Ich blicke aus der kleinen Luke und sehe vor mir die Erde, klein wie ein Fußball. Tränen schwimmen in meinen Augen, mein Herz klopft schnell. Der Weg hier, an die kleine Luke unseres Raumschiffes war lang, sehr lang.
Mama schaute mit mir früher, als ich noch klein war, oft den Sternenhimmel an und erklärte mir, wer welcher Stern ist. Wir hatten sogar ein echtes Teleskop. Zusammen saßen wir dann bei Dunkelheit und Stille draußen auf unserem Balkon, starrten in den Himmel, bis uns der Nacken weh tat oder uns die Augen zuklappten. Diese unendliche Weite faszinierte mich. Ich fragte Mama oft, was da draußen noch so ist und ob Gott auf dem Mars oder der Venus wohnt. Ich würde den Mars aussuchen, der sieht viel cooler aus, außerdem müsste ich dann nicht noch Wasser mitschleppen, wenn ich dort hinziehen würde. Wasser gibts da ja schon. Sie meldete mich daraufhin vom Religionsunterricht ab und las mir Bücher über das Weltall und ferne Galaxien vor.
Selbst viele Jahre, nachdem sich meine Eltern geschieden hatten und ich wusste, dass Gott nicht auf dem Mars lebt, schaute ich nachts stundenlang die Sterne an. Nach der Scheidung wohnte ich bei Papa, Mama habe ich nur noch selten gesehen, sie wohnte dann plötzlich mit ihrem tollen neuen Blödmann in Berlin. Da kann man bei der ganzen Lichtverschmutzung und den Häusern noch nicht mal den Mond vernünftig se-hen.
In der Schule fielen mir Physik und Mathe leicht. Ich mochte das Detektivspiel, wenn wir eine schwere Aufgabe bekamen. Es war wie bei den Krimis, die Mama früher oft geschaut hatte. Ein Rätsel, das es zu lösen galt. Physik war mein Leistungskurs, ich war gut darin, mich in Aufgaben rein zu fuchsen. Ich hatte Glück, die meisten meiner Mitschüler quälten sich mit Rechenaufgaben, während es mir einfach vorkam. Große Beliebtheit bekam ich dadurch nicht, außer wenn es darum ging die Hausaufgaben bei mir abzuschreiben.
Ich wusste, seit Mama mir damals gesagt hatte, um zu wissen, wie es im Weltall aussieht, müsste ich schon selbst hinfliegen, dass ich Astronautin werden will. Dieser Wunsch hat sich nie aufgelöst, ich wollte wissen, wie es da draußen ist, ich wollte das Weltall erforschen und mit eigenen Augen sehen.
Die Berufsberaterin an unserer Schule hat mich belächelt. Ich könne ja auch Mathe und Physik Lehrerin werden, das sei realistischer. So ein Scheiß, ich wollte mich nicht den ganzen Tag mit irgendwelchen Kotzbrocken herumschlagen, ich wollte verdammt noch mal das Universum sehen.
Das Studium für Luft- und Raumfahrt Technik war verdammt schwer, es gab Tage da hasste ich es.
In den Naturwissenschaften gut zu sein, war ein Vorteil, aber ich musste für meinen Traum auch körperlich fitter werden und meine Belastbarkeit steigern. Sport war nie so mein Ding gewesen, oft war ich im Unterricht „krank“ gewesen oder hatte meine Periode viermal im Monat vorgetäuscht, wodurch mein Schwindel damals leider recht schnell aufflog. Ich ging joggen und Rad fahren, ich paukte viel fürs Studium, sehr viel. Es wäre gelogen gewesen zu sagen, dass es als Frau in einer Männer dominierten Nische nicht auch manchmal schwer war, sich zu behaupten.
Wenn ich zweifelte, stellte ich mir nachts einen Wecker und schaute in den Sternenhimmel, dann wusste ich wieder, wofür ich das alles tat. Ich verstand, dass es nicht reichen würde gut zu sein, ich musste sehr gut sein, um meine Chancen zu erhöhen. Wenn mir alles zu viel wurde, flüchtete ich in den nah gelegenen Wald und versteckte mich dort für ein paar Stunden vor dem Rest der Welt. Das Singen der Vögel, der Duft von den Kiefern und die Tannen gaben mir Kraft. Das feuchte Moos unter meinen Fingern fühlte sich gut an. Der Wald spendete mir Trost und gab mir neue Energie. Hier war alles ruhig und langsam. Hier war ich sicher.
Nach meinem Studium bangte und hoffte ich, dass mich die Europäische Weltraumorganisation ESA für die 4-jährige Ausbildung zur Astronautin annehmen würde. Papa und ich feierten, als ich die Zusage bekam. Er hat nie verstanden, warum ich Astronautin werden will, mich aber immer unterstützt. Zu meiner Mutter habe ich nur wenig Kontakt. Wir telefonieren ab und zu mal, aber die Gespräche bleiben oberflächlich und gesehen haben wir uns schon lange nicht mehr, geschweige denn die Sterne zusammen angeschaut.
Ich bin einer Wandergruppe beigetreten, um den ganzen Stress während der Astronautenausbildung zu kompensieren. Ich kam mir erst komisch vor, weil in der Gruppe hauptsächlich Rentner sind, aber ich habe meinen Gefallen an den Omis gefunden. Ich höre gerne zu, wenn sie über das beste Rezept für einen guten Streuselkuchen diskutieren. Lisbeth und ihre Gang sind cool. Die Damen haben immer ein offenes Ohr und ein Stofftaschentuch, wenn man mal ein bisschen an der Welt und dem Leben verzweifelt. Der Wald, die Gruppe hat mich in der stressigen Zeit während der Ausbildung gerettet.
Ich schaue aus der kleinen Luke und sehe vor mir die Erde, klein wie ein Fußball. Tränen schwimmen in meinen Augen, mein Herz klopft schnell. Ich verspüre eine tiefe Sehnsucht. Ich vermisse den Wald, meine Wandergruppe, Papa und meine Freunde. Es ist mein zweiter Ausflug ins All. Es ist spannend, was wir hier machen, aber jetzt wo da die kleine Erde vor mir schwebt, da verstehe ich uns Menschen nicht. Wir haben das größte Glück, diesen Planeten zu haben, und begreifen es nicht. Wir haben diese wunderschöne, atemberaubende Natur und wir schützen sie nicht. Wir haben uns, unsere Familien, unsere Freunde, unser Miteinander, unsere Menschlichkeit. Wir können Gefühle teilen, Tränen, Glück, Freude. Wir haben die Meere, die Wälder, die Tiere und die Berge. Ich will, ich darf, ich kann das nicht verlieren, um keinen Preis. Ich werde dafür kämpfen, dass dieser Planet, mein liebster Planet von allen, mein Zuhause, unser Zuhause weiter bestehen bleibt. Ich will nicht auf den Mars ziehen, so schön er auch aussehen mag, ich will unsere Erde. Ich weiß nicht, ob ich so schnell nochmal hier hoch fliegen werde, ich glaube, ich habe eine Mission.