Über uns die Sterne
Wettbewerbsbeitrag von Annky, 15 Jahre
Heute:
Ich habe mich schon sehr früh in die Sterne verliebt. Ich kann aber nicht mehr genau sagen, wann. Vielleicht, als mein Vater mir die leuchtenden Klebesterne über mein Bett gehangen hat und meinte: „Damit du immer nach den Sternen greifen kannst.“ Ich war immer schon mit meinem Kopf lieber über den Wolken, als unten auf der Erde, wo ich zuhören sollte, was man mir so Wichtiges mitzuteilen hatte. Und heute stehe ich endlich hier. Inmitten der anderen, die es geschafft haben, einen der begehrten Plätze zu ergattern, um tatsächlich die Möglichkeit zu bekommen, ins All zu fliegen. Der Weg hierhin war schwer, eine Frau, die ins Weltall fliegen möchte? Unvorstellbar. Man hat mir geraten, einen sicheren Weg zu gehen. Aber gehen war für mich nie eine Option. Ich wollte immer nur schweben. In der Schwerelosigkeit sein und mich voll und ganz der Wissenschaft widmen.
Ich habe immer davon geträumt eines Tages in diesem Gebäude zu stehen und jetzt darf ich meine Ausbildung als Astronautin hier beginnen. „Mensch, wo bist du denn mit deinen Gedanken“, fragt mich plötzlich jemand von links. „Irgendwo zwischen Milchstraße und Andromeda“, antwortet eine Stimme, die mir merkwürdig vertraut vorkommt. Ich drehe mich um und schaue einen Mann in meinem Alter an, doch das Funkeln in seinen blauen Augen und die strubbeligen blonden Haare sehen fast genauso aus, wie in meiner Erinnerung. Er ist älter geworden und sieht noch besser aus, als ich es in Erinnerung hatte. Ungläubig schaue ich ihn an. Er lächelt nur schüchtern zurück. Dieses Lächeln hat mich immer schon verrückt gemacht, denn es war eigens für mich bestimmt. „Ihr kennt euch“, stellt der gleiche Mann wie eben fest. Leo kratzt sich am Nacken und antwortet: „Naja, wir sind uns in der Schule schon mal begegnet.“ Als könnte man das einfach so zusammenfassen. Als wären wir nicht das beste gewesen, was ich jemals in meinem Leben hatte. Als wäre er nicht mein bester Freund und der einzige Mensch gewesen, der mich verstehen konnte, weil es ihm ähnlich ging, wie mir. Und jetzt steht er hier und ich fühle mich, als würde eine gesamte Galaxie zwischen uns liegen.
10 Jahre zuvor:
„Ist der Platz neben dir noch frei“, fragt jemand neben mir und ich schaue erstaunt auf. Vor mir steht Leo, der neue Schüler. Alle reden von nichts anderem und die Gerüchte hatten Recht. Er sieht wirklich gut aus und er will sich neben mich setzen. Neben mich. Mira Kiefer, den absoluten Nerd. Das Mädchen, das immer mit ihren Gedanken woanders ist und komische Interessen hat. Er steht immer noch vor mir und schaut mich erwartungsvoll an, also antworte ich überfordert: „Äh, ja klar.“ Er lässt sich auf den Platz neben mir fallen und holt seine Sachen raus. In seinem Notizbuch sind Zeichnungen von Planeten, Raumschiffen und der ISS. „Du interessierst dich fürs Weltall“, stelle ich erstaunt fest. „Natürlich. Wie könnte man sich denn nicht dafür interessieren, wenn es dort so viel Spannendes und Unerforschtes gibt“, meint er grinsend und ich sehe das Leuchten in seinen Augen. Seine Augen, die aussehen, als würde die ganze Galaxie dahinter Platz haben. „Ich werde irgendwann Astronaut“, fährt er fort, als wäre das ein Fakt und kein unsicherer und gefährlicher Traum. „Ich möchte auch Astronautin werden“, spreche ich es das erste Mal laut aus. Ich bin erstaunt, dass ich jemandem in meinem Alter von meinem Traum erzähle. Er dreht sich zu mir und ich habe das Gefühl, dass er mich jetzt gerade das erste Mal sieht. Und ich möchte, dass er mich ab jetzt immer so ansieht: Als wäre ich der Mittelpunkt unserer eigenen Galaxie.
Heute:
Die Vorbereitung ist anstrengend, bestärkt mich allerdings jeden Tag aufs Neue, dass ich mich richtig entschieden habe. Dass es egal ist, dass jeder um mich herum nicht an meinen Traum geglaubt hat und dass es reicht, wenn man selber spürt, dass es genau das Richtige ist. Und Leo? Ihm habe ich immer noch nicht verziehen, dass er damals einfach aus meinem Leben verschwunden ist, ohne mir Bescheid zu sagen, dass er umziehen wird, weil seine Mutter es in unserer Kleinstadt nicht mehr ausgehalten hat. Zumindest das konnte ich aus ihm herausbekommen. Ansonsten meidet er mich, als wäre ich ein schwarzes Loch und würde ihn sofort vernichten, aber dafür vermisse ich das, was wir hatten zu sehr. Doch die Ausbildung hilft mir. Denn mein Wissen und natürlich auch das Weltall sind geblieben, als er gegangen ist. Immer, wenn ich nicht weiter wusste, konnte ich mich darauf verlassen, dass das All und mein Wissen darüber, nicht einfach so verschwinden. Die erste Zeit ohne ihn war hart, aber ich habe gelernt, dass ich alleine immer noch am besten zurecht komme. Ich weiß nicht, ob Leo und ich es jemals wieder schaffen, eine Freundschaft aufzubauen, aber ich weiß ganz sicher, dass ich auch ohne ihn ein glückliches Leben führen kann, weil das Weltall meine größte Liebe ist. Weil man den Weltraum nicht mal mit unendlich zusammenfassen kann. Weil man sogar eine eigene Maßeinheit eingeführt hat, um die gewaltigen Entfernungen zu bestimmen und weil alles dort unglaublich und faszinierend ist. Ich habe es soweit geschafft und hart dafür gekämpft heute hier zu stehen, dass ich dieses Glück nicht für einen Mann, der mich schon einmal zutiefst enttäuscht hat, verlieren werde. Ich musste immer schon stark und unabhängig sein, um es überhaupt hierhin zu schaffen. Meistens musste ich mich ausschließlich gegen Männer behaupten. Aber ich möchte ein Vorbild sein. Für jedes kleine Mädchen da draußen, dass die gleiche Sehnsucht spürt und immer in ihrer eigenen Welt durchs Weltraum reist. Dass es nicht mehr unvorstellbar ist, dass eine Frau ins Weltall fliegt, weil es tatsächlich Wirklichkeit ist und deswegen niemand mehr etwas dagegen setzen kann.
Alle Infos
Die Über All Lesung
Lasst euch von sieben der Preisträger:innen des Wettbewerbs Über All in ferne Welten entführen
Die Über All-Preisträger:innen
Vielen Dank an alle Teilnehmenden für diese spannenden Exkursionen ins All und herzlichen Glückwunsch den Preisträger:innen
Die Über All Jury
Teilnahmebedingungen
Preise - Das gibt es zu gewinnen!
Schirmherrin Dr. Suzanna Randall
EINSENDUNGEN
Autorin / Autor: Annky, 15 Jahre