Ich seh´s kommen!
Forschung: Erwartung beschleunigt bewusste Wahrnehmung
Ihr kennt sicher das Phänomen, dass man oft nur sieht, was man schon kennt oder, dass man schneller etwas erkennt, wenn man weiß, was auf einen zukommt. Genau das haben nun ForscherInnen des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung in Frankfurt am Main untersucht und herausgefunden, dass wenn das Gehirn bereits im Voraus über Informationen verfügt - also schon weiß, was es sehen wird – dann setzt auch das bewusste Erkennen früher ein. Bislang gingen NeurowissenschaftlerInnen davon aus, dass bewusste Wahrnehmung eher starr und zeitlich nicht variabel ist.
Wie werden Seheindrücke im Gehirn verarbeitet?
Das menschliche Gehirn arbeitet ungeheuer schnell. Insbesondere Seheindrücke aber sind so komplex, dass die Verarbeitung mehrere Hundert Millisekunden dauert. Erst dann dringen sie ins Bewusstsein. Das was wir sehen, wird auf dem Weg vom Auge über verschiedene Verarbeitungsstufen im Gehirn auf vielfältige Weise analysiert. Erst nach und nach gelangen die Reize auch in die bewusste Wahrnehmung, was in der Regel etwa 300 Millisekunden dauert. Die Max-Planck-Forscher konnten nun zeigen, dass der zeitliche Ablauf dieses Verarbeitungsprozesses keineswegs starr, sondern veränderlich ist. In einem Experiment nahmen Versuchspersonen optische Reize deutlich besser und schneller wahr, wenn sie wussten, was sie zu erwarten hatten.
Wissen beschleunigt die Wahrnehmung
In ihrem Versuch zeigten die Forscher den Versuchspersonen auf einem Monitor Bilder mit Pixeln mit zufällig verteilter Helligkeit. Während dieser Bilderserien veränderte sich die Verteilung mancher Pixel, so dass von Bild zu Bild ein Symbol zum Vorschein kam. Nach jedem Bild konnten die Probanden per Knopfdruck angeben, ob sie das Symbol sehen konnten. Sobald das Symbol komplett aufgedeckt und deutlich erkennbar war, präsentierten die Forscher die gleichen Bilder in umgekehrter Reihenfolge, so dass das Symbol nach und nach wieder verschwand. Während des ganzen Versuchs wurden zusätzlich die Hirnströme der Versuchspersonen gemessen.
Während die Probanden das Symbol in der ersten Bildfolge mit zunehmender Sichtbarkeit erst relativ spät erkannten, lag die Wahrnehmungsschwelle bei der zweiten umgekehrten Bildpräsentation deutlich niedriger. Die Versuchsteilnehmer konnten die Buchstaben auch bei sehr schlechter Auflösung noch erkennen. „Eine Erwartungshaltung auf Basis zuvor gesammelter Informationen hilft offenbar dabei, ein Objekt bewusst wahrzunehmen“, sagt Lucia Melloni, Erstautorin der Studie. Sobald die Versuchspersonen wussten, welches Symbol sich im Rauschen versteckt, konnten sie es also besser wahrnehmen. Damit bestätigen die Forscher vorangegangene Studien, denen zufolge Menschen bewegte Objekte besser wahrnehmen, wenn sie schon im Vorfeld wissen, in welche Richtung es sich bewegen wird.
Auch Hirnströme fließen früher bei Erwartungshaltung
Die Hirnstrommessungen zeigten zudem Erstaunliches. „Wir haben beobachtet, dass sich die Hirnströme für bewusste Wahrnehmung zeitlich verändern, je nachdem ob eine Erwartung vorhanden ist oder nicht“, sagt Lucia Melloni. Wenn die Versuchspersonen vorher wussten, was sie sehen werden, zeigten sich die charakteristischen Hirnstrommuster für bewusste Wahrnehmung schon 100 Millisekunden früher als ohne Erwartungshaltung.
Damit haben die Forscher eine schlüssige Erklärung für die widersprüchlichen Ergebnisse anderer neurowissenschaftlicher Arbeitsgruppen gefunden. Diese hatten nämlich je nach Studie mal sehr früh einsetzende und mal stark verzögerte Hirnströme für bewusste Wahrnehmung gefunden. „Mit unserer Forschung können wir diese zeitliche Variabilität nun erklären. Das Gehirn führt offenbar einen Verarbeitungsprozess nicht stereotyp und zeitlich festgelegt durch, sondern passt sich flexibel an“, erklärt Wolf Singer. Der Verarbeitungsprozess läuft also schneller ab, wenn das Gehirn die eintreffende Sehinformation nur noch mit einer zuvor festgelegten Erwartung abgleichen muss. Folglich setzt auch die bewusste Wahrnehmung schneller ein. Muss das Gehirn einen visuellen Reiz ohne Vorinformation komplett neu bewerten, braucht es länger.
Die Ergebnisse könnten zur Folge haben, dass bislang Hirnstrommessungen falsch interpretiert wurden. „Da die Interpretation stark von der zeitlichen Abfolge abhängt, sind möglicherweise Hirnströme fälschlich Bewusstseinsprozessen zugeordnet worden“, vermutet Wolf Singer, Direktor der Abteilung Neurophysiologie am Frankfurter Max-Planck-Institut für Hirnforschung. „Angesichts dieser Ergebnisse erscheint es nötig, die neuronalen Entsprechungen des Bewusstseins neu zu untersuchen."
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Autorin / Autor: Redaktion - Stand: 31. Januar 2011