Ich traue meinen Augen kaum. Natürlich habe ich schon immer damit gerechnet, dass ich früher oder später im Weltall auf Leben stoßen werde, aber was sich gerade vor meinen Augen abspielt, das hätte ich mir nicht in meinen kühnsten Träumen vorstellen können. Das wird mir doch keiner glauben. Naja, meine Mutter würde es wahrscheinlich, wenn sie es könnte. Sie ist selbst Astronautin gewesen und vor sieben Jahren zu einer Marsmission aufgebrochen, von welcher sie nie wieder zurückgekehrt ist. Jahrelang hat keiner von der gescheiterten Mission gesprochen und man hat nicht ein einziges Mal daran gedacht, einen neuen Versuch zu starten. Bis vor ein paar Monaten zumindest. Denn jetzt bin ich hier auf dem Mars und gebe mein Bestes, um die Mission erfolgreich zu vollenden und meine Mutter stolz zu machen. Neben dem Interesse für das Weltall haben wir noch andere Gemeinsamkeiten gehabt. Sie ist genauso stur und schlagfertig gewesen wie ich, was bei einem Streit zwischen uns nicht immer die besten Voraussetzungen gewesen sind. Sie hat ein relativ schmales Gesicht gehabt. Meins hingegen ist eher rund. Abgesehen davon bin ich ihr aber wie aus dem Gesicht geschnitten. Sie hat dieselben dunkelbraunen, dichten Locken besessen, wie ich sie habe. Auch die strahlend blauen Augen sind wie die ihren. Sie wäre bestimmt genauso fasziniert und gleichzeitig verstört von der Entdeckung gewesen, die ich gerade gemacht habe, wie ich es bin. Ich bin gerade dabei gewesen, das Raumschiff, welches ich nun schon für Monate mein Zuhause genannt habe, zu verlassen, als es plötzlich einen unhörbaren Knall gegeben hat…und das Raumschiff explodiert ist. Der pure Schock ist mir wahrscheinlich mitten ins Gesicht geschrieben gewesen. Was ist passiert? Wie ist es passiert? Was mache ich jetzt? Wie komme ich wieder nach Hause? Wie kann ich die Zentrale erreichen? Ist es mir nun überhaupt noch möglich, sie zu erreichen? Wie lange reicht der Sauerstoff noch? Werde ich hier sterben? All diese Fragen sind mir in Sekundenschnelle durch den Kopf geschossen. Ich bin kurz davor gewesen, in Panik auszubrechen, als ein seltsames Leuchten meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat und mich meine missliche Lage für einen Moment hat vergessen lassen. Langsam und neugierig habe ich mich dem Leuchten genähert und je näher ich ihm gekommen bin, desto heller ist es geworden, bis es mich schließlich komplett verschluckt hat. Um mich herum hat sich alles gedreht. Bunte Lichter, überall. Ich bin absolut überwältigt gewesen. Doch bevor ich mich überhaupt an die neue Situation gewöhnen konnte, ist sie auch schon wieder vorbei gewesen. Das Leuchten ist weniger geworden, die vielen bunten Lichter sind verschwunden und meine Umgebung ist wieder klarer geworden. Zögerlich habe ich mich umgesehen. Bin ich…zu-hause…? Verwirrt sehe ich mich um. Tatsächlich. Die ganze Marslandschaft, in welcher ich mich kürzlich noch aufgehalten habe, ist fort und ich stehe inmitten des Footballfeldes meiner Highschool. Doch irgendetwas stimmt nicht. Ich entscheide mich dazu, mein seltsames Gefühl nicht zu ignorieren und die Gegend etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.
Tja, und jetzt stehe ich hier und sehe zu, wie mein Freund im Flur meiner Schule mit meiner besten Freundin rummacht. Nun gut, strenggenommen ist dieser Typ nicht mein Freund, dieses Mädchen nicht meine beste Freundin und diese Schule nicht meine. Das zu erkennen hat mich auch eine Weile gekostet. Alles sieht zwar fast exakt so aus wie auf meinem Heimatplaneten, entspricht jedoch nicht der Realität. Die rot-blonden Haare meines Freundes würde ich unter tausenden wieder erkennen und ich kann mit voller Überzeugung sagen, dass dieser Rotschopf hier nicht der Rotschopf ist, der zuhause auf mich wartet. Die Haut dieses Jungen ist leicht grünlich und seine Finger sind außergewöhnlich lang, was mir bei meinem Jungen bis jetzt noch nie aufgefallen wäre. Dasselbe gilt für das Mädchen. Auch wenn diese Leute hier offensichtlich nicht die Leute sind, für die ich sie anfangs gehalten habe, ist das Bild, das sich mir bietet, doch durchaus befremdlich. Damit habe ich nicht gerechnet. Doch wer rechnet schon mit einer Raumschiffsexplosion, die zufällig das Portal zu einem Paralleluniversum öffnet? Niemand. Also hätte mir auch niemand im Voraus verraten können, was man in einer solchen Situation zu tun pflegt und wie man hier wieder rauskommt. Das muss ich jetzt wohl selbst herausfinden. Gerade als ich die beiden Lebewesen wieder allein lassen und mich in Richtung Ausgang des Schulgebäudes begeben will, werde ich bemerkt. Die beiden drehen sich langsam zu mir um und ich erstarre. Unsicher schaue ich die Geschöpfe an und ihre Augen treffen auf meine. Mindestens zehn Sekunden lang stehen wir einfach da und starren uns gegenseitig an. Plötzlich verdunkeln sich die beiden Augenpaare und ich bemerke, wie sie sich unauffällig ein Handzeichen geben, bevor beide ein dämonisches Grinsen aufsetzen und langsam auf mich zukommen. Mit jedem Schritt, den sie sich mir nähern, bewege ich mich einen Schritt rückwärts. Okay, ich denke, das ist nun mein Zeichen, mich endgültig aus dem Staub zu machen. Ich wende den beiden den Rücken zu und renne los. So schnell ich nur kann hetze ich den Schulflur entlang, doch mein „Freund“ und meine „beste Freundin“ sind mir dicht auf den Fersen. Gleich geschafft, nur noch ein paar Meter. Als ich gerade meinen Arm ausstrecken wollte, um die Tür aufzureißen, spüre ich, wie mich eine Hand an Arm zu fassen bekommt und ich abrupt zurückgezogen werde. Ich schreie erschrocken auf und Panik macht sich in mir breit. Ich versuche mich aus dem überraschend festen Griff der Paralleluniversums-Version meiner besten Freundin zu befreien. Vergeblich. Was nun? Die beiden Aliens beginnen sich zu beraten. In einer Sprache, die ich nicht verstehe. Der Klang ihrer Stimmen hat einen gurgelnden Unterton. Als würde man unter Wasser sprechen. Die beiden beenden ihr Gespräch und wenden sich wieder mir zu und ehe ich mich versehe, werde ich von den beiden mitgezerrt. Raus aus dem Schulhaus, weg vom Schulareal. Richtung…Wald? Seit wann gibt es in der Nähe der Schule einen Wald? Wir sind am Waldrand angekommen und gerade dabei, ihn zu betreten, als mir plötzlich unglaublich schwindelig wird. Meine Sicht verschwimmt und dann…schwarz.
Als ich wieder erwache, finde ich mich in einem kalten, nassen, dunklen Raum wieder. Ich sehe mich um, kann aber fast nichts erkennen. Um mich herum ist es still. Ich bin aber nicht allein. Ein ersticktes Niesen durchbricht die Stille. „Gesundheit“, sage ich und blicke in die Richtung, aus welcher der Laut gekommen ist. ,,Danke“, antwortet eine Stimme. Eine vertraute Stimme. Ich höre Schritte, die sich mir nähern, bis sie unmittelbar vor mir zum Stehen kommen. Ein Sonnenstrahl scheint durch das einzige, winzige Fenster des Raumes und endlich kann ich sehen, wem die Stimme gehört. „Estelle?“, fragt sie. „Mama?“, antworte ich.