Räumung stoppen!
Scientists for Future und Misereor fordern Moratorium für die Räumung des besetzten Dorfs Lützerath im Braunkohlerevier Rheinland
Angesichts der seit dem 11. Januar stattfindenden Räumung des Protestcamps in Lützerath im Rheinischen Braunkohlerevier fordern immer mehr Menschen, die Räumung durch ein Moratorium, also einen Aufschub zu stoppen. Am Morgen des 11. Januar schrieb eine Gruppe von Wissenschaftler:innen der Scientists for Future (S4F) einen Offenen Brief an den NRW-Ministerpräsidenten von NRW, die Stellvertretende Ministerpräsidentin sowie den verantwortlichen Ressort-Minister mit dem Aufruf, die Räumung auszusetzen. Innerhalb von 24 Stunden unterzeichneten über 700 Wissenschaftler:innen das Schreiben. Darin stellen sie nicht nur die Frage nach den gesellschaftlichen Kosten einer erzwungenen Räumung, sondern auch, welche Wirkung sie im Hinblick auf die Glaubhaftigkeit der deutschen Klimapolitik habe. Lützerath sei ein Symbol geworden und es gehe um ein aussagekräftiges Zeichen für die notwendige Abkehr vom fossilen Zeitalter.
Die Unterzeichner:innen äußern auch Zweifel an der akuten Notwendigkeit einer Räumung und beziehen sich dabei auf mehrere wissenschaftliche Gutachten, die zu dem Schluss kommen, dass ein Abbau der Braunkohle unter Lützerath für eine technische Versorgungssicherheit und Netzstabilität nicht nötig sei (z.B. Studien von Aurora Energy Research oder dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung e.V.). Die Förderung und Verstromung dieser Kohle stehe einer am Pariser Klimaabkommen und dem europäischen Klimagesetz ausgerichteten Energiepolitik entgegen.
Die Wissenschaftler:innen sind sich sicher, dass ein Aufschub der Räumung Raum und Zeit bietet, um mit allen Betroffenen in Dialog zu treten und die der Entscheidung zugrunde liegenden Voraussetzungen nochmal zu überprüfen. "Die Glaubwürdigkeit der deutschen Klimapolitik würde wesentlich gestärkt werden – international und besonders bei der jungen Generation", so der Aufruf.
Misereor auch für Moratorium
Auch das katholische Werk für Entwicklungszusammenarbeit Misereor fordert von der NRW-Landesregierung ein sofortiges Moratorium für die Räumung des Geländes. So soll eine Denk- und Gesprächspause ermöglicht werden, um einen gemeinsamen Weg für alle Akteur:innen zu finden. Die Interessenkonflikte zwischen der Einhaltung des Klimaziels, die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen, und der Sorge um die Versorgungssicherheit der Bundesrepublik Deutschland, die ab 2025 Kohle aus den Flözen unter Lützerath nutzen könnte, müssten gelöst werden.
„Mit der fortgesetzten Förderung und Ausbeutung fossiler Brennstoffe sehen wir die anhaltenden Folgen des Klimawandels und die Schäden, die dieser nicht nur auf ökologischer, sondern auch auf sozialer und wirtschaftlicher Ebene verursacht“, sagt Gabriel Klaasen von der Misereor-Partnerorganisation „project90by2030“ aus Südafrika. Die Staats- und Regierungschefs müssten jetzt Maßnahmen ergreifen, um eine nachhaltigere Zukunft zu schaffen.
Überflutungen in Pakistan, Hungersnot am Horn von Afrika
„Weltweit, besonders in den Ländern des Globalen Südens, leiden Millionen unter den Folgen der menschengemachten Klimakatastrophe. Aktuell besonders in Pakistan, das von Überflutungen in nie gekanntem Ausmaß betroffen ist, und am Horn von Afrika, wo nach vier ausgefallenen Regenzeiten in Folge mehr als 28 Millionen Menschen akut vom Hungertod bedroht sind“, betont Kathrin Schroeder, Leiterin der Abteilung Politik und Globale Zukunftsfragen bei Misereor. Die Hauptverantwortung für diese Klimaveränderungen trügen die Industrieländer inklusive China mit ihrem ungebremsten Energie- und Rohstoffhunger.
„Die Hauptursache für den Klimanotstand sind fossile Brennstoffe“, sagt Meryne Warah, Globale Organisationsdirektorin der Misereor-Partnerorganisation GreenFaith mit Sitz in Nairobi. „Um des Lebens willen und um massives, grausames Leid zu verhindern, brauchen Afrika und die ganze Welt ein verbindliches Abkommen, das neue Projekte für fossile Brennstoffe stoppt, die bestehende Produktion auslaufen lässt und großzügige Unterstützung für den Übergang zu einer sauberen Energiezukunft und den allgemeinen Zugang zu sauberer, erschwinglicher Energie bietet.“
Jede Tonne Kohle ist zu viel
Vor diesem Hintergrund sei jede Tonne Kohle, die noch aus der Erde geholt wird, eine Tonne zu viel, unterstreicht Schroeder. „Deshalb sollte auch der Beschluss, Lützerath abzubaggern, überdacht werden. Auch wenn die mögliche Abbaggerung das Ergebnis eines Verhandlungskompromisses ist, den wir anerkennen, gibt es keine energiepolitische Notwendigkeit, den Beschluss nun umzusetzen. Dies zeigen viele wissenschaftliche Untersuchungen.“
Quellen:
Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 12. Januar 2023