Stille. Der erste Begriff, der mir in den Sinn kam, um das zu beschreiben, was mich in diesem Moment umgab: Das Weltall. Doch auch wenn bei vielen Menschen die komplette Stille ein beunruhigendes, regelrecht angsteinflößendes Gefühl hervorruft, war es pures Glück, das mich in diesem Moment durchströmte. Ich befand mich außerhalb unseres Raumschiffes, um einige Reparaturen durchzuführen. Nach Monaten der Reise war es an der Zeit zu kontrollieren, ob alles noch an Ort und Stelle war, wir durften schließlich kein Risiko eingehen. Auch wenn ich noch einige Arbeit vor mir hatte, bevor ich wieder zu den anderen im Inneren stieß, schloss ich für einen Moment die Augen und genoss den Moment. Wie lange schon hatte ich hiervon geträumt? Tag und Nacht hatte ich für diesen Traum gearbeitet, der vielleicht nie Realität geworden wäre. Doch nie ich hatte aufgegeben. Für mich gab es nie die Überlegung aufzugeben, auch wenn so viele Menschen mich dafür belächelt hatten. Eine Frau im Weltall. Eine Frau an Bord der ESE, der „Endless Space Expediton“.
„Träume,“ hatten sie gesagt, „Träume sind nur eine Illusion, die dich vom Leben abhält.“ Wie oft hatte ich mir diesen Spruch anhören müssen. Von Menschen, die sich nie wirklich für mich interessiert hatten. Freunde, die mich hätten unterstützen müssen, egal wie absurd meine Idee war. Lehrer, die mich hätten lehren sollen, dass alles möglich sei. Familie, die mir das bisschen hätten lassen sollen, was mir von meiner Mutter noch geblieben war. Sie alle hatten mir tagtäglich gesagt, ich solle nach erreichbaren Zielen streben, ich solle etwas „Sicheres“ machen, ich solle etwas machen, was eher zu einer Frau passe. Doch von all diesen Menschen, war es meine Mutter gewesen, die mir auf den Weg gab, nie aufzugeben. Sie war es auch gewesen, die meine Faszination für das Weltall überhaupt erst geweckt hatte. Schon als ich klein war, ist sie mit mir bis spät in die Nacht aufgeblieben, um in den Sternenhimmel zu blicken. Eine der begabtesten Astrophysikerinnen die jene Welt je gesehen hatte. Doch ist ihre Stimme immer stumm geblieben. Ist ihre Stimme nie erhört worden. Weil sie eine Frau gewesen war. Seit Jahrzehnten bezeichnete sich unsere Gesellschaft als eine in jeglicher Weise gleichberechtigte Gesellschaft. Aber wo ist diese Gleichberechtigung gewesen, als eine junge Mutter sich Gehör verschaffen wollte, um ihre weltverändernden Entdeckungen mit der Welt zu teilen? Alles, was sie erreichen konnte, war, dass man ihre Entdeckungen in kleinen Teilen veröffentlichte. Im Namen eines Mannes, der schlussendlich allen Ruhm dafür erntete. Ungehört starb meine Mutter, als sie den Kampf gegen den Krebs aufgeben musste. Das 8-jährige Mädchen, welches ich damals gewesen war, musste miterleben, wie seine Mutter, seine größte Heldin, ihre letzten Atemzüge tat. Ihre letzten Worte begleiteten mich bis heute tagtäglich auf meinem eigenen Kampf in einer in vielen Teilen patriarchalen Welt: „Am Ende ist Licht!“
Ich war nicht die erste Frau im Weltall. Nein, es hatte schon vor mir Frauen gegeben, die nie aufgegeben hatten, an ihre Träume zu glauben. Doch war ich die erste Frau, die es auf ein ESE Raumschiff geschafft hatte. Vor allem in diesen besonderen Fällen traute man es einer Frau wohl nicht zu, physisch und psychisch stark genug zu sein, um alles hinter sich zu lassen und sich auf eine Weltreise einzulassen, die wahrscheinlich den Tod bedeutete. Die ESEs waren spezielle Raumfahrtexpeditionen, die auf den Erkenntnissen meiner Mutter aufbauten. Sie hatte eine Möglichkeit geschaffen, durch Raum und Zeit zu fliegen und mögliche andere Welten zu finden. Ich befand mich an Bord der dritten ESE, als Teil einer fünfköpfigen Crew. Von den zwei bisherigen Expeditionen hatte man nie wieder etwas gehört. Vielleicht waren sie schon lange tot, vielleicht hatten sie aber jenes Ziel auch schon lange erreicht, nur ohne Möglichkeit, die Erde zu kontaktieren. Auch wenn jedes Mal aufs Neue wieder eine Verbesserung des Raumschiffes und der Kommunikationsmöglichkeiten unternommen worden war, wusste ich nicht, was die weiteren Tage, Wochen, Monate bringen würden. Doch ängstigte mich diese Ungewissheit in keinster Weise. Im Gegenteil, ich blickte dem Kommenden voller Vorfreude entgegen.
Plötzlich wurde das gesamte Raumschiff von einem hefigen Rütteln erfasst. Hastig nahm ich Verbindung zu Jace auf, der mich anwies, sofort wieder ins Innere zu kommen. Ich befolgte seine Anweisung so schnell wie möglich, da das Rütteln nun in immer kleineren Abständen geschah. Als ich mich endlich wieder im Innenraum des Raumschiffes befand, begab ich mich schnell auf meinen Platz. Die übrigen Crewmitglieder saßen schon fest angeschnallt auf ihren Sitzen und blickten erwartend durch die kleine Scheibe, welche sich gegenüber befand. War dies der Moment, auf den wir so lange gewartet hatten? Hatten wir den Punkt erreicht, an dem sich alles ändern sollte? Es schien zumindest so, denn das Rütteln, welches jetzt einsetzte, schien kein Ende mehr zu nehmen. Das Nächste, was ich wahrnahm, war ein gleißendes Licht, welches jeden noch so kleinen Winkel des Schiffes auszufüllen schien. Das Licht löste einen heftigen Schmerz in meinem Kopf aus, dennoch hatte ich gleichzeitig das Gefühl, es wäre mir nie besser gegangen und ich wäre endlich angekommen. Die Ruhe, die mich plötzlich erfüllte, ließ jegliches Zeitgefühl verschwinden. Demnach konnte ich nicht sagen, wie viel Zeit inzwischen vergangen war, wie lange wir uns in rasender Geschwindigkeit durch dieses Licht bewegten. Oder bewegten wir uns überhaupt? Selbst diese Frage konnte ich nicht beantworten. Das Einzige, was ich ganz genau in diesem Moment sagen konnte, war dass das, was dort draußen an uns vorbeirauschte, Welten waren. Die Unendlichkeit der Welten. Dieses Wissen schien einfach vollkommen klar, als ob ich es schon immer gewusst hätte. Denn am Ende ist Licht!