Verzerrter Blick auf Schüler:innen

Eine Studie der Universitäten Zürich und Bern hat bei der Benotung von mehr als 14 000 Neuntklässler:innen in Deutschland erhebliche Verzerrungen aufgedeckt, die mit dem Geschlecht, dem Gewicht, der ethnischen Herkunft und dem sozioökonomischen Status der Eltern zusammenhängen.

Die Noten, die auf Zeugnissen der neunten Klasse Eingang finden, haben ziemlich großen Einfluss auf die spätere berufliche Laufbahn, sie können das Tor zum Erfolg öffnen aber auch schließen. Was, wenn die Noten aber gar nicht den tatsächlichen Wissenstand bewerten, sondern durch Vorurteile verzerrt sind? Dieses Phänomen untersuchten Sandra Gilgen von der Universität Zürich und Richard Nennstiel von der Universität Bern und nutzten dafür Daten aus dem Nationalen Bildungspanel in Deutschland, einer Studie, die seit 2008 sieben Kohorten deutscher Schüler:innen verfolgt hat.

Die beiden Forschenden konzentrierten sich auf eine repräsentative Stichprobe von 14’090 Schüler:innen, die 2010 die neunte Klasse besuchten. Sie verglichen die von den Lehrpersonen vergebenen Noten mit den Ergebnissen standardisierter Kompetenztests und untersuchten, ob einige Schüler:innen einen Vorteil gegenüber anderen hatten. Dazu schauten sich Gilgen und Nennstiel die Faktoren Geschlecht, Body-Mass-Index (BMI), sozioökonomischer Status der Eltern und ethnischer Hintergrund genauer an.

Schlank, Mädchen, wohlhabend: beste Noten

Die Studie bestätigte, dass gewisse Schüler:innen tatsächlich aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Körpergröße, ihrer ethnischen Zugehörigkeit und des sozioökonomischen Status ihrer Eltern bei der Benotung erheblich benachteiligt wurden. Der Trend verstärkte sich sogar noch, wenn Schüler:innen mehrere benachteiligende Merkmale auf sich vereinten. Unabhängig von ihren tatsächlichen Fähigkeiten erhielten sie deutlich schlechtere Noten als ihre Mitschüler:innen.

In allen Fächern außer Chemie

Geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Notengebung waren in allen Fächern außer Chemie festzustellen. Mädchen hatten einen Vorteil in Deutsch, Mathematik und Biologie, während die Jungen in Physik besser abschnitten. Ein höherer BMI war in jedem Fach mit schlechteren Noten verbunden. Schüler:innen aus wohlhabenderen Familien erhielten im Allgemeinen bessere Noten, während solche aus einer ethnischen Minderheit in allen Fächern außer in Biologie schlechter abschnitten.

Die Verzerrungen summierten sich darüberhinaus: Unabhängig von den tatsächlichen Fähigkeiten und Begabungen erhielt etwa ein Junge mit einem hohen BMI aus einer weniger gut situierten Minderheiten-Familie im Durchschnitt schlechtere Noten als ein Mädchen mit niedrigem BMI aus einer privilegierteren Familie ohne Migrationshintergrund.

Voreingenommenheit unter Lehrpersonen weit verbreitet?

Die Forscher:innen konnten zwar keine Rückschlüsse zu den genauen Mechanismen ziehen, die hinter dieser Diskrepanz stehen, dennoch  könnten die Ergebnisse darauf hindeuten, dass Voreingenommenheit bei der Benotung unter Lehrpersonen in Deutschland weit verbreitet ist. Die Forschenden regen deshalb weitere Studien an, um zu untersuchen, warum verzerrte Noten gegeben werden und wie dieses Problem angegangen werden könnte.

Gilgen und Nennstiel fügen hinzu: «Selbst nachdem wir drei verschiedene Kompetenzmaße und den Sekundarschultyp kontrolliert hatten, spiegelten sich in der Benotung noch immer weit verbreitete sich kumulatierende Verzerrungen von Geschlecht, sozialer und ethnischer Herkunft sowie Körpergewicht wider.»

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Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 19. Juli 2024