Denn ich versprach dir einen Kometen

Wettbewerbsbeitrag von Nor Albaag, 16 Jahre

Abermillionen Sterne liegen rechts und links von mir und obwohl unser Raumschiff sie schon seit Monaten passiert, betrachte ich sie stundenlang. Wir schlängeln uns durch den galaktischen Nebel, acht Leute, verbunden durch eine Leidenschaft, ein Ziel, angezogen von dem Abenteuer wie Sterne von einem schwarzen Loch. Etwas Anderes hat mich nie interessiert, du hast es nie verstanden, wieso ich keinen Freund, keine Familie, kein gewöhnliches Leben wollte. Ich bin nicht wie du, ich liebe das All, die unendlichen Weiten, die fantastische Schönheit, es war alles für mich. Und jetzt ist es nichts. Denn du warst mein Anker in dieser erdrückenden Unendlichkeit, immer da, und jetzt bist du es nicht mehr. Jetzt tue ich es alles für dich, fange dir einen Kometen, für alles, das du für mich gemacht hast. Für jedes Mal, dass du mir geholfen, mich unterstützt hast, ohne dass ich es merkte. Du warst selbstverständlich für mich und ich hasse mich dafür, dass ich dich im Stich gelassen habe. Schon wieder. Die Sterne verschwimmen, alles zieht an mir vorbei, wie du. Du meintest, du wärst okay, hast mir mit leuchtenden Augen versichert, dass die Schmerzen besser werden, ich auf die Mission soll. Doch auch erlöschende Sterne leuchten weiter bis zu ihrer Supernova. Ich habe deine nie erlebt. Ich glaubte dir und reiste los, geblendet vor Aufregung, während es dir schlechter und schlechter ging. Ich schlucke. "Alles in Ordnung, Harper?", fragt mich der Co-Kommandant. Ich nicke, verstecke die Tränen, indem ich meinen Helm aufsetze, wie ich es immer tue, wenn es schwierig wird. Ich flüchte ins Geheimnisvolle, um das Unausweichliche auszublenden. So wie deine Diagnose. Als der Doktor mitteilte, der Krebs ließe dir maximal ein Jahr, war mir klar, dass ich die größte Mission der Menschheit absagen musste. Und nun bin ich doch hier.

"Alles startklar?", kommt es vom Co-Kommandanten und die Crew nickt. Die angespannte Stille füllt den ganzen Raum, durchkriecht jeden dunkelsten Winkel und nagt an meinen Kameraden. Sie haben mir in diesen Monaten beigestanden, wurden fast die Familie, die ich mit dir verlor. Mein Bauch verkrampft. Ich war dem einzig Hellem in meinem Leben entflohen. Und jetzt muss ich es schaffen, für dich. Wortlos steigen wir mit Raumanzug und Sauerstoff aus der Kapsel, bewegen uns zur Anschaltautomatik des kleinen Gefährts und werfen es an. Nun zählt nur noch eins. Schweigend kehren wir ins Innere zurück und ich setze mich ans Steuerpult, lenke das Gefährt langsam in die Umgebung des Ziels. Es sollte ein einzigartiger Moment sein, die erste weibliche Astronautin, die eine weltrettende Mission leitet. Doch dich konnte ich nicht retten. Die lautlose Unruhe wird zu lauter Vorfreude, dann kommen plötzlich nur noch Wortfetzen und undefinierbare Lichtimpulse bei mir an, bis ich mich wieder im Krankenhauszimmer befinde.
"Du musst gehen." Du schaust mich aus diesen schwächer leuchtenden Augen an, die keine Widerrede erlauben. "Amira, ich kann dich doch nicht so hier lassen, ich hätte es bei der Testmission schon nicht machen dürfen, du hast doch nur...du...bist wichtiger als eine Mission, ich...", überschlagen sich meine Worte, als du sanft deine Hand auf meine legst und schmerzlich lächelst. "Ich will, dass du gehst. Das ist wichtig für dich, für die Welt, wir wissen beide, dass es die einzige Hoffnung ist. Der Komet muss zerstört werden, bevor er auf die Erde trifft und sie zerstört." Die Tränen rinnen mir die Wangen herunter, du streichelst sie sanft weg. "Izzy, ohne dich ist die Mission nicht möglich, die Crew braucht dich, du musst gehen..." "Aber ich kann dich nicht alleine sterben lassen!" Ich schaue dich an, doch du lächelst nur. "Fang für mich diesen Kometen, Schwesterherz, fange ihn für mich und die Zwillinge!" Ich schaue zu den schlafenden Babys in den Armen ihres schlafenden Vaters und wusste, dass es nicht anders ging. Und so umarme ich sie ein letztes Mal, spüre ein letztes Mal die Wärme und sehe zu den Kindern, deren Zukunft ich retten soll.

Alles wird wieder klar, ich spüre die Kälte des Raumschiffes und sehe zu dem bedrohlichen Kometen auf dem Bildschirm. Ich mache mich an die Arbeit, treffe die Vorkehrungen, um die verheerende Kollision zu verhindern, um den Kometen mit gezielten Schüssen aus dem dazu konzipierten Gefährt zu zerkleinern und so unschädlich zu machen. Ich sehe zu den Anderen. Alles ist bereit, nun kann ich nichts mehr tun außer zu hoffen. Ich drücke den letzten Knopf. Noch zehn Sekunden bis zum Manöver. Neun. Ich habe dich enttäuscht. Acht. Es war meine Schuld. Sieben. Vielleicht hättest du es mit mehr Unterstützung geschafft. Sechs. Ich war es dir schuldig zu bleiben. Fünf. Ich bin dir das hier schuldig. Vier. Es muss klappen. Drei. Ich muss die Erde, die Zwillinge retten. Zwei. Ich muss den Kometen fangen. Eins. Für dich. Null.

Ich schlage die Augen auf. Alles bebt, die Crew jubelt, tanzt, beglückwünscht sich. Es ist geschafft. Ich kann mich nicht regen, denn nun gibt es da nichts mehr. Ich schaue hoch und kann den Blick nicht abwenden von den winzigen Kometenstückchen, die in alle Richtungen fliegen, gefolgt von einem eisigen, magischen Schweif. Abermillionen Sternschnuppen. Ich lächle, du hättest das hier gemocht. Doch ich habe keine Wünsche mehr. Und dann wird mir alles klar. Nicht das Universum war mein Leben, all das war für dich. Um dich stolz zu machen, um mich dir nah zu fühlen, denn alles, was das Universum schön gemacht hat, war der Gedanke an dich. Ich wollte zur Erde zurück für dich. Jetzt muss ich das nicht mehr. Ich wende meinen Blick ab und atme tief durch. Jetzt weiß ich, was zu tun ist. Entschlossen setze ich meinen Helm auf, gehe starr auf die Luke zu, öffne sie entgegen der entsetzten, verhallenden Schreie. Ich atme ein, spüre noch kurz eine letzte Hand, die ich wegstoße, höre die Verzweiflung, die mich nicht zurückziehen kann, denn ich sehe nur eins vor mir. Ich lasse mich fallen, ungesichert in die unendliche Leere und lächle. Ich fing einen Kometen für dich. Ich schließe die Augen und genieße die Nähe zu dir, furchtlos schwebend, geborgen und frei, bis das Leuchten der Sterne erlischt.

Alle Infos

Die Über All Lesung

Lasst euch von sieben der Preisträger:innen des Wettbewerbs Über All in ferne Welten entführen

Die Über All-Preisträger:innen

Vielen Dank an alle Teilnehmenden für diese spannenden Exkursionen ins All und herzlichen Glückwunsch den Preisträger:innen

Die Über All Jury

Teilnahmebedingungen

Preise - Das gibt es zu gewinnen!

Schirmherrin Dr. Suzanna Randall

EINSENDUNGEN

Autorin / Autor: Nor Albaag