Ein sterbender Stern

Wettbewerbsbeitrag von Viktoria Young, 20 Jahre

Es lag schon viele Jahre zurück, da weilte ich in dem grünen weichen Gras, welches der Frühling hervorbrachte. Mein Gesicht war in den Himmel gereckt, ehrfürchtig vor dem schönen Blau, das zuweilen durch einen Tupfer Weiß unterbrochen wurde. Andere Kinder begannen Figuren zu sehen. Die Gestalt eines Adlers oder doch die eines Delfins. Ich hingegen verschrieb mich von Tag zu Tag mehr der Frage, was wohl hinter dieser Welt aus Blau lag. Wer sind wir? Wie sind wir entstanden? Gibt es da draußen jemand, der unsereins ähnelt? Diesem Wissensdurst verschrieben, begann ich Antworten zu suchen. Antworten, die mir niemand wahrhaftig geben konnte und so entschloss ich mich selbst auf die Reise zu begeben. Meine Reise. Mein kleines Raumschiff und ich zwischen unendlich vielen Teilchen.

Mein verträumter Blick galt der Dunkelheit, die mich und mein kleines Raumschiff umgab. Ich lag genauso da wie damals, als ich noch auf der Erde weilte. Nun war ich hier draußen. Ein solch winziger Teil des Universums. Diese erhabene Unendlichkeit, die einen Pool aus Möglichkeiten bereithielt. Es war dieselbe Unendlichkeit, welche die Menschen seit Anbeginn ihrer Zeit fürchteten. Ihrem eigenen Geist Grenzen aufzusetzen, beruhigte sie gewissermaßen. Doch Grenzen, das lernte ich auf meiner Reise, waren ein menschliches Konstrukt. Es existierte lediglich innerhalb ihres Verstandes. Doch hier draußen zwischen den unzählbaren Galaxien und den unendlich vielen Sternen, da gab es kein Ende. Keine Grenzen. Wie sehr ich mich auch von meiner Heimat entfernte, so ließ dieser Gedanke meinen Geist winden. Alles musste ein Ende haben. Alles musste eine Grenze haben. Wie sonst sollte man all das definieren? Die Einsicht, dass man es mit dem eigenen Geist niemals verstehen kann, hatte sogleich etwas Frustrierendes als auch etwas Aufregendes. Frustrierend, weil man nie in der Lage sein wird, alle Antworten zu finden. Aufregend, weil es öde wäre, alle Geheimnisse unserer Welt aufgedeckt zu haben. Doch ich war eine Suchende. Eine Suchende in einem kleinen Raumschiff.
In der Ferne tat sich eine Planetenkonstellation auf und wenn ich bedachte, wie klein unsere Erde dagegen war, fühlte ich mich um Welten winziger. Wie so oft hielt ich Ausschau nach Anzeichen von Leben. Als ich mich in dieses Abenteuer stürzte, so war ich mir sicher, da draußen würde es jemand geben. Ganz viele Jemand, doch ich wurde immerzu eines Besseren belehrt. Auf Planeten, die unserem gewissermaßen ähnelten, fand ich Spuren vergangener Existenz. Doch diese Spuren waren gleichsam verwischt, als wäre unsereins der letzte verbliebene Rest einer längst vergangenen Zeit. Doch Zeit gleichsam wie Grenzen waren ein Konstrukt der menschlichen Intelligenz. Dieser Fakt wurde mir mit jedem Mal bewusst, wenn ich darüber nachdachte, wie viel Jahre in meiner Heimat vergangen waren. Kein Anfang und kein Ende. Warum sollte also das Leben eines besitzen?
Meine Hand lehnte sich gegen das kühle durchsichtige Material, welches mich vor dieser Dunkelheit da draußen beschützte. Ob wir Menschen wohl dafür gemacht wurden, die Weiten der Galaxien zu erklimmen? Ob es überhaupt, so etwas wie einen Schöpfer gab? Wenn ja, dann hatte ich ihn bislang nicht zu Gesicht bekommen. Ich musste schmunzeln, denn der Anblick eines sterbenden Sterns bot sich in der weiten, weiten Ferne. Einer solch schaffenden Kraft beim Verenden zuzusehen, hatte etwas Magisches. Allgemein war dies der Begriff, den ich meiner Reise widmen würde. Magisch. Der Stern, der gerade seine letzten Atemzüge tätigte, verabschiedete sich mit einer Kulisse, die alle möglichen Farben aufbrachte, nur um schließlich in einem Etwas aus Nichts zu verschwinden. Doch nichts war eine so missliche Beschreibung. Es war ein Geben und Nehmen. Ein Fluss, den auch ich eines Tages bestreiten werde. Energie, die niemals vergeht. Ich lauschte noch einmal dieser unbändigen Stille, bevor ich meinen Kurs in eine andere Richtung einschlug. Die Suchende in mir hatte noch so viele Fragen. So viele Fragen, die mir nur ein Ort, eine Person schenken konnte.

Eine unglaublich schöne Reise lag hinter mir und daraus bestand schließlich das Leben. Einer Reise.
Oftmals stieß ich an meine Grenzen, körperlich und geistig, und nicht immer war ich allein. Doch nun war ich allein und das sollte ich auch, denn gerade betrat ich jene Fläche, welche mir auch die verbliebenen meiner Fragen beantworten soll. Ich wusste, es war das letzte Mal, dass meine Hand über das Material meines kleinen Raumschiffs fuhr. Ich schenkte ihr ein Lächeln, denn sie machte mir ein Geschenk, welches unbezahlbar war. Heute schlüpfte ich nicht in den weißen Anzug, der mich für gewöhnlich vor der fremden Atmosphäre beschützte. Stattdessen berührten meine Füße den trockenen Untergrund. Mein Körper fühlte sich schwer an und dennoch setzte ich mit einem Grinsen einen Fuß vor den anderen. Ich reckte meinen Kopf in den Himmel und erinnerte mich daran, wie mich diese Geste erst an jenen Ort führte. Der Untergrund wurde uneben und führte mich stetig in die Höhe. Ich schnappte nach Luft. Noch immer dieses Schmunzeln im Gesicht. Die Spitze des Berges beinahe erklommen, begann mein Geist sich zu verselbstständigen. Sich Vorstellungen auszumalen. Schließlich waren da die Antworten auf all meine Fragen, doch das, was ich tatsächlich genoss, war einem Stern beim Sterben zuzusehen. Mir selbst.

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Die Über All Lesung

Lasst euch von sieben der Preisträger:innen des Wettbewerbs Über All in ferne Welten entführen

Die Über All-Preisträger:innen

Vielen Dank an alle Teilnehmenden für diese spannenden Exkursionen ins All und herzlichen Glückwunsch den Preisträger:innen

Die Über All Jury

Teilnahmebedingungen

Preise - Das gibt es zu gewinnen!

Schirmherrin Dr. Suzanna Randall

EINSENDUNGEN

Autorin / Autor: Viktoria Young