»So ein Quatsch!«, verkündet die Studentin laut und unaufgefordert, nachdem der Vortrag „Alleine im Universum?“ zu Ende ist, »Außerirdische und der ganze Mist sind doch nur Wunschdenken. Es gibt da draußen kein vergleichbares Leben zu dem unseren. Keine Fotosynthese ohne Sauerstoff und ohne Fotosynthese, kein Leben. Im ganzen Weltall nicht.«
Die astronomische Abteilung des Museums, in welcher der Vortrag soeben stattgefunden hatte, ist nur noch spärlich besucht. Aufgrund der Äußerung der jungen Frau fühlen sich die drei übrigen Besucher, ein Mann mittleren Alters, eine Frau im selben Alter, sowie eine androgyn wirkende Person dazu aufgefordert, der Studentin zu widersprechen.
»Sind Sie vom Fach?«, fragt der Mann interessiert und die Studentin nickt vage: »Ich studiere Physik und Quantenmechanik, und das sind fundierte und belegbare Wissenschaften«
Die dritte Person blickt die Studentin fragend an: »Ich für meinen Teil fand den Vortrag sehr nett. Wer sagt denn, dass alles Leben so sein muss wie auf der Erde? Wer sagt denn, dass jeder Sauerstoff braucht? Man kann nun mal nicht alles logisch erklären, aber alles ist möglich, wenn man daran glaubt. Nehmen Sie mich zum Beispiel: Ich bin nicht von Ihrer Welt und trotzdem bin ich hier, oder etwa nicht? … Ich bin hier, aber ich bin kein Mensch. Sie sehen einen Menschen, aber dieser Umstand ist nur ein Simulakrum, ein Trugbild, und zwar eines, das die menschlichen Sinne schaffen, um einen Umgang mit der Realität zu finden, die das Gehirn nicht begreifen kann«
Während die anderen beiden ernsthaft interessiert sind, verschränkt die Studentin skeptisch die Arme und das Alien lächelt: »Es ist faszinierend: Warum will der Mensch immer alles verstehen, auch wenn es über sein Begreifen, oder seine Fähigkeit dazu, hinausgeht?«
Da nickt der Mann zustimmend: »Sie haben Recht. Aber wie Sie schon sagten, jeder gestaltet sich anhand seiner eigenen, individuellen Wahrnehmung seine eigene Realität. Und das ist ja eigentlich eine wunderbare Sache, oder? Jeder von uns hat seine ganz eigene Sicht auf die Welt, jeder entscheidet, was er glaubt und was nicht«
»Das Konzept Glaube ist sehr interessant«, gibt das Alien zu, wird aber von der Studentin unterbrochen: »Glaube ist keine fixe Realität, es ist Einbildung … Nehmen wir zum Beispiel das Alter, oder das Älterwerden. Eigentlich eine feste Gegebenheit, aber es gibt Leute, die sich einbilden, die Zeit anhalten oder sogar zurückdrehen zu können, um ihre Jugend zu bewahren. Aber die Wahrheit ist: Zeit ist linear und es geht nur vorwärts.«
Dazu hat die Frau etwas zu sagen: »Ich stimme Ihnen da nur zur Hälfte zu, denn sie müssen wissen, ich bin Zeitreisende und komme aus der Zukunft. Ich stehe dem zeitlich-linearen Aspekt des Lebens sozusagen außen vor.«
Ungläubig starrt die Studentin die Frau an: »Das ist ein Witz, oder? Was ist das denn für eine Gruppe? Aliens und Zeitreisen, wie soll das funktionieren?«
»Das ist top secret«, entgegnet die Frau höflich, »Ich bin an Regeln gebunden und die Oberste lautet: Misch dich nicht ein! Denn jede Entscheidung zieht unweigerlich Konsequenzen nach sich, jede Tat hat Folgen … Wenn unser Treffen hier beispielsweise Ihren Geist anregt, um aus einer Utopie Realität werden zu lassen, dann, wer weiß, erfinden Sie vielleicht eines Tages die Zeitmaschine, die unser Treffen erst ermöglicht.«
»Bestimmt«, sagt die Studentin sarkastisch, das Alien aber befürwortet die vorherige Aussage, während es einen kleinen, dunklen Meteorstein aus der Jackentasche holt und ihn der jungen Frau in die Hand drückt: »Also wenn ich in den ganzen Jahren eines über den Menschen gelernt habe, dann, dass er lernfähig ist, wenn er nur bereit ist, sich für etwas Neues und Unbekanntes zu öffnen.«
Mit diesen Worten verabschiedet sich das Alien, winkt noch einmal fröhlich, bevor es hinausgeht, während die Studentin den Stein in ihre Hosentasche steckt. So bemerkt sie nicht den vielsagenden Blick der anderen beiden und beteiligt sich erst wieder am Gespräch, als die Zeitreisende ihr den ersehnten Beweis in Aussicht stellt.
»Da ist er«, sagt die Frau und zeigt auf den Mann, »Das ist Ihr Enkel. Aus der Zukunft«
»Es stimmt«, nickt der Mann und holt zum Beweis einen kleinen, dunklen Meteorstein aus der Tasche, eine exakte Kopie des eben erhaltenen Geschenks, welches sich immer noch in der Hosentasche der Studentin befindet. Er erklärt: »Den hast du mir vor einiger Zeit geschenkt beziehungsweise du wirst ihn mir schenken … Eigentlich sollte ich das hier nicht tun … Du verstehst doch, dass ich gerade in meine eigene Vergangenheit eingreife, oder?«
»Ja. Schon. Irgendwie«, stammelt die Studentin, »Aber wie? Und warum?«
Die Zeitreisende beginnt, von Paralleluniversen zu erzählen, bricht aber ab, als sie merkt, dass das Warum interessanter ist und so meint der Mann: »Du musst offen sein für Neues, Unbekanntes. Vor allem morgen, wenn du auf jemanden treffen wirst, der sehr wichtig für dein Leben und dein Wirken sein wird. Glaub mir, es ist richtig so, auch wenn du niemandem etwas hiervor erzählen darfst. Kein einziges Wort. Niemals. Du musst es schwören.«
Die Studentin beschwört ihre Verschwiegenheit, ist aber so verwirrt und überwältigt, dass sie sich überstürzt verabschiedet. Im Türrahmen bleibt sie noch einmal stehen und sagt: »Ich schätze, wir sehen uns dann in der Zukunft irgendwann?«
Der Mann lächelt sie an: »Werden wir ... hoffe ich.«
Als die Studentin fort ist, erwidert die Zeitreisende entspannt: »Das wird schon so gewesen sein. Sie hat auch deinen Großvater morgen getroffen, schließlich bist du ja noch hier. Hätte sie es nicht, dann gäbe es dich folglich auch nicht. Du wärst nie da gewesen und ich stünde blöd rum und würde mich wundern, was ich hier mache. Abgesehen davon … Ohne die Arbeit, den Grundstein, den sie morgen legt, wären Zeitreisen erst sehr viel später möglich«
Die beiden verlassen den Ausstellungsraum, wohl wissend, dass dieser kleine Eingriff in das Leben der jungen Frau, die gesamte Zukunft verändert haben wird, ähnlich dem Flügelschlag des Schmetterlings.