Reise in den Iran
Im Westen nichts Gutes?
*Foto:* Propaganda-Malerei, Teheran
Manche Iranerinnen glorifizieren den Westen als Ort der Freiheit, der Selbstentfaltung und des Wohlstandes. Die meisten haben aber einen kritischen Blick auf den Westen, auf Deutschland. Sie wissen natürlich, dass unsere Gesellschaft immense Probleme hat. Immer wieder wurde ich mit der Vorstellung konfrontiert, dass bei uns die Wärme in den sozialen Beziehungen fehlen würde. Viele haben gehört, dass der Umgang der Menschen miteinander sehr "kalt" sein soll, und dass die Familie bei uns nicht mehr wichtig sei, dass wir alte Menschen nicht achten usw. Einige Iraner fragten mich, ob es wahr sei, dass wir so große Probleme mit Gewalt in der Familie hätten. Eine interessante Frage, da der Iran eine ziemlich hohe Quote von Gewalttaten innerhalb der Familie aufweist.
Einige Iranerinnen meinten, dass die Frau im Westen als Sexobjekt ausgebeutet wird und man nicht an ihren inneren Werten, ihrem Charakter interessiert ist, sondern nur an ihrem Körper, den sie ja permanent öffentlich zur Schau trägt. Die "sexuelle Freiheit" ist in Wirklichkeit nur Ausbeutung.
Die Iraner machen sich also auch so ihre Gedanken, wie das Leben bei uns ist und haben auch bestimmte Vorurteile über unsere Gesellschaft. Viele wollen Demokratie und Gleichberechtigung der Geschlechter, aber nicht zu dem Preis, den wir dafür zahlen, z.B. Werteverfall, Auflösung der Familienstrukturen, soziale Kälte und Anonymität. Die Religion ist für die meisten Iraner sehr wichtig und aus ihrem Leben nicht wegzudenken, auch wenn sich viele von dem Islam, wie er vom iranischen Mullah-Regime gepredigt wird, distanzieren und sagen, dass dieser Islam nichts mit dem eigentlichen Islam zu tun hat, in dem nicht von Vergeltung, Bestrafung und Zensur die Rede ist, sondern von Toleranz und Liebe.
Foto: Martina
Als ich nach zwei Monaten im Iran zurück nach Deutschland kam, habe ich hier einen regelrechten Kulturschock erlitten. Im Vergleich zum Iran ist unser Umgang miteinander sehr rauh und sehr unfreundlich! Daran musste ich mich erstmal wieder gewöhnen. Ansonsten hat sich meine Vorstellung von der Bedeutung von Religion für Menschen verändert. Im Iran ist die Religion fest in der Gesellschaft und in den Menschen selbst verankert. Damit meine ich gar nicht negative Aspekte, die mit Intoleranz, Diskriminierung oder fundamentalen Einstellungen assoziiert werden könnten, sondern eher eine Art von Spiritualität, Inspiration und Verbundensein. Ich hing vor der Reise dem Vorurteil an, dass jemand, der religiös ist, automatisch auch konservativ ist. Dieses Vorurteil musste ich begraben. Es gibt so viele Spielarten des Denkens - und Religiösität ist in der Regel kein Gradmesser für irgendeine Form der Radikalität.
... und noch drei weitere Bilder von Martina
Autorin / Autor: ~astrid~ - Stand: 18. August 2004