Die Phantasie ist das Auge der Seele oder: Vom Traum, zwischen den Sternen zu wandeln…
Sie konnte es nicht glauben, endlich war sie am Ziel ihrer Reise! Vor ihr lag der Rote Riese in seiner ganzen Pracht. Er sah beinahe magisch aus, umwabert von Gas und Nebel, der durch die flammende Sonne, die hinter dem Giganten ihre Strahlen nach ihm ausstreckte, rosa schimmerte.
Von diesem Augenblick hatte sie auf ihrer Reise im Kryo-Schlaf unzählige Male geträumt. Aber auch von ihrer Familie, die sie auf ihrem Planeten zurückgelassen hatte. Sie konnte die traurigen Augen nicht vergessen, die sich aus lächelnden Gesichtern von ihr verabschiedeten, als sie die Rampe zum Raumschiff emporstieg. Keiner von ihnen wollte ihr diesen Moment schwerer machen, als er ohnehin schon war. Aber Augen lügen nicht; das wusste sie. Trotzdem strahlte sie zurück und winkte ihnen zu, damit sie ihre Zweifel nicht sahen. Die Entscheidung war ihr nicht leichtgefallen, denn dieser Abschied war für immer. Würde sie den Rückweg schlafend unbeschadet überstehen, würden keine Asteroiden ihr Raumschiff beschädigen, würde, würde… Es trennten sie Lichtjahre und alle geliebten Menschen wären längst zu Staub zerfallen, während sie mit ihren 24 Jahren immer noch voller Jugend steckte. Aber sie hatte schon immer mit jeder Faser ihres Daseins gewusst, dass sie dazu bestimmt war, in den Himmel zu reisen, dass sie eine Astro-Nautin war.
Sie atmete tief durch und machte sich bereit für all die Experimente, die sie ausführen sollte, um überhaupt erst auf diese Mission zu dürfen: Vor ihr stand der Arbeitsroboter, in den sie durch eine Klappe an der Rückseite einstieg, um Proben zu nehmen. Er sah aus wie ein mechanisches Ungetüm: Die Apparate und Schläuche, die notwendig waren, um sie mit Atemluft zu versorgen, machten das Ganze noch futuristischer. Die transparente Kugel, die ihr eine uneingeschränkte Sicht auf ihre Umgebung erlaubte, erinnerte sie an Geschichten von Jules Vernes, dem Helden ihrer Kindheit. Wie hatte sie ihn bewundert für all die fantastischen Erzählungen, in denen er Flug- und Tauchmaschinen Leben einhauchte, die vor ihm noch kein anderer ersonnen hatte. Sie erinnerte sich mit einem Schmunzeln an den Tag, als sie als 8-Jährige ein Teleskop geschenkt bekommen hatte. Außer sich vor Glück konnte sie kaum erwarten, dass es dunkel genug wäre, um den Nachthimmel nach Sternen und Planeten abzusuchen. Insbesondere der Mond hatte es ihr angetan. Sie hatte sich gefragt, ob die Rakete, welche sie in einem ihrer Bücher auf einer Zeichnung gesehen hatte, wohl immer noch in seinem Auge steckte.
Kaum hatte sie den Roboter aktiviert, konnte sie die Greifarme problemlos einsetzen, als würden nicht jede Menge Metalle und Kabel zwischen ihr und der Außenwelt liegen. Sie betätigte die Schalter der Luftschleuse; vor ihr schob sich lautlos eine Klappe nach unten und versenkte sich im Schiffskörper. Mit einem Schlag blieb ihr die Luft weg: Hierfür hatte sie trainiert, endlose Stunden im Virtual Space zugebracht. Aber all das hatte sie nicht auf diese Empfindungen vorbereiten können. Sie ging diesem endlosen Nichts entgegen. Ein letzter Schritt auf der vermeintlichen Sicherheit des Raumschiffbodens… und sie wurde vollkommen vom Universum umschlossen. Der Antrieb des Anzugs setzte ein und sie bewegte sich fast willenlos in Richtung Nebel, angezogen vom rosa Leuchten.
In der Ferne erkannte sie plötzlich überrascht ein längliches Objekt. Sie versuchte mit zusammengekniffenen Augen auszumachen, was es sein könnte, aber es war noch zu weit entfernt und zum Teil vom Nebel verdeckt. Wieso zeigten ihre hochentwickelten Instrumente nichts an? In ihr breitete sich eine wachsende Angespanntheit aus. Wo zum Teufel kam dieses Ding her? Hier sollte außer ihr nichts sein außer dem Roten Riesen und anderen Himmelskörpern. Das Objekt löste sich aus dem Nebel und kam ihr nun, als habe es sie eben erst bemerkt, entgegengeschwebt…