In einem fremden Zeitalter, weit, weit entfernt von jeglichem Leben, in einer fremden und unerreichbaren Galaxie, lebe ich. Ich ein Stern wie jeder andere und doch anders. Jeder ist anders.
Im Laufe der Jahrtausenden werde ich immer dunkler und dunkler. Bis ich schließlich erlösche. Bis ich erlösche und nie wieder zu sehen sein werde. Doch heute schaue ich zurück. Spule meine Gedanken an den Anfang. Weit vor die Zeit, in der ich in einem Sternennebel entstanden bin. In die Zeit, als ich ein kleines Mädchen war. Ein Mädchen auf Erden. Ein Mädchen auf der Welt der Menschen.
Ich im Alter von 5 Jahren „Papa, wo ist Mama?“, fragte ich. Papa seufzte: „Mama ist jetzt ein Stern am Himmel. Dort wird sie immer über dich wachen.“ „Ich möchte in den Himmel fliegen und sie als Stern besuchen, sie ist ja ganz alleine“, antwortete ich prompt. Dabei schob ich meine kleine Hand in die große meines Vaters. Er überlegte kurz. Dann antwortete er: „Wenn du so unbedingt zu Mama möchtest, dann wirst du irgendwann zu ihr kommen und sie besuchen. Du wirst einfach fliegen können. Fliegen und Mama als Stern besuchen.“ Ich legte den Kopf schief und sah hoch zu ihm. „Wirklich?“ fragte ich unsicher. Mein Vater nahm mich auf den Arm. Er schaute mir direkt in die Augen als er sagte: „War irgendwas, was ich gesagt habe, mal nicht wirklich so?“ Ich schüttelte den Kopf. „Na siehst du, dann wird das wohl auch stimmen. Du musst dich nur etwas gedulden.“ Mit diesen Worten setzte er mich wieder auf dem Boden ab und ich lief glücklich neben ihm her nach Hause. In dieser Nacht träumte ich vom Fliegen. Wie ich, klein wie ich war, durch das Universum flog und jedem einzelnen Stern ein fröhliches Guten Tag zurief, bevor ich endlich zu Mama kam. Ich vermisste meine Mutter sehr seit sie vor zwei Jahren gestorben ist.
Ich im Alter von 12 Jahren.
„Es gibt Essen Lyra.“ bei der Erwähnung meines Namens zuckte ich zusammen und wendete mich von meinem Buch ab. „Was gibt es Papa?“ , rief ich durch die Wohnung. „Essen“ sagte mein Vater, während sein Kopf in meinem Türrahmen auftauchte. „ Wieder im Sterneinfieber was?“ fragte mein Vater als er mein Sternenbuch vor mir sah. „Ihr habt ja wohl damit angefangen, als ihr mich nach dem Sternenbild Leier, auch Lyra genannt, benannt habt“, erwiderte ich trotzig. Mein Vater zuckte mit den Schultern und antwortete: „Du mochtest Sterne auch schon bevor du das wusstest“. Ich wusste, das er in Gedanken hinzufügte: Seit ich dir gesagt habe, dass Mama zu einem Stern geworden ist. Natürlich, ich fand alles was mit Sternen und Universum zu tun hat, schon seitdem toll und wollte alles darüber wissen. Ich schaute auf meine Sammlung. T-shirts, Bücher, Bilder, Ferngläser und sogar ein Teleskop reihten sich aneinander. Ich lächelte während ich aufstand, um zum Essen zu kommen. Am Essenstisch erzählte ich meinem kleinen Bruder Vega, was die Milchstraße in unserem Universum ist. Das hatte ich gerade gelesen. Jetzt wand ich mich an meinen Vater: „Dürfen Vega und ich später nochmal raus? Ich möchte ihm seinen Namensstern zeigen. Außerdem möchte ich ihm auch das mit Mamas Stern erzählen, was du mir erzählt hast. Da war ich so alt wie er jetzt. Heute ist Neumond, da sieht man die Sterne besonders gut.“ „Lyra“, sagte mein Vater mit gerunzelter Stirn. „Es ist viel zu spät für Vega und bis es dunkel ist solltest du auch schon längst im Bett liegen.“ „Och, bitte“, nörgelte ich. Doch Papa schüttelte seinen Kopf. Beleidigt drehte ich mich weg.
Später am Abend
Ich zählte die Sekunden im Kopf runter, bis ich sicher war, dass mein Vater schlief. Dann stieg ich in meinen warmen Abendmantel und lief in meinen Hausschuhen vorsichtig durch die Wohnung bis zum Wohnzimmer. Dort war die große Tür zur Dachterrasse. Leise öffnete ich sie. Es war kalt draußen, aber auch schön dunkel, so das ich alles gut sehen konnte. Kurz ließ ich meinen Blick über den Himmel schweifen, um mich zu orientieren. Direkt vor mir konnte ich den Pegasus und Kassiopeia sehen. Eidechse und Kepheus etwas weiter oben. Am Zenit stand der Schwan. Ich drehte mich Richtung Süden, wo ich das Sommerdreieck mitsamt dem Pfeil sehen müsste. Nur leider war da das Haus im Weg. Ich seufzte. Da war doch die Leier, also Lyra! Ich wollte dieses Sternbild doch so gerne sehen. Da kam ich auf eine super Idee. Ich nahm also meinen ganzen Mut zusammen und kletterte das kleine Stück von dem Tisch unserer Dachterrasse auf das Dach. Wow, war das einzige was ich denken konnte. Hier konnte man alles sehen. Es war so unheimlich schön… Ich legte den Kopf in den Nacken und verband in Gedanken den Schwan mit dem Adler und der Leier. Das Sommerdreieck. In der Mitte davon prangte der Pfeil. Das war immer mein Highlight am Himmel. Ich liebte es. Um noch etwas mehr zu sehen, trat ich einen Schritt zurück und...fiel… Ich war abgerutscht und segelte vom Dach. Pure Panik überkam mich und ich versuchte nach irgendetwas zu greifen, doch da war nur Luft. Ich dachte noch daran, wie mich meine Familie vermissen würde, da prallte ich auf. Der Schlag raubte mir alle Luft und ein Blitz aus Schmerzen durchzuckte meinen Körper. Dann wurde alles schwarz. Schwarz vom Tod. Doch ich wachte auf. Im Weltall. Es war hell um mich herum. Angenehm hell und ich verstand erst nicht, warum, doch dann sah ich an mir herunter. Ich war ein Stern. Ich schwebte durch die Luft. Als ich mich umsah, entdeckte ich überall um mich herum Sterne, die mir zublinkten. Irgendwo würde auch die Sonne mit meinem Vater und Vega sein. „Lyra! Da bist du mein Schatz!“, ertönte eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich im Kreis. Da stand sie. In ihrer vollen Sternenpracht. Meine Mutter! Glücklich winkte ich ihr. Umarmen konnte ich sie als Stern ja schließlich nicht. Auf einmal wurde mir klar: Ein Stern war niemals alleine, alle waren beieinander. Sterne hielten zusammen. Und wenn einer stirbt, kommt ein Sternennebel und lässt neue Sterne wie mich entstehen.
Und jetzt bin ich hier, im Weltall und wache über die Welt.