosarot und mich umwabernd.
Ich komme der Tür immer näher, während der Duft herauskommt und mich bereits umgibt. Dann öffne ich die Tür und blicke Tommy direkt in die Augen. Wir lächeln beide, während ich wie in Trance auf ihn zugehe. Doch dann liegen wir uns schon in den Armen, es existiert keine Welt mehr um uns herum, sondern nur noch wir und unsere Liebe füreinander. Die ganze Luft ist erfüllt von seinem Geruch, mir wird davon ganz schwindelig. „Isa, ich glaube, du solltest jetzt besser gehen.“ Lenas Stimme schneidet eiskalt die Luft. Erschrocken starre ich erst sie, dann Tommy an. Dann stehe ich langsam auf und bewege mich auf den Ausgang zu. Mir kommt es vor, als würde sich der Duft jetzt dunkel färben, danach komplett schwarz, und er beginnt zu stinken – nach Verderben und Tod. „Ein bisschen schneller“, zischt Lena. Ich werfe Tommy einen letzten Blick zu. Seine Gesichtszüge sind hart und abweisend, aber seine Augen strahlen Liebe und Zuneigung aus. Dann schließt sich die Tür und ich gehe zur Haustür. Seufzend trete ich nach draußen und gehe nach Hause.
Das kann nicht wahr sein! Weinend drehe ich mich auf die andere Seite und versuche wieder einzuschlafen. Ich werde Lena immer brauchen, aber ich kann Tommy nicht für sie aufgeben. Es sind zu viele Gedanken, alle wirbeln in meinem Kopf durcheinander. Plötzlich kommt meine Mutter herein, sie balanciert eine Tasse Tee und ein bisschen Zwieback auf einem Tablett. „Macht es dir etwas aus, wenn ich dir das bringe? Du hast fast einen ganzen Tag geschlafen… ich dachte, ich komme herein, die Tür war nur angelehnt.“
Ich erwidere nichts, sondern lasse mich von einer Welle der Gefühle überrollen und im Tränenmeer versinken.
Autorin / Autor: Carolin, 13 Jahre - Stand: 15. Juni 2010