Zwischen Raum und Zeit

Wettbewerbsbeitrag von Rio Caspari, 12 Jahre

Alles lief perfekt – mein Raumgleiter X-42 war vollgetankt mit grünem Wasserstoff. Das Material für die Raumstation im Quantum B der Milchstraße würde in 13,5 Stunden ankommen. Ich, Ora, 22 Jahre, würde diesem Team als Biologin assistieren.
Wie aus dem Nichts tauchte ein Asteroid aus dem Nichts auf. Ich hörte den schrillen Alarm und sah noch, wie er auf mich zuraste, kein Ausweichen mehr möglich, alles wurde schwarz.
Ich wachte auf weicher Erde auf, nicht braun, sondern bläulich. Wo war ich? Sofort spürte ich ein starkes Stechen im Kopf. Der Helm hatte sich geschlossen, doch der Sturz war heftig. Ich tippte auf den Scanner in meinem Raumanzug. Bis auf eine leichte Gehirnerschütterung, ein paar Verstauchungen und blaue Flecke war mein Körper unversehrt. Da die Luft sauerstoffhaltig war, nahm ich den Helm ab. Ich wendete vorsichtig den Kopf und blickte mich um: Ein Paradies. Bäume, durch die das helle Licht eines Sterns fiel, viele Tiere. Fremdartig. Und dort mein Raumschiff, wie die Schalen eines Eis auseinandergebrochen. Das würde ich nicht wieder hinkriegen, aber ich lebte noch. Ich setzte mich hin.

Etwas raste haarscharf an mir vorbei, es war so schnell, dass ich keine Form erkannte, nur ein Flimmern. Ich sah ein Büschel blaues Fell an einem Zweig eines Buschs baumeln, den das Tier im Vorbeirasen gestreift hatte. Ich steckte es ein und machte mich daran, das Raumschiff zu untersuchen.
Medikamente und mein UmGebungsScanner, der gute alte UGS, waren noch zu gebrauchen. Ich schluckte eine Tablette gegen die Gehirnerschütterung und überlegte: Was nun? Ich musste die Forschungsstation anfunken, aber das zu reparieren würde dauern. Erst einmal die Gegend erkunden, etwas zu Essen und Trinken finden.
Ich ging aus dem Raumschiff und wurde überrascht. Da stand das Tier mit blauem Fell, ähnlich einer Raubkatze, aber stromlinienförmiger mit tiefblauen Streifen, die sich von den Ohren zum Schwanz zogen. Ich näherte mich ihm vorsichtig, da raste es auf einmal los. Mein UGS zeigte 1420 km/h an. Woher nahm das Tier die Kraft für dieses Tempo?

Auf Vorratssuche ging ich weiter in den Wald hinein. Dort sah ich einen seltsamen Baum. An einigen Stellen verwelkten Blätter, an anderen Stellen trug er Früchte, einige unreif, andere reif, noch dazu in komplett unterschiedlicher Farbe und Form. Er schien sich fortwährend neu zu erschaffen. Ich nannte ihn den Phönixbaum. Ich scannte eine apfelartige Frucht, sie war essbar. Ich schälte sie, trank ihr vitaminreiches Wasser und aß ihr rotes Fruchtfleisch, das nach Mango schmeckte. Ich nahm ein paar weitere Früchte mit und einige Blätter, die sofort in meine Hand zu ranken begannen oder zu Laub zerfielen. 
Auf dem Weg zum Raumschiff bemerkte ich zwei türkisblaue, schräge Augen im Busch... wieder der blaue Panther. Folgte er mir? Etwas Rotes flog an mir vorbei. Ein kleiner Vogel. In diesem Moment raste der Panther dem Vogel hinterher…. Und sie verdreifachten sich!
Der Panther in der Mitte fing den Vogel, rechts entwischte der Vogel, links hackte der Vogel dem Panther das Ohr blutig. Ich konnte mir das nicht erklären. Wie konnte der Panther den Vogel fangen und gleichzeitig nicht fangen und gleichzeitig von ihm verletzt werden?
War es real oder eine Folge vom Sturz? Ich scannte erneut meinen Kopf. Alles ok. Es musste am Planeten liegen.

Zurück beim Raumschiff setzte mein Kopfschmerz wieder ein. Ich setzte mich auf den Boden, legte die Blätter ab und aß eine zweite Frucht. Sie schmeckte nach Brokkoli. Wie konnte sie vom selben Baum sein?
Als es hinter mir krachte und rumpelte, fuhr ich herum und sah, wie riesige Ranken aus den Blättern neben mir vom Phönixbaum wuchsen, rasend schnell die Wrackteile umwucherten, sie zusammenzogen und junge Triebe die Bruchstellen des Raumschiffs vernähten. Ich scannte ein Blatt und fand Spiegelneuronen in seiner DNA. 
Die Spiegelneuronen des Phönixbaums mussten so effektiv sein, dass sie sogar die Vergangenheit oder andere Dimensionen spiegeln konnten. Der Baum hatte das Schiff weitgehend wieder hergestellt, seine Ranken schienen sogar Strom zu leiten.
Andere Dimensionen – der Panther! Ich scannte das Fellbüschel. Seine hohe Geschwindigkeit ermöglichte Zeitsprünge oder Sprünge in andere Dimensionen. Zuletzt scannte ich die Früchte. Auch hier erkannte ich: Sie entstammten unterschiedlichen Dimensionen. Es befand sich nicht ein Baum an der Stelle, sondern mehrere zugleich und je nachdem, wann man pflückte, hatte man die eine oder andere Frucht. 

Meine Hände kribbelten, mein Herz klopfte, als ich verstand: Der Planet befand sich in einer Raumzeitfalte, so dass die vierte Dimension gleichzeitig sichtbar mit den anderen drei war. Verschiedene Möglichkeiten und Zeitformen existierten real nebeneinander! Der Panther ist tatsächlich auf der Jagd nach dem Vogel durch die Dimensionen gesprungen!
Wenn ich das Fell des Panters als Antrieb in meinen All-R-over Antrieb stecken würde, könnte ich in eine andere Realität springen. 
Ich startete mein Raumschiff, meine Hand auf dem Hebel, Schweiß tropfte mir von der Stirn. Alles vibrierte. Mit einem großen Ruck durchbrach das Raumschiff die Dimensionen. Erst einmal passierte nichts, dann wurde es gleißend hell um mich herum. Vor mir tauchte mein ganzes Leben auf, in verschiedenen Zeiten – und alle Möglichkeiten, die hätten sein können. Da war ich mit sechs, da mit zwölf, da fiel ich beinahe vom Pferd, da schlug ich mir beim Sturz vom Pferd den Kopf auf. Da war ich - in der Zukunft - in der Raumstation angekommen, da war mein Raumschiff zerschellt und ich tot. Ich tippte auf die Version, wo ich heil ankam. Alles wurde weiß und schwarz – und mit einem Mal war ich da. Ich konnte es nicht fassen. Das Forschungsteam auch nicht. Mein Antrieb wurde analysiert, der Planet geortet. Tatsächlich war meine Theorie richtig. Dieser Planet war der Beweis, Dreh- und Angelpunkt für die vierte Dimension. Ich wurde befördert – von einer Assistentin zur Wissenschaftlerin. Und der Planet in der Raumzeitfalte heißt nun so wie ich: Ora.

Alle Infos

Die Über All Lesung

Lasst euch von sieben der Preisträger:innen des Wettbewerbs Über All in ferne Welten entführen

Die Über All-Preisträger:innen

Vielen Dank an alle Teilnehmenden für diese spannenden Exkursionen ins All und herzlichen Glückwunsch den Preisträger:innen

Die Über All Jury

Teilnahmebedingungen

Preise - Das gibt es zu gewinnen!

Schirmherrin Dr. Suzanna Randall

EINSENDUNGEN