L- Minus 0 Stunden, 15 Minuten, 29 Sekunden, zählen
Das ist es also. So werde ich enden. In einem perversen Spiel, das ich nur verlieren kann. Hoffentlich wird es nicht lange schmerzhaft sein.
L- Minus 22 Stunden, 12 Minuten, 57 Sekunden
3...2…1… und klack. Ich öffne meinen Gurt und schwebe. Ich fühle mich wie ein Ballon- nur kann ich nicht endlos weit nach oben treiben, denn über mir befindet sich die weiße Decke der Raumstation. Dass ich hier sein kann, ist immer noch unfassbar für mich. Doch eigentlich bin ich offiziell auch nicht im Weltall. Ich nehme nämlich an einer geheimen Rettungsaktion der Astronauten in der PX- 1 teil, von der die Öffentlichkeit nicht erfahren soll. Es handelt sich um ein Problem an der ersten Raumstation des Start-Ups Orvence Space Missions, welches vor einem halben Jahr seinen ersten bemannten Raumflug startete. Wenige Monate später wurde ein äußerer Teil der Maschine durch die Kollision mit einem Meteor zerstört. Eigentlich hätte jene Apparatur dem Körper standhalten sollen, doch bei der Konstruktion der PX-1 kam es zu einem Fehler. Der Schaden betrifft das Leben der Besatzung nicht direkt, jedoch ist ein sicherer Wiedereintritt in die Atmosphäre unmöglich. Nun soll ich als Technikerin heimlich mit den Astronauten Gerber und Shiffra zu der PX-1 fliegen, um eine Reparatur vorzunehmen. Dabei soll das hervorragende Image von Orvence Space Missions aufrechterhalten werden. Es kostete viel Überredenskunst von meiner Vorgesetzten Frau Wiesmann und noch mehr Bestechungsgeld, um mich zu überzeugen. Schließlich entschloss ich mich für die unglaubliche Erfahrung, auf die ich schon mein Leben lang wartete. Vor nun etwa 5 Stunden sind wir mit einer Maschine gestartet, in der sich offiziell nur die beiden Astronauten befinden, um Forschungsarbeiten zu betreiben. Doch ich saß an Bord hinter einer Trennwand versteckt und war auf diesem Flug dabei. Obwohl ich eine Raumfahrttechnikerin war, habe ich eine Ausbildung zur Astronautin begonnen, doch bei all der Konkurrenz schien es unmöglich, für eine Mission ausgewählt zu werden. Das Unternehmen bestand jedoch aufgrund meiner ausgezeichneten Fähigkeiten und meiner Diskretion auf meinen Einsatz. Schwebend bewege ich mich nun auf die Trennwand zu und schiebe sie zur Seite. "Hey, Leute. Ich komme mal zu euch rüber!“, rufe ich meinen Teamkollegen zu. Doch der Raum ist verlassen. Ich erblicke nur Schläuche, Monitore und leere Sitze, auf denen eigentlich Shiffra und Gerber sitzen sollten. Alles ist mucksmäuschenstill und mir wird unwohl. Gänsehaut breitet sich auf meinem Körper aus. Es rauscht in meinen Ohren, ich fühle Panik sowie Angst. Mir wird klar, dass ich nicht hier bin, um eine Reparatur vorzunehmen. Das war nur ein Vorwand, um mich hierherzulocken - tausende Kilometer von der Erde entfernt und ganz alleine. Das kann nicht wahr sein! Ich bleibe erstarrt. "Ich grüße Sie, Maike. Nun haben wir Sie, wo wir Sie schon seit langem haben wollen“, höre ich durch die Lautsprecher über meinem Kopf ertönen. Die Stimme klingt wie von einer künstlichen Intelligenz- einer leblosen Maschine. Doch ich weiß, dass es Frau Wießmann ist, die zu mir spricht. „Wir haben Sie hierhergebracht, um gewisse Fragestellungen, die Sie betreffen, zu beantworten. Beruhigen Sie sich, bitte. Es ist nicht nötig, sich jetzt noch verrückt zu machen- immerhin wollen wir Ihre Vitalwerte so unverfälscht wie möglich haben.“ Meine Vitalwerte? Instinktiv fasse ich mir an meine linke unterste Rippe. Dort befindet sich ein kleiner Chip, der mir implantiert wurde, damit meine Vitalwerte wie der Puls von der Zentrale aus beobachtet werden können. "Nun, Maike, wir wollen Sie nicht im Dunkeln lassen, denn Ihre Kooperation ist uns sehr wichtig. Uns fielen in Ihrem Training während Ihrer Ausbildung einige Abnormalitäten auf - insbesondere während der Übungen in anderen Medien oder unter anderen Raumbedingungen. Wir haben Grund zur Annahme, dass sie kein gewöhnlicher Homo sapiens sind. Da wir in Ihren DNA- Proben jedoch keine Beweise für unsere Theorie finden konnten, müssen wie sie selber überprüfen. In dem folgenden Experiment, werden wir den Sauerstoffgehalt in der Raumstation drastisch reduzieren. Wir werden aufhören, wenn wir unser gewünschtes Ergebnis haben. Viel Erfolg.“ Langsam besinne ich mich und blicke umher. Ich sehe alles wie in Zeitlupe, während Frau Wießmanns Worte nachhallen. "Kein gewöhnlicher Homo sapiens"… "selber überprüfe"… "unser gewünschtes Ergebnis". Werden sie mich jetzt umbringen? Wozu? Mir war schon früh bewusst, dass ich gewisse Aufgaben im Gegensatz zu anderen mühelos erledigen kann. Zudem konnte ich tatsächlich überdurchschnittlich lange den Atem unter Wasser anhalten oder die Nerven im Aerotrim behalten. Ich mag zwar noch unerfahren sein, aber bei zwei Dingen bin ich mir ganz sicher: ich bin ein Mensch und ich will leben! Und für letzteres muss ich mich konzentrieren und zügig handeln. Das Oximeter an der Wand piept bereits, da es die stetig sinkende Sauerstoffkonzentration hier in der Kapsel bemerkt hat. Alles hier wird durch die Zentrale ferngesteuert, dennoch versuche ich, die Tasten am Bildschirm zu bedienen, um das Gas zu regulieren. Vergeblich. Ich eile zu der kleinen Kammer am Ende des Raumschiffs, um die Sauerstoffflaschen zu holen. Dabei versuche ich, meine Muskeln so wenig wie nötig zu benutzen, um den noch vorhandenen Sauerstoff in der Luft zu sparen. Ich rüttle an der Tür, doch sie bewegt sich nicht. Verdammt! Mit jeder Sekunde werde ich panischer, während das Piepen zu einem Dröhnen wird. Es wird immer schwerer, zu atmen. Die Luft in meiner Lunge scheint einfach nicht genug zu sein. Ich halte mich weiterhin an dem Türgriff fest, doch der Zutritt bleibt mir verweigert. Das Brennen in mir wird immer schlimmer. Ich stoße einen verzweifelten Schrei aus. Wut, Verzweiflung und Angst lassen mich still weinen. Nun nehme ich einen letzten großen Atemzug und halte die Luft an. Ich suche nach dem Nothammer und versuche, die Tür aufzubrechen. Ich scheitere. Ich schlage gegen die Tür. Einmal. Zweimal. Dreimal. Sie bleibt verriegelt. Langsam werde ich schwächer und breche zusammen. Der Vorhang vor meinen Augen schließt sich.
L- Minus 0 Stunden, 11 Minuten, 38 Sekunden
Seit fast einem Tag bin ich in dem Desaster. Zuerst nahmen sie mir den Sauerstoff und trieben mich beinahe in den Tod. Ich weiß noch, dass ich aufwachte und dachte, ich sei im Himmel. Doch die strahlend weiße Maschine, in der ich mich befand, war die Hölle. Drei Stunden lang war ich bewusstlos, oder schlief, aber anscheinend wurde dem Raumschiff wieder Sauerstoff zugeführt. Das selbe Spiel wurde wiederholt. Diesmal in einem verschlossenen Raum mit Kälte. Vor sechs Stunden kam ich wieder zu mir. Die nächste Probe hat nun eben begonnen. Der Druck in der Maschine wird abgestellt. Bald werden die Flüssigkeiten in meinem Körper anfangen zu kochen. Lange denke ich über meine Situation nach. Es gibt keine Möglichkeit, dem Horror-Spiel hier zu entfliehen. Ich muss einfach durchhalten, bis sie zufrieden mit ihren "Ergebnissen" sind. Und diese Tests wurden nur beanstandet, weil ich begabter bin als die anderen? Vielleicht kann ich mir den Chip unter meiner Haut rausschneiden. Dann können sie mich nicht mehr tracken. Doch mir wird bewusst, dass ich wahrscheinlich nicht mehr fliehen kann. Sie werden mich nicht lebend gehenlassen. Außerdem weiß niemand aus meinem engen Kreis, wo ich gerade bin. Ganz sicher wird Frau Wießmann mit mir spielen, bis ich sterbe. Und das wird ein grausamer Tod. Ich glaube, dass ich mich getäuscht habe. Ich muss meine beiden Axiome von gestern zurücknehmen, da letzteres inkorrekt ist. Ich will nicht mehr leben, nur um qualvoll zu sterben. Ich habe schon so viel um mein Überleben gekämpft, doch das war alles zwecklos. Ich sollte mit selber ein Ende bereiten. So rette ich mich und ruiniere den Plan der Zentrale. Doch was ist mit dem ersten Axiom? Es ist sonderbar, wie ich all die Strapazen überstanden habe. Tatsächlich weiß ich auch nicht, wer ich in Wirklichkeit bin, da ich als Säugling adoptiert wurde. Was ist, wenn wirklich etwas hinter der Theorie steckt? Vielleicht muss ich doch noch weiter mitspielen, um die Wahrheit zu erfahren. Habe ich dazu überhaupt noch die Kraft und den Mut?