„Nein, nein, nein. Das ist ein Zauberlicht!“
An Wohltätigkeitsprojekten für die Schule mitzuarbeiten fand ich noch nie besonders spannend. Meistens mussten wir in irgendein langweiliges Altersheim fahren und dort mit irgendwelchen fremden Menschen Schach spielen oder ihnen etwas vorlesen.
Ab und zu wollte unsere Klassenlehrerin aber besonders „kreativ“ sein, und statt in ein Altersheim, ging es in ein Obdachlosenheim. Davor graute mir sogar noch mehr.
Es war die Weihnachtszeit, die unsere Lehrerin immer wieder auf solche absurden Ideen kommen ließ. Für sie war es scheinbar unverständlich, dass ein 16-Jähriges Mädchen, wie ich eines war, etwas besseres zu tun hatte als wohltätig zu sein. Meine Zeit verbrachte ich im Idealfall auch lieber im Kino mit ein paar Freunden, oder auch beim Einkaufen.
Trotz allem meinte unsere Klassenlehrerin ein weiteres Mal in der Weihnachtszeit: „So Kinder, es ist wieder Zeit etwas Gutes zu tun.“ Eine Überraschung war das für mich nicht, denn ich hatte bereits die ganze letzte Woche mit einem neuen Projekt gerechnet, aber meine Begeisterung steigerte das auch nicht. Gegen das „etwas Gutes tun“ hatte ich ja nichts einzuwenden. Ich würde sofort alte Kleidungsstücke an irgendein Heim spenden, oder auch Geld, aber hier ging es leider um etwas anderes.
„Morgen werden wir in ein Kinderkrankenhaus fahren und uns dort ein wenig mit Kindern beschäftigen, die an Leukämie erkrankt sind“, fügte unsere Lehrerin in der nächsten Sekunde mit ernster Miene hinzu.
Ich war geschockt, einerseits weil es unschuldige kleine Kinder waren, die anscheinend schwer krank waren und andererseits, weil ich nicht wusste was Leukämie war. Für mich klang das wie eine ansteckende Krankheit, und selbst krank werden wollte ich wirklich nicht. Wie es aussah, war ich aber nicht die einzige in meiner Klasse, die von diesem Gedanken geplagt wurde. Aus allen Ecken hörte man ein Tuscheln und manchmal sogar einen kleinen Entsetzensschrei.
Den restlichen Tag verbrachte ich damit darüber nachzudenken, was denn diese Leukämie nun wirklich war, und wie die Kinder im Krankenhaus aussehen würden. Ich fragte mich, ob man ihnen diese Krankheit ansehen würde, aber vor allem beschäftigte mich die Frage, was ich zu ihnen sagen würde. Ich wollte auf keinen Fall etwas Falsches sagen, aber mit solchen Situationen hatte ich noch keine Erfahrung.
Am nächsten Tag war es soweit. Unsere ganze Klasse hatte sich bereits im Kinderkrankenhaus versammelt, wo und eine junge Krankenschwester erklärte, was uns erwarten würde. „Jeder von euch wird jetzt einem Kind zugeteilt, mit dem ihr euch dann den Rest des Tages beschäftigen könnt“, begann sie. „Die Kinder hier leiden an Leukämie, Blutkrebs. Ich möchte, dass ihr wisst, dass für die meisten eine gute Heilungschance besteht. Es gibt hier allerdings auch einige Kinder, die vielleicht nicht einmal mehr die Weihnachtszeit überleben.“ Nach dieser kleinen Ansprache war jeder bedrückt und mich plagte ein großen Entsetzen. Es waren doch nur Kinder, wieso sollte es um sie so schlecht stehen?
Während ich noch in Gedanken versunken war, stand vor mir plötzlich ein kleines Mädchen. Es hatte ein wunderschönes, herzförmiges Gesicht mit zwei großen, strahlenden blauen Augen. Was mir sofort ins Auge stach war, dass das Mädchen kaum Haare hatte und das, obwohl es höchstens 7 Jahre alt sein konnte. „Hallo, ich bin Christina“, ertönte sogleich eine glockenklare Stimme. Es war wie ein wunderschönes Weihnachtslied, dass einen alles andere vergessen ließ. Ich wollte etwas erwidern, doch in diesem Augenblick schnappte das Mädchen mich bei der Hand und zerrte mich in ein kleines Zimmer. „Ich muss dir etwas zeigen. Weißt du was das hier ist?“ fragte sie, während sie mir plötzlich eine wunderschöne, brennende Kerze mit goldenen Ornamenten in die Hand drückte. „Eine Kerze?“ antwortete ich fragend, doch da schüttelte Christina ihren kleinen Kopf. Während ich in das brennende Licht blickte und mich ein Gefühl von Wärme und Zufriedenheit durchfuhr, meinte das kleine Mädchen: „Nein, nein, nein. Das ist ein Zauberlicht!“ Ein strahlendes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Ungläubig starrte ich Christina an und fragte vorsichtig: „Zauberlicht? Kann es denn zaubern?“ Und da strahlte das Mädchen noch mehr.
„Merkst du es denn nicht? Es hat ein Lächeln auf dein Gesicht gezaubert!“ erwiderte die Kleine fröhlich und in diesem Moment musste ich tatsächlich feststellen, dass ich lächelte.
Den Rest des Tages verbrachte ich damit Christina Geschichten vorzulesen und mit ihr Spiele zu spielen. Jedes Mal, wenn sie lachte, entstand auch auf meinem Gesicht erneut ein Lächeln. Ich musste feststellen, dass nicht die Kerze mein Zauberlicht war, sondern das kleine Mädchen namens Christina.
Dieser Tag veränderte einiges in meinem Leben, und es sollte auch nicht der letzte Besuch bei dem Kind mit den strahlenden, blauen Augen gewesen sein.
Autorin / Autor: Katharina - Stand: 28. November 2008