Mädchensache - Teil 4

von Marianna Glanovitis

So schnell sie konnten stemmten sich die Mädchen auf das Surfbrett zurück. Als sie alle darauf saßen, schoss der Schatten plötzlich aus dem Wasser und … Sprang direkt vor den staunenden Mädchen hoch in die Luft.
„Es ist ein Delfin!“, sagte Sara, als der Delfin noch mal direkt vor ihren Augen einen weiteren Sprung an den Tag legte - und fast ohne einen Laut und ohne einen Tropfen Wasser zu verspritzen, ins Wasser tauchte.
„Ein großer Tümmler!“, rief Lea staunend.
„Er ist wirklich wunderschön“, murmelte Sara.
„Angeber!“, rief Sabine lachend, als der Delfin einen Sprung direkt über ihr Brett wagte.
„Ich glaube, wir sollten ihn Springer nennen“, sagte Sara. „Weil er so gerne springt!“
„Angeber würde genauso gut passen!“, rief Sabine. „Das ist er nämlich!“
„Ich finde Springer besser“, meinte Lea.
Plötzlich schwamm der Delfin weiter um eine Felsnase herum, die aus dem Wasser ragte. Die Mädchen folgten ihm.
„Wo er wohl hin schwimmt?“, sagte Lea mehr zu sich selbst, als zu den anderen.
Der Delfin sprang noch einmal weit aus dem Wasser und drehte sich dabei um die eigene Achse. Dann tauchte er direkt vor einer Höhle wieder auf.
„Habt ihr diese Höhle schon einmal gesehen?“, fragte Sabine plötzlich.
„Nein“, erwiderte Lea und ihr war auch sofort klar, warum.
„Seht nur, diese Felsen“, rief Sara.
Die Felsen über dieser Höhle waren senkrecht und glatt.
Kein Tritt, kein Vorsprung hätte einen Fallenden davon abgehalten, hinab ins Meer zu stürzen.
Dort hinunterzuklettern, will ich gar nicht erst ausprobieren, dachte Lea und sah die Felsen schaudernd an.
Und es wäre auch gar nicht möglich gewesen, denn über der Höhle war ein offenbar undurchdringliches Dickicht. Sabines Stimme riss sie aus ihren Gedanken.
„Bei allen guten Geistern, diese Felsen würde ja nicht einmal ich herunterklettern!“
„Und das will etwas heißen“, rief Sara lachend und tippte ihrer Freundin an die Stupsnase. Auch Lea lachte.
Sie war erleichtert, dass sie endlich nicht mehr ihren dunklen Gedanken nachhängen musste.
Der Delfin war verschwunden.
„Wir müssen uns diese Höhle einmal genauer ansehen“, sagte Sabine aufgeregt. Auch Sara war Feuer und Flamme.
Nur Lea war nicht sehr begeistert.
Bei dem Gedanken, in eine dunkle Höhle zu paddeln, ohne zu wissen, was sie dort erwartete, was womöglich darin hauste, wurde ihr ganz flau im Magen.
„Ich will da nicht hinein“, gab sie ängstlich zu. „Wer weiß, was darin haust?“
„Ach komm schon, Lea!“, redete ihr Sara gut zu. „Da drinnen wohnt gar nichts!“
„Bestimmt ist es dort wunderschön“, sagte Sabine. „Ich sage dir, wenn wir erst einmal dort drinnen sind, willst du nicht mehr heraus.“
„Meint ihr?“, fragte Lea unsicher.
„Bestimmt“, erklärte Sara und schließlich war Lea einverstanden.
Vorsichtig paddelten sie um die spitzen Felsen herum in die Höhle.
Darin angekommen, war Lea erst einmal sprachlos vor Staunen. Sie war riesig, wie das Innere einer Kirche. Geheimnisvoll grün schimmerte alles und Lichtreflexe aus dem Wasser tanzten über die zerklüfteten Felswände.
Zuerst wusste Lea nicht, woher dieses Licht kam, doch dann wurde es ihr schlagartig klar: durch einen Spalt in der Höhlendecke fiel das Sonnenlicht herein.
Jeder Paddelschlag hallte verräterisch laut an den Wänden wider. Es gab zwei kleine Kiesstrände in der Höhle. An der Seite eines Felsens, der halb im Wasser lag und unter dem Loch in der Höhlendecke waren Eisenringe in die Wand eingelassen.
Sara folgte dem Blick ihrer Freundin und entdeckte die Eisenringe an der Wand.
„Wisst ihr, was ich glaube?“, fragte sie. „Ich glaube, das hier war früher ein Piratenversteck!“
Leas Blick fiel auf eine eiserne Kiste, die halb hinter einem Felsen hervorlugte. Gerade wollte sie ihre Freundinnen darauf aufmerksam machen, als sich plötzlich ein Stein aus den Felsen am Ufer löste und mit lautem Platschen ins Wasser fiel.
Ein langer dunkler Schatten schien aus der entstandenen Lücke ins Wasser zu gleiten, und dann strich etwas an ihrem Fuß entlang, das sich glatt und kalt anfühlte.
„Eine Wasserschlange!“, schrie sie entsetzt.
„Ach, sei nicht albern, Lea!“, sagte Sabine verächtlich. „In Kroatien gibt es keine Wasserschlangen!“
In diesem Moment fühlte sie unter Wasser eine Berührung. Etwas langes, blaugrünes schlängelte sich über ihren Fuß und sie hätte schwören können, dass sie zwei schwarze Augen erkennen konnte. Das genügte ihr.
So schnell sie konnte schwang sie sich auf das Surfbrett, zurück zu Lea, die auch schon wieder darauf saß.
„Da ist wirklich eine Wasserschlange!“, schrie sie. „Schnell, lass uns abhauen!“
Sara, die gerade dabei gewesen war, die Eisensprossen hochzuklettern, die in die Wand eingeschlagen waren, war mit einem Satz unten.
„Was?“, rief sie.
„Eine Wasserschlange!“, brüllte Sabine.
Sara machte, dass sie aufs Surfbrett kam und übernahm das Paddel.
„Schneller, schneller!“, schrie Sabine.
„Ich kann nicht schneller!“, brüllte Sara zurück. „Die Felsen sind im Weg!“
So schnell es der enge Höhleneingang zuließ, verließen die Mädchen den unheimlichen Ort.



„Stell dir vor, was wir erlebt haben!“, sagte Sabine zu Thomas. Es war am späten Nachmittag und sie hatten beschlossen, ihren neuen Freund zu besuchen.
„Wir sind beim Schwimmen in eine Höhle gekommen! Zuerst war es schön, aber dann haben wir eine Wasserschlange gesehen! Ich will nie wieder in diese Höhle!“
„Da war eine Eisenkiste hinter einem Felsen…“, Lea sprach so leise, dass Sabine sie beinahe nicht verstehen konnte.
„Ich habe sie gesehen und wollte es euch sagen, aber dann kam diese Schlange und in der Aufregung habe ich die Kiste ganz ver… Thomas, was ist mit dir los?“
Erst jetzt fiel ihnen auf, dass Thomas ganz blass geworden war.
„Ach“, erwiderte er. „Mir geht es heute nicht so gut! Mir ist schlecht und ich habe Kopfschmerzen. Aber was mir die meisten Sorgen bereitet, ist die Tatsache, dass ihr euch so unnötig in Gefahr begebt. Es ist leichtsinnig, in eine Höhle, die man nicht kennt, hinein zu schwimmen. Die Höhle hätte einstürzen können, die Felsen über dem Eingang hätten abbrechen und euch den Weg hinaus versperren können und niemand hätte je erfahren, dass ihr dort wärt…“
„Ist ja gut, Thomas!“, murmelte Sabine beschwichtigend. „Uns passiert schon nichts!“
„Schon gut, schon gut“, brummte Thomas. „Aber das ist meine Kamera auch wieder nicht wert, dass ihr euch in Gefahr begebt. Versprecht mir bitte, nie wieder in diese Höhle zu paddeln. Wer weiß schon, was dort noch alles wohnt. Oh Gott, ich hätte nie gedacht, dass es in Kroatien Seeschlangen gibt.“
Die Mädchen versprachen ihm, nie wieder in die Höhle zu paddeln und Thomas schien beruhigt.

Da ertönte plötzlich eine Stimme aus dem Zelt nebenan: „Diebstahl, Diebstahl! Irgendjemand hat mir mein Armband gestohlen!“
Es war die Stimme der Frau, die ihnen oft Schokolade spendiert hatte. Die Mädchen sprinteten los, um die Frau zu fragen, was eigentlich passiert war. Sie fanden die Bestohlene in heller Aufregung vor ihrem Zelt.
„Irgend so ein Tölpel hat mir mein Armband gestohlen!“, rief sie den Mädchen entgegen, sobald diese den Zeltplatz betreten hatten.
„Wie ist das denn passiert?“, keuchte Lea. „War das Armband wertvoll? Und warum haben Sie es nicht getragen?“
„Ich kann nicht alle Fragen gleichzeitig beantworten“, meinte die Frau. Sie versuchte wohl zu lächeln, aber es wurde nur eine Grimasse daraus.
„Also. Zuerst einmal: ja, das Armband ist sehr, sehr wertvoll. Eigentlich ist es schier unbezahlbar. Ich habe das Armband geerbt, es stammt aus dem 18. Jahrhundert. Viele Museen wollten es mir schon abkaufen, aber ich werde mich doch nicht von meinem ältesten Familienerbstück trennen! Ich habe es vorhin abgelegt, um vor dem Duschen noch einmal ins Wasser zu springen. Als ich vom Duschen zurückgekommen bin, war es nicht mehr dort, wo ich es hingelegt hatte.“
„Wir tun alles, um Ihnen Ihr Armband wieder zu beschaffen!“, versprach Sara.

„Wir brauchen einen Platz, an dem wir das alles ohne Zuhörer besprechen können“, sagte Sabine, sobald sie den Stellplatz der Frau verlassen hatten.
„Gehen wir doch einfach in unser Geheimversteck“, schlug Lea vor.
„Geheimversteck?“, Thomas sah sie ratlos an.
„Ich glaube...“, sagte Sabine. „Ich glaube es wird langsam Zeit, dass du unser Geheimversteck kennen lernst.“
Sie kämpften sich durch die dichten Ginsterbüsche, die den Eingang ihrer Höhle verbargen.
„Darf ich bitten?“, rief Sabine theatralisch. „Unser Geheimversteck! Nimm Platz. Wir haben ein paar Dinge zu besprechen.“

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Autorin / Autor: Marianna Glanovitis - Stand: 18. Juli 2010