kaltherz - Teil 7

von Moira Frank

Er ließ ihre Arme los und erhob sich, tastete nach dem Lappen, den er hatte fallen lassen, ließ sich neben ihr auf die Knie sinken und strich fahrig über ihr Haar, tastete über ihre Wange und bemerkte, dass sie die Augen nicht mehr offen hatte.
„Laure“, flüsterte er kummervoll, während er ihr mit dem Lappen die schweißnasse Stirn wusch. „Laure, verzeih mir, Laure“. Er führte die Fingerspitzen an seine Lippen, sie schmeckten nach Tränen und Blut. Oh, wie er es hasste, wie er es hasste, wenn sie heulten, er hasste ihre schwarz verlaufenden Tränen und ihre verschmierten Gesichter, er hasste das Gekreische und nichts befriedigte ihn mehr, als es verstummen zu hören. Sie konnten nichts tun als kreischen. Es zerriss ihm das Bewusstsein, es jagte wie Schmerz durch seine Adern. Er riss sich zusammen. Er wusste, es musste etwas dahinter sein, etwas Perfides, nicht nur, dass er machte, dass sie endlich still waren.
Dred hatte sich nie entschieden, er hatte kein Interesse an ihnen, wenn er wollte, konnte er es sich anderweitig holen, das war es nicht, das war es nie gewesen. Er jagte ihnen nach, er folgte ihnen, sie waren nie allein und merkten es nicht, er saß nachts still vor ihren Fenstern und atmete die Dunkelheit.
Er wusch Laure das Blut vom Gesicht, seine Lungen schmerzten. Er strich ihr übers Gesicht, fahrig, behutsam. Sie öffnete die Augen nicht mehr. Er spürte kaum noch ihren Atem. Dred begann zu zittern. Er suchte nach dem Verband unter ihrem Hemd und fasste in vollgesogenen, nassen Stoff. Er drehte Laure vorsichtig von der Seite auf den Rücken und schlug ihre Jacke und das zerschnittene Sweatshirt beiseite. Unter seinen Fingern waren ihre Brust und ihr Bauch kalt und bleich. Die Verbände waren schwarz von getrocknetem Blut.
„Laure“, wisperte er erstickt. „Sieh mich an! Mach deine Augen auf, Laure“. Er nahm den nassen Lappen und wrang ihn aus, benetzte seine Finger mit Regenwasser und strich über ihre Lippen, versuchte, sie dazu zu bringen, ein wenig zu schlucken. Ihr Atem strich über seine bebenden Fingerkuppen. Plötzlich merkte er, dass ihr Blut aus den Mundwinkeln lief. Dred wurde wütend. Er nahm die blutige Hand weg und stand auf, warf den Lappen weg und wankte in die Küche.
Was machte er falsch? Er hatte sie doch verbunden! Warum starb sie?
Er nahm das Handy vom Tisch, wog es in der Hand. Mistding! Er überlegte, es an die Wand zu schmettern, sein Atem ging schwer und keuchend, er presste die Zähne zusammen, dass sein Kiefer knirschte. Da war dieses Mädchen gewesen, sein Erstes, mit ihrem Freund. Gott, er hatte sie gesehen und gewusst, dass er nicht weiterleben konnte, bevor er es nicht zu Ende brachte. Es hätte ihn umgebracht, sie am Leben zu wissen.
Und hier war er jetzt, ein halbes Jahr später, Mord um Mord später und stand mit dem Rücken zur Wand. Er hätte Laure längst töten müssen. Laure, oh, Laure.
Er ging zurück, ging durch den dunklen, stillen Flur, verfolgt vom Regen, fiel neben ihr auf die Knie und zog mit klammen, zitternden Bewegungen seine Jacke aus, legte sie Laure über die blutigen Verbände und hockte sich dann neben sie, durch ihr Haar streichelnd. Ihr Gesicht war reglos.
Er wollte sich verletzen. Er wollte sich den Rücken aufreißen, er wollte sich die Hände zerschlagen und schreien, schreien, schreien. Er wollte die blutigen, dumpfen Leiber am Boden nicht mehr sehen, das Blut, das in Rinnsalen von den schimmligen Wänden kroch, sein Leben war Blut und Blut und er war ein Tier im Käfig. Und Laure, Laure, lag neben ihm, still und zerbrechlich und blass und es war nichts im Vergleich zu dem Schmerz, den Dred kannte. Er verstand nicht, warum es so weh tat. Mehr als das, was er gewohnt war. Warum zeigte das Mädchen ihm Schmerz? Er kannte Schmerz.
„Alles wird gut, Laure“, stammelte er und fing an zu lachen, erstickt und verschluckt und streichelte weiter durch ihr Haar. „Ich versprech´s dir, Laure, Laure, Laure“. Sein Kopf sank auf seine Knie.

Es war neun Uhr eins. Jelen hörte Alex den Korridor hinab rennen, noch bevor er die Tür aufriss. Er nahm seine Jacke vom Haken und warf Jelen ihre zu. „Wir haben den Wagen“, sagte er. „Ich setze dich auf dem Weg zu Hause ab.“
„Einen Scheißdreck wirst du tun!“ Sie mühte sich in ihre Jacke, plötzlich hellwach und mit fürchterlichen Magen- und Kopfschmerzen. Zeit, dass sie etwas dagegen tat.
„Scherz“, sagte Alex. Sie folgte ihm auf den Flur. „Fox ist sicher schon draußen. Der Wagen stand irgendwo im Südviertel am Fluss. Dred kann nicht weit sein.“ Er nahm ihren Arm und sah sie eindringlich an. „Jelen, bist du dir sicher, dass du das mit deinem Kopf kannst?“
„Ich bring dich um, gleich nach dem Irren.“ Sie machte sich los. Alex folgte ihr im Laufschritt. Draußen regnete es. Die Stadt ertrank im Regen. Überall war Polizei. Jelen hielt sich an Alex.
„Zu den Wagen“, rief er ihr zu, in seiner Jacke nach den Schlüsseln suchend. „Ich fahre!“
Sie erreichten die Straße. Einer der Wagen, Blaulicht auf dem Dach, hielt mit quietschenden Reifen neben ihnen. Fox bedeutete ihnen mit einer ungeduldigen Handbewegung, einzusteigen. Alex überließ Laure den Beifahrersitz. Fox warf ihr einen raschen Blick zu. „Geht es, Jelen?“, fragte er, nicht gerade begeistert klingend.
Sie nickte nur und zog die Tür zu. Ihr war schwindelig vor Furcht. Die Nässe des Regens kroch unter ihre Jacke. Jelen sah kaum etwas. Regen trieb durch die Stadt.
Endlich, war alles, was sie noch dachte, bei Gott, endlich.

Morgenlicht kroch in den Flur. Seine Hände klebten vom Blut.
Ihre Lippen waren bläulich. Er starrte auf sie hinab. Seine Augen waren verschwollen und schmerzten. Er hatte Verletzungen an den Händen, aber er wusste nicht mehr, woher sie kamen.
Es war still. Draußen rauschte leise der Regen. Er nahm das Geräusch schon fast gar nicht mehr wahr. Er hatte ihr seine Jacke umgewickelt und streichelte stockend über den ledrigen Stoff. Ihr Kopf lag an seinem Knie und seine Jeans war fleckig vom Blut, wo ihre Schulter gegen sein Bein drückte.
Er fror nicht mehr. Seine Ellbogen unter dem klammen Pullover waren eiskalt und sein Haar hing ihm in feuchten Strähnen in die Augen.
Dred wandte den Kopf und blickte in den Flur. Auf dem ruinierten Parkett waren dunkle Flecken. Er erinnerte sich nicht mehr, wie es war, wenn die Sonne schien und es war ihm scheißegal. Er konnte sich nicht erinnern, je keinen Schmerz empfunden zu haben. Es fühlte sich an, als habe sich etwas in seinen Magen gefressen. Er tastete über seinen Bauch, fast in der Erwartung, ein Loch zu fühlen.
Dreds Mundwinkel verzerrten sich zu einem Lächeln. Er rieb sich die Schläfen und legte Laure eine Hand ins Genick. Ihre Haut hatte noch immer einen Hauch von Wärme. Seine Finger strichen rau in ihre Halsbeuge. Ihre Brust bewegte sich kaum. Ein Anflug von Zärtlichkeit und Schmerz überkam ihn. Er legte die Arme um ihren Körper und zog sie an sich, schlang einen Arm um ihren Rücken und vergrub das Gesicht an ihrem Hals. Er roch ihre Wärme, ihr Blut, ihr Haar und den Regen. Seine Finger krallten sich in ihren Rücken. Er wiegte ihren Körper, sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz.
„Warum“, wisperte er an ihrem Hals, seine Finger strichen durch ihr Haar, entwirrten es, fuhren durch die verklebten Strähnen, seine Hände zitterten. „Oh, Laure, ich wollte das nicht.“ Er lachte erstickt, ein raues, verschlucktes Geräusch und legte ihr seine wunde Hand auf den Rücken.
Er blieb an der Wand kauern, Laures Kopf lag an seiner Schulter, er versuchte sie zu wärmen, er streichelte mit zittrigen Bewegungen über ihre Seiten und ihre Hüfte und das verletzte Bein und krampfte, seine Bewegungen mühsam. Schmerz fraß sich in seinen Kopf.
„Wir sollten gehen, Laure“, flüsterte er in die Stille, nahm die Hand zurück, streichelte voll Kummer und Qual ihre linke, geschwollene Schläfe. „Ich mache alles wieder gut, Laure. Hab keine Angst. Hab keine Angst. Ich tue dir nicht weh. Ich mache alles wieder gut.“
Er legte sie vorsichtig zurück auf die Matratze, strich ihr zärtlich über die Stirn und erhob sich mit pochenden Knien und ging in die Küche, seine Brust fühlte sich an wie eingedrückt. Es war grau und kalt. Dred fiel auf die Knie und hielt sich den Kopf. Er kroch, Laures Wimmern nachahmend, mit steifen Bewegungen zum Tisch, schlug den Kopf gegen das Tischbein. Er musste es gutmachen. Es war alles sein Fehler. Dummes Tier, dumme Bestie!
Er zog sich an der Tischplatte hoch. Das Holz war aufgequollen und faulte. Er tastete blind nach der Waffe und steckte sie mit zittrigen Fingern in seinen Jeansbund. Der kalte Stahl schien ihm die Fingerkuppen zu verätzen...

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Autorin / Autor: Moira Frank - Stand: 30. Juni 2010