KandidatIn bei einer Castingshow? Wie peinlich!
Jugendliche würden sich lieber nicht blamieren
Viele denken, dass es der größte Traum von Jugendlichen sein müsse, bei einer Castingshow selbst als KandidatIn antreten zu dürfen. Auf die Frage "Kannst Du Dir vorstellen, auch als Kandidat bei einer Castingshow mitzumachen?" antworteten aber eher die 12 bis 17-Jährigen mit "Ja", die 18- bis 24-Jährigen waren dagegen zurückhaltender. Neugier ("weil das bestimmt lustig wäre", "weil ich gerne mitbekommen möchte, wie das ist") ist dabei die stärkste Motivation und liegt weit vor der Überzeugung vom eigenen Talent, Können oder Aussehen.
Die Angst, sich zu blamieren, weil man nicht genug kann, ist somit auch der Hauptgrund, sich gar nicht erst bei einer Castingshow zu bewerben. Weit über die Hälfte der befragten Jugendlichen gab an, dass sie sich nicht vorstellen können, als Kandidat bei einer Castingshow mitzumachen, weil sie sich nicht blamieren möchten oder weil es ihnen peinlich wäre. Das fehlende Talent, die Schüchternheit und der Mangel an Selbstbewusstsein wurden ebenfalls häufig genannt.
Die Jury: ungerecht oder in Ordnung?
Einen Stein des Anstoßes sehen GegnerInnen von Castingshows besonders häufig im Verhalten der Jury. Den Mitgliedern wird vorgeworfen, durch respektlose und menschenverachtende Sprüche Jugendliche öffentlich bloßzustellen und damit eine "desorientierende Wirkung auf Kinder auszuüben", so Prof. Dr. Wolf-Dieter Ring von der Kommission für Jugendmedienschutz. In der Umfrage wurden nun die jungen ZuschauerInnen selbst um ihre Meinung gebeten. Auf die Frage "Wie findest Du die Art und Weise, wie die Jury von DSDS, GNT oder Popstars mit den Kandidaten umgeht?" antworteten aber nur 43-21 % der Befragten je nach Sendung und Alter mit "eher schlecht" bis "schlecht". Die Mehrheit steht also hinter den rauen Umgangsmethoden der Jurymitglieder. Allerdings bewerten Jungs und Befragte mit niedrigem Bildungsstatus die Umgangsweise besser als Mädchen und höher Gebildete, erläutert Daniel Hajok, einer der Studien-Leiter.
Beratungssendungen gegen Langeweile
Nicht nur Castingshows waren Gegenstand der Befragung - auch Ratgeber- und Beratungssendungen scheinen bei Jugendlichen und vor allem jungen Erwachsenen nicht unbeliebt zu sein. So war jedenfalls die Annahme, wobei die Umfrage ein ganz anderes Bild ergibt: die meisten - und zwar Jungen UND Mädchen - sehen sich diese Coachingsendungen nämlich nicht aus übermäßigem Interesse an, sondern "um Langeweile zu überbrücken" (70/73 %) oder "weil ich nichts Besseres zu tun habe" (58/56 %). Das Interesse an Problemen anderer Menschen oder an den Hilfsmöglichkeiten, die sich ihnen anbieten ist dagegen eher nachrangig (ca. 40 % gesamt). Schaut man sich das Antwort-Ranking getrennt nach Mädchen und Jungen an, ist der Hilfsaspekt aber für Mädchen durchaus wichtig: Auf Platz 3 der Antworten findet sich die Aussage: "... weil ich wissen will, wie den Hilfesuchenden geholfen wird".
Glücklicherweise spielt der bei Castingsshows so wichtige Aspekt der Schadenfreude oder des Sich-lustig-machens kaum eine Rolle bei Beratungssendungen. Die sind für Jugendliche deswegen interessanter, weil sie aus ihnen "etwas fürs eigene Leben lernen" können, sagten ca. 34 %.
"Persönliche Probleme gehören nicht in die Öffentlichkeit"
Sich selbst als Beratungsfall für so eine Sendung zur Verfügung zu stellen, das käme für eher weniger Jugendliche in Frage.
Grund 1: "weil persönliche Probleme nicht in die Öffentlichkeit gehören" (71%)
Grund 2: "weil ich nicht solche Probleme habe" (65/71 %)
Grund 3: "weil man seine Probleme nicht durch das Fernsehen lösen lassen soll" (58/66%) und
Grund 4: "weil es mir peinlich wäre" (52/55%).
Auch hier stellten die Forscher übrigens wieder Unterschiede zwischen Bildungsniveaus und Geschlechtern fest: eher niedriger Gebildete und Mädchen wählten häufiger Gründe, die FÜR die eigene Teilnahme sprechen, während höher Gebildete sich eher für die Gegenargumente entschieden. Allerdings gaben die Mädchen andere Gründe für ihren Teilnahmewunsch an: Nicht das Bekannt- oder Berühmtwerden steht an erster Stelle, sondern die Lösung ihres Problems ist ihnen wichtig.
Weitere Informationen zur Studie findet ihr unter
Was lesen die Forscher aus diesen Ergebnissen?
"Dass die Coachingformate im Jugendalltag nicht nur präsent, sondern auch nicht wenigen Jugendlichen wichtig sind (für die jüngeren Altersgruppen sind das insbesondere die Formate, die sich mit Jugend, Schule und Familie beschäftigen), die Berater als Auoritäten/Experten wahrgenommen werden und die Jugendlichen ihnen Vertrauen entgegen bringen und Glaubwürdigkeit zuschreiben." Das sind für Daniel Hajok sehr interessante Ergebnisse, die auch ein Hinweis darauf sein könnten, dass erlebte Mängel in der schulischen und familiären Erziehung durch die Nutzung dieser Sendungen aufgefangen werden.
Und was geschieht nun mit den Ergebnissen? "Die quantativen Ergebnisse aus dem ersten Untersuchungsschritt geben nur einen ersten Überblick", erklärt Hajok. In einem zweiten Untersuchungsschritt werden nun Interviews mit 9- bis 14-Jährigen geführt und ausgewählte Aspekte vertieft. Hier geht es dann um die Prozesse, die hinter der Nutzung von Castingshows und Coachingsendungen stehen. Eine spannende Frage wird dabei sein, inwieweit die Sendungen möglicherweise die Wertorientierungen von Kindern und Jugendlichen beeinflussen. Die Ergebnisse hierzu sollen dann auch für die pädagogische Praxis aufbereitet werden."
Autorin / Autor: Rosi Stolz - Stand: 23. Februar 2010