Frei zu gehen

Illegale in Deutschland

"Du hast Angst, irgendwohin zu gehen, du hast Angst auf der Arbeit, in der Straßenbahn, du hast Angst, überhaupt herumzulaufen. Das Allerschlimmste wäre, wenn ich jetzt zurück nach Hause geschickt würde und ich hätte kein Geld. Ohne einen Rubel in der Tasche ... Dieser Gedanke liegt mir am schwersten auf der Seele", sagt Barbara W. (Name geändert) aus Weißrussland. Barbara ist eine von vielen, die in Deutschland arbeiten, leben, lieben, Kinder kriegen, krank werden - illegal. Nach Paragraph 92 des Ausländergesetzes kann eine unerlaubte Einreise mit bis zu drei Jahren Freiheitsentzug bestraft werden. Oder Barbara landet in der Abschiebehaft, Dauer bis zu 18 Monaten. Ein teures Hotel: Ein Tag in der Haft kostet 60 Euro. Vor nochmaliger Einreise nach Deutschland muss diese Rechnung, plus die Kosten der Reise in die alte Heimat, beglichen sein - und zwar von den Flüchtlingen selbst.

*Unfrei in der Freiheit*
Seit fünf Jahren ist Barbara hier. Frei bewegen kann sie sich nicht. Von ihrem ersten Geld hat sie sich ein Fahrrad gekauft, um die teure U-Bahn zu umgehen. Die Nerven, um eine mögliche Verkehrskontrolle zu überstehen, hat sie doch nicht. "Obwohl ich immer meinen Fahrradpass und die Rechnung dabei habe", sagt sie. Ihre Papiere aber sind längst abgelaufen. Barbara weiß, warum sie nach Deutschland gegangen ist: "In Minsk haben wir keine Hoffnung mehr. Die Bonzen haben alles im Griff. Es gibt keine Demokratie. Aus Berlin kann ich wenigstens Geld schicken." Illegale arbeiten auf Baustellen, in der Kinder- oder Altenbetreuung, in privaten Haushalten, in Gaststätten. Geprägt sind diese Arbeitsverhältnisse von Rechtlosigkeit und Abhängigkeit. Barbara arbeitet oft 16 Stunden am Tag, sie betreut einen Vierzigjährigen, der im Endstadium Multiple Sklerose hat. Den Sozialhilfeempfänger besucht zwar täglich ein Pflegedienst, aber das reicht nicht. Die Betreuung verlangt hohe Konzentration, der Kranke leidet unter epileptischen Anfällen, kann sich selbst verletzen.

*Die, die keiner will, arbeiten dort, wo keiner will*
In der Nacht muss er jede Stunde in eine andere Lage gebracht werden. Gelernt hat Barbara den Job nicht. "Ich gebe mir die größte Mühe, bin immer pünktlich." Als ihr Patient mal wieder ins Krankenhaus musste, obwohl er nicht wollte, hat Barbara "eine Omi" kennen gelernt. Sie erledigte den Haushalt, machte Grundreinigung in der Wohnung, in der scheinbar seit dreißig Jahren die Fenster geschlossen blieben. Immer wieder vertröstete die "Omi" Barbara mit dem ausgemachten Stundenlohn von fünf Euro. Eines Tages machte "Omi" einfach nicht mehr die Tür auf. Barbara musste ihr Geld abschreiben. Handhabung gegen die "Omi" hatte sie ja keine. Hinter Annoncen, die eine Hilfe im Haushalt suchen, verbergen sich meistens Männer, die fragen, ob sie denn auch etwas anderes könne als nur Haushalt. Barbara legt dann sofort wieder auf.

*Zahnweh? Bein gebrochen?*
Krank werden darf sie nicht: "Auch wenn ich Grippe habe oder starke Menstruationsschmerzen, ich gehe arbeiten, ich muss", sagt sie. Schlimm war es, als ihre Mutter starb, tagelang liefen ihr die Tränen über das Gesicht. Schlimm ist auch, wenn sie so krank wird, dass sie zum Arzt gehen muss. Vom Malteser Migrantendienst hat sie per Zufall erfahren. Dreimal die Woche ist Sprechstunde bei der Ärztin des Malteser Migrantendienst, jedes Mal ist das Wartezimmer überfüllt. Hier wird anonym behandelt, ohne Krankenschein. Menschen unterschiedlichster Nationen stehen bis in die Flure. Gesprochen wird kaum. Die meisten leben illegal in Deutschland. Um 16 Uhr ist Schluss. Dr. Adelheid Franz ist Überzeugungstäterin, hier kann sie wirklich helfen: "Illegale hat es zu allen Zeiten überall gegeben und wird es weiterhin geben. Die Illegalen sind nicht unsere Feinde, sie kommen nicht, um uns zu schaden. Eigentlich müssten sie unsere liebsten Zuwanderer sein: Sie lernen unproblematisch und schnell die deutsche Sprache, kosten uns damit überhaupt kein Geld. Teilweise sind sie sehr qualifiziert. Wir müssen dahin wirken, dass die Menschen in ihren Ländern bleiben können, gute Hilfen vor Ort schaffen. Nicht niemanden mehr rein lassen, sondern: Wir gehen raus."

*Schicksal illegal?*
Bertold Brecht schrieb einmal über Pässe: "Der Pass ist der edelste Teil des Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustande wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird."


Dieser Text wurde uns freundlicherweise von fluter.de, dem Jugendmagazin der Bundeszentrale für politische Bildung zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!

Weitere Infos

Autorin / Autor: Silke Kettelhake, fluter.de - Stand: 8. Juli 2005