„Ich hasse solche Starts“, sagte Kira Domingo.
Es war ein wunderschöner Mittsommertag, die Sonne schien, es wehte eine leichte Brise und die Raumfähre, in der sie saß, wackelte beim Start stärker als ihr Kleiderschrank (Er drohte seit Jahren bereits bei dem nächsten Kleidungsstück einzustürzen).
„Zum Glück ist die Ingenieurskunst mittlerweile weit genug entwickelt, um den Druckunterschied zwischen den Planeten und dem Weltraum nicht allzu sehr zu spüren“, dachte sie als das Triebwerk zündete und sie mit selten dagewesener Kraft in ihren Sitz presste. Sie kannte nur Geschichten über die holprigen Anfänge der kommerziellen Raumfahrt, und neidete den Menschen jener Zeit ihre technologische Zurückgebliebenheit keinen Deut. Lieber war sie ganz bewusst eine Gefangene der Abhängigkeit der Menschen von den überall eingesetzten Maschinen, welche sich auch hin und wieder irrten und so für heftige Diskussionen sorgten. Als die PSC, die Planetary Space Corporation, vor über dreihundert Jahren begonnen hatte, Menschen von Planet zu Planet zu befördern und so interstellare Reisen öffentlich zugänglich gemacht hatte, waren die Schiffe alles andere als komfortabel gewesen und die Reisen konnten nur mittels Kryoschlaf realisiert werden, sodass die Menschen in anderen Zeitaltern aufwachten, als in denen, in denen sie losgeflogen waren.
Nun waren die Kabinen meist schick und bequem und die Reisen dauerten aufgrund neuartiger Technologien fast immer nur noch einige wenige Wochen. Wie genau diese Technologie funktionierte, wusste Kira nicht, doch über die Auswirkungen war sie enorm froh. Sie ermöglichten nämlich Besuche bei Verwandten und Freunden auf anderen Planeten und halfen so auch die diplomatischen Beziehungen zwischen den verschiedenen Kolonien zu stärken. Dies war wohl der Grund, so dachte Kira, warum es seit 170 Jahren keine Kriege zwischen den Kolonien mehr gegeben hatte.
Nun saß sie in Raumfähre PSC-1783g und war unterwegs zu der Hochzeit ihrer Schwester auf 61 Cygni A. Die Reise würde etwa zweieinhalb Wochen dauern und sie hatte sich vorgenommen, diese Auszeit von ihrer Arbeit, ihren Freunden und Verwandten in vollen Zügen genießen. Als sie die Atmosphäre der Erde hinter sich gelassen, die Passagiere der Raumfähre die Ansage der Kapitäns vernommen und das Schiff Kurs auf 61 Cygni gesetzt hatte, stand Kira auf, ging in die Bar und bestellte sich einen Ice Zombie. Mit ihrer Erfrischung und dem Gefühl, das erste Mal seit Jahren wirklich entspannen zu können, bewaffnet, setzte sie sich in die Lounge und begann damit einen Film über ihre implantierten Overlays zu schauen.
Die nächsten elf Tage verbrachte sie zumeist faulenzend in ihrem Zimmer oder in den Unterhaltungsabteilen des Schiffs.
Kira hatte in diesen Tagen alle düsteren Gedanken und allen Druck abfallen lassen, bis am Mittag des zwölften Tages ein heftiger Ruck das Schiff durchfuhr. Sie fragte die anderen Passagiere, was wohl die Ursache gewesen sein könne, doch diese waren genauso ratlos wie sie selbst.
Erst einige Stunden später kam die Durchsage des Kapitäns: „Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bedaure es sehr, Ihnen allen mitteilen zu müssen, dass sich unser Computer bei seinen Berechnungen geirrt hat. Er hat uns zu nah an einen Stern geführt, welcher nur wenige Stunden vor seiner Explosion steht. Aufgrund der ausgehenden Schwerkraft ist es uns nicht möglich, dem Explosionsradius zu entkommen. Regeln Sie Ihre Angelegenheiten nach ihrem eigenen Ermessen und bewahren Sie bitte Ruhe. Vielen Dank.“
Betretenes Schweigen senkte sich über das Schiff wie ein dunkler Vorhang aus Furcht, während sie alle zu verstehen versuchten, was der Kapitän ihnen soeben mitgeteilt hatte.
Als sie dies realisiert hatten, brach ein heilloses Durcheinander aus, als ob das etwas nutzen würde, so dachte sie. Kira sank dennoch an der nächstliegenden Wand zu Boden, während sie versuchte, die Fassung zu wahren und nicht kreischend zu hyperventilieren, deshalb in Ohnmacht zu fallen und so wertvolle Zeit zu vergeuden.
Sobald sie wieder einigermaßen klar denken konnte, dachte sie an ihre Schwester und wie ihr Dahinscheiden wohl die Stimmung auf der Hochzeit ruinieren würde, doch dann fiel ihr ein, dass die Nachricht wohl noch einige Tage auf sich warten ließe und sie somit erst nach den Feierlichkeiten davon erführen. „Dann werden sie aber zuerst enttäuscht sein, dass ich nicht da bin“, sagte Kira leise als sie wieder auf ihrem Zimmer war. Es war seltsam, so dachte sie, „irgendwie bedrückt mich der Gedanke, dass meine Familie von mich enttäuscht wird mehr als der Gedanke an den Tod.“
An diesem Abend verfasste sie noch Nachrichten an alle ihr nahestehenden Personen: Ihre Schwester, ihre Eltern, ihre Freunde, selbst ihren Chef. Danach legte sie sich in ihr Bett und begann sich in den Schlaf zu weinen. Warum hatte es sie treffen müssen? Sie konnte sich damit noch nicht abfinden.
Als sie am nächsten Morgen von einem Alarm geweckt wurde, der die letzte halbe Stunde des Shuttles und somit auch seiner Insassen bedeutete, geriet sie nicht mehr in Panik, sondern zog sich nur zügig ihre besten Kleider an, denn, so entschied sie, würde sie in Würde ins Nachleben, welches auch immer es sein mochte, übergehen.
Danach trat sie an das Fenster, von welchem aus sie einen grandiosen Blick auf den vor ihnen liegenden Stern hatte.
Der Computer begann schließlich mit seinem Countdown: „Supernova in T-minus zehn Sekunden. Neun. Acht. Sieben. Sechs. Fünf.“
„Ich nehme mein Schicksal an“, sagte Kira, „Es soll kommen, was da kommen möge.“
„Zwei. Eins.“
Sie musste sich wegdrehen, doch konnte Kira nicht sagen, ob es an der schieren Helligkeit lag oder an der unfassbaren Schönheit, die sich ihr darbot und nicht für sterbliche Augen gemacht zu sein schien.
„Und ich bin damit sogar zufrieden“, sagte sie als das Schiff in Stücke gerissen und über die gesamte Galaxis verteilt wurde. Und sie wusste, dass die Samen, die als Geschenk für ihre Schwester gedacht waren, ihren Weg zu ihrem Ziel finden würden. Sie würden jedes Jahr aufs Neue blühen und ein Teil von ihr würde auf diese Weise niemals vergehen.