Erschöpft von der langen Suche setze ich mich auf die Wiese. Traurig schaue ich in den Himmel. Jede Sekunde erscheinen dort neue Sterne. Jede Sekunde sterben Menschen. Die Menschheit ist vom Aussterben bedroht. Hilfesuchend schaue ich zum Polarstern. Dort steht der Palast meiner Göttin. Doch nach Hilfe darf ich nicht bitten. Zum hundertsten Mal lese ich die Nachricht von meiner Göttin. „Maila, wie jede meiner Dienerinnen musst auch du eine Prüfung bestehen. Du weißt, dass auf der Erde im Moment Millionen von Menschen sterben. Das liegt daran, dass die Quelle, die den Baum des Lebens genährt hat nicht mehr bis zu diesem fließt. Bringe das in Ordnung! Ein kleiner Tipp noch: Der Baum befindet sich nicht auf der Erde, aber ist nur von dieser zu erreichen.“
Verzweifelt starre ich auf die Worte. Ich muss mich beeilen, jede Minute sterben mehr Menschen. Schon bald gibt es keine mehr. Ich muss endlich das Portal finden, dass mich zu dem Baum des Lebens bringt. Wenn es überhaupt ein Portal gibt. Der Tipp meiner Göttin ist da ziemlich vage. Ich schaffe das nicht alleine, ich habe keinen Anhaltspunkt. Ich muss um Hilfe bitten, auch wenn es verboten ist und ich dadurch durch die Prüfung fallen werde. Nervös knete ich meine Hände. Mein Leben lang wurde ich darauf vorbereitet, meiner Göttin zu dienen. Soll ich wirklich um Hilfe bitten? Unschlüssig schaue ich in den Nachthimmel. Sekündlich erscheinen mehr Sterne. Pro Stern ein gestorbener Mensch. Allein in den letzten Minuten müssen Hunderte gestorben sein. Meine Entscheidung ist gefallen. Mit Blick zum Polarstern beginne ich zu sprechen: „Meine Göttin, es tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen. Ich schaffe meine Prüfung nicht schnell genug. Es sterben zu viele Menschen. Bitte zeig mir den Weg zu dem Baum des Lebens.“ Hoffentlich bekomme ich nun die Hilfe, die ich brauche, um die Menschheit vor ihrem Untergang zu bewahren.
Auf einmal höre ich ganz in der Nähe das Geheul von Wölfen. Das hat mir gerade noch gefehlt. Genervt verdrehe ich die Augen. Meine Hände greifen nach hinten, um meine Armbrust von meinem Rücken zu holen. Schnell bemerke ich, dass ich sie gar nicht dabei habe. „Verdammt!“ Das Wolfsgeheul wird immer lauter. Ohne meine Armbrust, nur mit meinen beiden Dolchen habe ich gegen ein ganzes Rudel keine Chance. Zum tausendsten Mal verfluche ich, dass ich meine Magie nicht gegen Lebewesen einsetzten kann. Ich muss fliehen. Hinter mir am Rand der Wiese sehe ich schon die ersten Wölfe, sie rennen genau auf mich zu. Schnell beginne ich in das nächste Dorf zu rennen. Ich steuere auf die Straße dorthin zu, doch auch von dort kommen mir plötzlich Wölfe entgegen. Und auch auf meiner anderen Seite stürmen welche auf mich zu. Ich beginne zu zittern, mein Herz rast. Ist das nun mein Ende? Ich atme drei Mal tief durch und probiere mich zu konzentrieren. Der Weg in den Wald ist noch frei. So schnell ich kann beginne ich dorthin zu rennen. Hoffentlich kann ich mich dort verstecken. Die Wölfe kommen immer näher. Sie erscheinen neben und auch hinter mir. Zitternd sprinte ich so schnell ich kann den Waldweg entlang. Dennoch kann ich einen Abstand nicht schaffen. Im Gegenteil, die Wölfe kommen immer näher. Ich spüre den Atem, den sie ausstoßen, an meinem Rücken. Panisch drehe ich mich im Rennen um. Die Wölfe sind viel zu nah. Das schaffe ich nicht, niemals. Ich werde sterben.
Doch plötzlich falle ich. Ich stürze einen tiefen Abgrund herunter. Ich werde sterben, nur anders als ich gerade noch dachte. Gequält von meinem Versagen schließe ich die Augen. Als ich sie wieder öffne, liege ich auf einer saftigen grünen Wiese. Verwirrt schaue ich mich um. Eigentlich müsste ich jetzt ein neuer Stern am Nachthimmel sein. Vor mir steht ein großer Baum. Er sieht nicht gut aus. Ein metallenes Schild steht vor dem Baum. „Der Baum des Lebens“, lese ich. Überrascht reiße ich meine Augen auf. Habe ich es geschafft? Habe ich den Baum des Lebens gefunden? „Hallo Prüfling, du bist die erste, die es zu mir in mein schwarzes Loch geschafft hat. Ich bin beeindruckt. Ich hoffe du bist zu meiner Rettung und auch der der Menschen gekommen.“
„Wir befinden uns in einem schwarzen Loch?“, will ich verblüfft wissen.
„Ja. Und nun geh Mädchen. Du hast deine Aufgabe noch nicht beendet.“
Langsam nicke ich. Um den Baum herum ist ein Graben. Dieser ist noch leicht feucht. Es ist wie meine Göttin gesagt hat, die Quelle fließt nicht mehr um den Baum herum. Wie bin ich nur hier her gekommen? Grübelnd starre ich in die Luft. „Na klar“, platzt es aus mir heraus, „Meine Göttin hat als Hilfe die Wölfe geschickt und diese haben mich zu dem Abgrund gelockt. Der Abgrund muss dann der Weg hier her gewesen sein.“ Lächelnd stehe ich auf. Langsam laufe ich den Graben entlang. Noch immer ist kein Wasser von der Quelle zu sehen. Doch ganz leise kann man das Rauschen von Wasser vernehmen. Ich beginne zu joggen. Vor mir erscheint ein riesiger Müllberg. Erschrocken bleibe ich stehen. Der ganze Müll blockiert den Flusslauf. Ich laufe um den Müllberg herum und sehe, dass auch im Wasser sehr viel Müll liegt. Wütend schüttle ich den Kopf. Die Menschen haben ihr Massensterben sich selbst zuzuschreiben. Warum werfen sie auch ihren Müll in alle Gewässer? Zum Glück kenne ich den Zauber, mit dem man Müll in Luft auflösen kann. Es dauert nicht lange, und der ganze Müll ist weg. Das Wasser fließt sofort weiter. Wie lange das wohl so bleiben wird?
Ich setze mich nieder und überlege, wie man die Menschheit dazu bringen könnte, ihre Welt sauber zu halten. Plötzlich erscheint vor mir eine Nachricht meiner Göttin. „Maila, du hast die Prüfung der Menschlichkeit bestanden. Du wunderst dich jetzt bestimmt, wie du sie bestehen kannst, obwohl du um Hilfe gebeten hast. Jede meiner Dienerinnen bekommt eine unlösbare Prüfung und das Verbot, um Hilfe zu bitten. Alle, die schnell genug um Hilfe bitten, weil sie wissen, dass sie die Prüfung nicht schaffen und weil sie nicht wollen, dass das Unheil, was sie beseitigen sollen, immer größer wird, schaffen die Prüfung. Deine Schwester hat in ihrer Prüfung eine Lösung für das Problem gefunden, wie die Menschen ihren Müll schnell loswerden können, ohne dass er in Gewässern landet.“ Ein Strahlen breitet sich auf meinem Gesicht aus. Ich habe es geschafft.