Das Licht jenseits der Sterne

Wettbewerbsbeitrag von Leyla Altincicek, 14 Jahre

Scheinbar langsam nähert sich das Raumschiff Sextant dem Jupitermond Europa. Nach über fünf langen Jahren Reise bereitete sich die Crew langsam auf die Ankunft vor. Die amerikanische Kommandantin Avery Harris und ihr Kollege James Smith hingen jedoch außen an den vom Hauptkörper abragenden Modulen. Wie zwei unscheinbare weiße Flecken schwebten die Beiden an dem kolossalen Raumschiff umher. Festgemacht nur durch ein dickes Seil, was vor einem endlosen Flug durch ein schwarzes Nichts bewahrte. Harris musste in ihrem Raumanzug durch die Anstrengung schwer atmen. Ihre kurzen schwarzen Haare klebten an ihrem Gesicht. Endlich kamen die Beiden an ihrem Ziel nahe der riesigen Solarzellen an, die das Raumschiff mit Strom versorgten.
„Wir sind angekommen“ sagte Harris.
„Verstanden, Kommandantin“  kam es kratzig von der deutschen Pilotin Karin Gruber über Funk. Eine der kleineren Satellitenschüsseln am Raumschiff war fast komplett zerstört worden.
„War wahrscheinlich nur ein kleiner Komet,“ meinte Smith.
„Kann es repariert werden?“ antwortete Harris.
"Ich muss nur das neue Teil anbringen“ sagte ihr Kollege. Während er das Ersatzteil anbrachte, schaute Harris sich um. In fast allen Richtungen um sie herum war es stockdunkel, bis auf die hellen Punkte, welche undenkbar weit entfernte Sterne, Planeten oder andere Himmelskörper waren. Vor ihr stand der riesige Gasplanet Jupiter. Der Planet sah umgeben vom endlosen Nichts unheilvoll und dunkel aus.
„Man, diese Aussicht würde ich gern mal meinen Kindern zeigen,“ sagte Smith plötzlich.
„Ja, es ist wirklich ein Hingucker,“ sagte Harris. Harris musste zugeben, dass sie manchmal ein wenig neidisch auf ihre Kameraden war. Sie hatte sich immer auf ihre Ziele konzentriert und hatte nie Zeit oder Interesse an Familie gehabt. Manchmal bereute sie es, lange nur daran gearbeitet zu haben, sich einen Platz in dieser Mission zu verschaffen.
„Das sollte reichen,“ Smith riss sie aus ihrer Träumerei heraus.
„Gut, dann schnell zurück,“ antwortete Harris, „Wir kommen zurück, macht euch bereit.“
„Verstanden. Wir warten auf euch!“ sagte die Pilotin über Funk. Langsam zogen sich die Beiden an den gelben Griffen entlang der Station, zurück zur Luke, wo sie ins Raumschiff gelangen konnten. Plötzlich hörte Harris die verzehrte Stimme der Pilotin. Der panische Ton ihrer Stimme konnte man raushören. „Da kommt was auf uns zu! Auf dem Radar sieht es aus wie ein Asteroidengürtel!“ Die Panik der Pilotin war nicht ohne Grund; wenn es wirklich so war, dann waren Smith und sie außen am Raumschiff in Lebensgefahr. „Wie weit ist der Gürtel weg?“ fragte Harris und blieb dabei so ruhig wie möglich.
„Vielleicht so 90 Sekunden,“ antwortete Gruber mit ängstlicher Stimme.
„Mist, die Luke ist noch zu weit weg!“ Smith fluchte. Harris musste nachdenken. „Smith, zieh dich immer weiter in Richtung Luke bis es nicht mehr geht.“ befahl sie. Die gelben Griffe, an denen die Astronauten lang mussten, würden sie normalerweise von der Seite bis nach Oben auf das Raumschiff führen, um die Module zu umgehen. Doch wenn sie diesen jetzt folgen würden, wäre das Risiko, getroffen zu werden, zu hoch.
„Karin, du musst dich beruhigen. Wo können wir hin?“ Harris versuchte ruhig zu bleiben.
„Da vorn haben wir Schutz,“ sagte Smith und zeigte langsam auf. Harris schaute an ihm vorbei und sah, was er meinte: eine Spalte, vielleicht zwei Meter breit, zwischen einem Modul und dem Hauptkörper.
„Nein! Da sind weder Griffe noch irgendwas zum festmachen. Es muss was besseres geben!“
Harris wusste, dass sie als Kommandantin die Leben ihrer Kollegen sichern musste.
„Wir haben nicht genug Zeit!“ rief Smith. Um zur Spalte zu gelangen, würden die Beiden sich abkoppeln und abstoßen müssen, dann ein paar Sekunden durch Vakuum schweben. Wenn sie verpassten, waren sie verloren. Auch wenn Harris nicht wollte, mussten sie es versuchen. „Gut, wir müssen. Aber mach ja nichts falsch!“ sagte sie endlich. Smith drehte seinen Kopf und gab ihr Daumen hoch. Dann koppelte er sich ab, positionierte sich und stieß sich weg. Er schwebte ein paar Sekunden gerade aus, kam an der Spalte an und klemmte sich zwischen die beiden Wände. Harris atmete auf, doch musste jetzt das Gleiche tun. Sie koppelte sich ebenfalls ab, wartete nicht lange und stieß sich ab. Sie flog schwerelos genau in Richtung der Spalte. Sie hatte es fast geschafft! Plötzlich traf Harris etwas am Rücken. Sie wusste nicht, warum sie nichts tat, um sich selbst zu helfen. Sie drehte sich langsam, während sie sich immer weiter von der Sextant entfernte. Immer wieder kam ihr das Raumschiff und der weiße Anzug ihres Kollegen in den Blickwinkel. Karins Stimme war kratzig und dumpf in Harris‘ Ohr, doch ihr Gehirn grenzte den Ton aus, bis er schließlich von allein weg ging. Das Loch in ihrem Anzug hatte sie schon längst bemerkt. Harris wusste, was jetzt geschehen würde, und sie konnte nichts tun. Sie sah sich panisch um, doch bemerkte erst dann, wie schön es um sie herum war. Milliarden von Sternen, die helle Sonne, die Harris sogar mit ihrem schützenden Helm in den Augen wehtat, und der Jupiter, den noch kein Mensch so nah gesehen hatte wie sie und ihre Crew. Ihre Crew.
Sie konnten Harris nicht retten, und mussten ohne sie auskommen, wie sie es im Training gelernt hatten. Auf der Erde würden viele trauern, doch würde jemand sie wirklich vermissen, auch Jahre später? Hätte sie ihr Leben stattdessen nutzen sollen, um jemanden zu finden, der sie nach dem Tod vermissen würde? Sie sah einen der hellen Punkte, und stellte sich vor, die Erde zu sehen. Vielleicht, aber nur vielleicht, schaute jemand von dort gerade in den Himmel, und dachte an sie. Dieser jemand war wenigstens im Herzen bei ihr, und sie war nicht so allein. Wie sie auf ihre „Erde“ schaute, dachte sie daran, wie klein sie doch in diesem riesigen Universum war, und wie viel es noch da draußen gibt, was sie niemals sehen würde. Aber vielleicht war es besser so. Sie lächelte ein bisschen. Sie stellte sich vor, ein helles Licht zu sehen, wie es ihr immer in Geschichten vom Ende erzählt wurde. Und dann wurde ihr kalt.

Alle Infos

Die Über All Lesung

Lasst euch von sieben der Preisträger:innen des Wettbewerbs Über All in ferne Welten entführen

Die Über All-Preisträger:innen

Vielen Dank an alle Teilnehmenden für diese spannenden Exkursionen ins All und herzlichen Glückwunsch den Preisträger:innen

Die Über All Jury

Teilnahmebedingungen

Preise - Das gibt es zu gewinnen!

Schirmherrin Dr. Suzanna Randall

EINSENDUNGEN

Autorin / Autor: Leyla Altincicek