Blut! Daran gab es keinen Zweifel!
Der rote Tropfen fiel auf die wichtigen Unterlagen und verschmierte die noch nicht getrocknete Tinte. Zum Glück hatte sie sich nur an einem ihrer vielen Blöcke geschnitten und echte Angst vor Blut hatte sie eigentlich auch nicht. So schlimm war es dann also doch nicht. Das Einzige, was sie noch störte, war der kleine purpurne Fleck auf ihren zusammen gehefteten, vollgeschriebenen Blättern Papier, die sie unter anderem noch aus Afghanistan, ihrem Heimatland mitgenommen hatte.
Kurz nachdem sie ihr Studium zur Raumfahrt-Expertin beendet hatte, haben die Taliban die Macht übernommen und Inaya entschied sich zu flüchten. Zusammen mit ihrer Schwester, ihrer Mutter und ihrer Tante zog sie los, ohne zu wissen, wohin es sie und ihre Familie verschlagen würde. Allerdings musste sie gut drei Tage nach ihrem Aufbruch den ersten Rückschlag einstecken. Da sie zu arm waren, um sich ein Auto zu leisten, mussten sie zu Fuß von Lashkar Gah (eine Stadt westlich von Afghanistan) nach Zabol (die östlichste Stadt von Iran, dem Nachtbarland von Afghanistan). Der springende Punkt an der Sache ist, dass die Taliban nicht wollen, dass Staatsbürger ihr Land verlassen. So kam es dazu, dass sie von den Herrschern ihres Landes entdeckt wurden und festgenommen werden sollten. Ihre Tante und ihre Schwester hatten sich vor ihnen ergeben und wurden auf der Stelle von drei Männern mit jeweils einem Schwarzem Kopftuch und einer dunkelgrün-braunen Staatsuniform festgenommen. Ihre Mutter und sie allerdings hatten sich gewehrt und waren schlussendlich weggerannt, dicht gefolgt von den Taliban, die kurz darauf Inayas Mutter erschossen und dasselbe auch mit ihr vorhatten. Nach gut drei Fehlschüssen der Machthaber, hatten sie Inaya verloren und sie musste nun alleine den Weg ins sichere suchen.
Gut zwei Wochen, nachdem sie die Hälfte ihrer Familie verloren hatte, traf sie in Khoorramabad (eine Stadt westlich von Iran) eine nette Frau, die ihr erklärte, dass es in Deutschland, einem Land Mitteleuropas, sicher wäre und sie dort ihrem Traum-Beruf als Astronautin nachgehen könnte. Mit dem wenigen Geld, welches sie hatte, kaufte sie sich ein Flugticket nach Deutschland, um erstens schneller da sein zu können und zweitens den schrecklichen Krieg im Irak umgehen zu können.
Nach ungefähr sieben Stunden Flugzeit hatte sie den Flughafen Hamburgs erreicht und kam gut zwei Tage danach in einer Flüchtlings-Unterkunft unter, wo sie sich erneut ihren Unterlagen zur Raumfahrt widmete.
Es war schwer, sich nur darauf zu konzentrieren. Immer wieder hatte sie das Bild ihrer Mutter vor Augen, wie sie erschossen wurde und sie noch nicht einmal bei ihr sein konnte, ohne selbst eines der vielen Opfer der Taliban zu werden. Kurz darauf redete sie sich ein, dass es alleine ihre Schuld war, dass sie umgebracht worden war, obwohl sie wusste, dass es nicht stimmte.
Trotzdem änderte dies nichts an ihrer Lage. Sie war ein wenig wütend auf sich selbst und sie beschloss sich zur Beruhigung die Innstadt Hamburgs anzusehen. Sich nun auf ihre ganzen Unterlagen zu konzentrieren hatte ja so oder so keinen Zweck. Sie zog sich ihre dunkelgraue Strickjacke über, nahm sich den Wohnungsschlüssel und schloss die Tür hinter sich. Sie ging durch einen kleinen, schmalen Flur an mehreren kleinen Einzelzimmern vorbei, bis sie die Haustür öffnete und sich die ellenlange Großstadt vor ihr öffnete. Alte große Hochhäuser, in denen die meisten Fenster eingeschlagen waren, ragten über sie hinaus. In den schon halb zerfallenen Garagen zwischen den Häusern trafen sich finster reinblickende schwarze Männer, die etwas tauschten und jedes Mal zusammenzuckten, wenn Inaya an ihnen vorbeilief. Am Ende dieser Gasse befand sich dann das pure Großstadt-Leben. Links waren erneut große beige Hochhäuser, die aber viel schöner aussahen als die im Flüchtlings-Viertel. Hier und da waren ein Zeitschriftenläden und gefühlt jede zwei Meter war ein neuer Mann zu sehen, der für eine neue Zeitschrift oder ein tolles Gewinnspiel mit einer Gewinnchance von 100 % warb. Auf der rechten Seite war der berühmte große Hafen von Hamburg zusehen. Inaya hatte schon einmal von den großen Schiffen gehört, die hier jedes Jahr vorbeifahren und war gerade damit beschäftigt einem besonders großen Frachter zuzusehen. Bis ein freundlich aussehender Mann auf sie zukam und ihr einen Flyer in die Hand drückte. Der Mann erklärte ihr, dass es sich um ein Projekt der Weltraumorganisation "NASA" handelte. Sofort war sie mit den Gedanken wieder ganz woanders.
Auf dem Flyer Stand, dass es in der Nähe einen Wettbewerb gäbe, in dem sie ihr Können als Raumfahrtexpertin mit echten Wissenschaftlern der NASA teilen könne und sogar einen Preis bekommen würde, wenn sie unter den ersten drei Plätzen landen würde. „Das ist meine Chance“, dachte sie sich und ging mit schnellen Schritten auf die kleine Gasse zu, in der ihre Flüchtlingsunterkunft lag.
Gut zehn Minuten später saß sie da, vor ihr ein weißes, noch unbeschriebenes Blatt Papier. Kurz las sie sich ein zweites Mal den bedruckten Flyer durch, nur um sicher zu gehen, dass sie auch genau das treffen würde, was die wohl fünfköpfige Jury wollte. Diese Information hatte sie auf der Website der NASA gefunden. Außerdem stand dort, dass man als Preis eine Fahrt nach Amerika umsonst als Geschenk bekommen würde, um dann dort hinter die Kulissen des größten Raumfahrtunternehmens zu blicken. Vor gut zwei Jahren hatte sie ihre Arbeit als Raumfahrtexpertin mit einem Text über das schwarze Loch beendet und da sie ihre Unterlagen noch hatte, wollte sie diese noch kurz verfeinern, um sie dann morgen den Experten unter die Nase zu halten.
Am Tag darauf stand sie da in einer langen Schlange von Bewerbern, die das gleiche Ziel verfolgten, wie Inaya. Nach gut zwei nicht vergehenden Stunden saß sie dann in einem recht großen schön eingerichteten Saal und vor ihr saßen die auf der Homepage genannten Jurymitglieder, die in jedem Moment anfangen würden, ihre Unterlagen zum Ende des Universums durchzulesen.
,,Name?”, fragte der eine.
,,Inaya”, antwortete sie.
,,Wohnhaft in.…”
,,Talstraße 7a”
Plötzlich fing ein ganz nett aussehender Mann an zu lachen.
,,Ist das nicht diese Flüchtlingsunterkunft?”, fragte er.
,,Ja”, antwortete sie kleinlaut.
,,Und aus welchem Land kommst du, wenn ich fragen darf?”
,,Afghanistan”
Erneut fing der Mann an zu lachen, doch kurz darauf wurde er wieder etwas ruhiger.
,,Ganz ehrlich”, fing der Raumfahrt-Experte an, ,,wir suchen nur Leute, die wissen, worum es sich handelt, verstehen Sie? Und nicht irgendwelche Menschen, die unglücklich in ihrer Heimat sind und sich denken, dass jeder hier einfach so kommen und gehen kann, wie er will. Also verlassen Sie bitte sofort dieses Gebäude!”
Inaya rollte eine dicke Träne über ihre Wange, runter auf ihre Schuhe. Ihr war schon klar gewesen, dass ihr wegen ihrer Heimat Ungerechtigkeiten über den Weg laufen würden, allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, dass sie bei so einem sozialen Wettbewerb deswegen den Kürzeren ziehen musste.
,,Spinnst du?”, fragte die Frau neben dem Mann, der Inaya gerade rausgeschickt hatte.
,,Ich hab` nur gedacht, dass -”
,,Wir haben doch noch nicht einmal gelesen, was sie uns mitgebracht hat! Inaya, oder? Gib uns doch mal deinen Vortrag.”
...