Stell dir vor

Beitrag zum Wettbewerb green poems von L.K, 17 Jahre

Stell dir vor,
du machst die Augen auf und
siehst das alles zum ersten Mal

Du hast keinen Plan
wo du bist, kennst das hier
nicht und willst nicht dran glauben, dich mit dem
nächsten, faszinierten nach-Luft-schnauben,
immer mehr daran zu gewöhnen,
wie verdammt schön
die Aussicht ist, weil du jetzt schon das Gefühl
vom allerersten, unberührten Anblick vermisst

Stell dir vor, du hast
noch nie zuvor
von „Luft“ gehört und „Wasser“
ist bloß ein Konzept, ja eine
Theorie für dich, ausschließlich
in verbaler, halt einfach nicht realer Form, Stell dir vor,
du weißt nicht, was für ein
Spektakel an Farben entsteht,
wenn die Erde sich von der Sonne weg-
dreht, selbst Wärme kennst du nicht
und Kälte
ist für dich bloß ein leeres Wort,
in einem weiteren Gedicht,
dessen Inhalt du nach dem nächsten
eh wieder vergisst

Bis sich dein Nacken vom
in den Himmel starren versteift,
während weiße,
über den Himmel rollende, Wind folgende
Schlieren, die Grenze zwischen Erde und
Kosmos über dir verzieren und
du dann langsam begreifst, beim Blick in die
weite Endlichkeit, was all das
eigentlich heißt
Im Prinzip, durch
Luft und Wasser, Kohlen- und Stickstoffe,
genau jetzt am leben zu sein,
nach nur einem Wimpernschlag Evolution in
Anbetracht der Geburtsstunde von Zeit

Das hat gereicht
Um der Anomalie des Wassers auf den Grund
und auf der Oberfläche des Mondes zu gehen,
durch uns selbst hin durchzusehen, das
Fliegen zu verstehen und sich Fehler einzugestehen, Gier zum
Anagramm von Wohlergehen zu verdrehen,
und Ausbeutung für Profit mit
Greenwashing-Stickern zu versehen 
Für mehr
Luxus
Mehr Fashion, mehr Fastfood und mehr Verneinung
Mehr Wiesen mit Betonverkleidung
und weniger Über-
blick über die Ethik, damit auch jeder unsere Absicht mitkriegt:
Mehr Geld,
mehr Zeit, mehr von
leicht und egal, wenn laut Statistik eine Erde dafür nicht reicht

Weil, du stellst dir vielleicht vor, dass du
die Augen aufmachst und nicht weißt, wo du bist,
das hier zum ersten Mal siehst
Aber die Wahrheit ist doch, du
kennst das alles schon
Luft ist dein tägliches Brot
und dir ist bekannt, wie
Wasser sich anfühlt, wenn man mit der Hand
Linien darin zieht, Wolken
verzieren deinen Himmel nicht mehr und die Farben, die
entstehen, wenn die Erde sich von der Sonne weg-
dreht, kannst du in deiner horizontlosen Stadt
nicht sehen

Du baust dir
deine eigene Aussicht
Abgebrannte Mono-Felder sind dein Unter-
grund und Kreuzfahrtschiffe und Flugzeuge,
egal was, alles, das prunkt, deine Papp-Untersetzer,
Erdöl nimmst du statt
Kleber, überziehst das ganze mit Schweinswal- Leder
und so bastelst du, wie ein
Kind im Restaurant,
dein Kartenhaus-Labyrinth
Wahnsinn macht dich blind und
du baust einsam und immer höher,
du baust schneller,
deine eigene Welt,
wie ein junger Gott, siehst du mich? Dann fürchte dich!
bis kein Tageslicht mehr durch die
Lücken deiner Mauer fällt und
du dich orientierungslos in der Mitte deiner Festung an
der Größe deines Wahnsinns hälst

Als der Privatjet über dir, bei
zu viel Hitze Funken fängt und lichterloh brennt
Als es so stark regnet, dass du den Boden unter den
Füßen verlierst, und dann eins und eins zusammen addierst:
Mayday-mayday, wir
haben ein Problem und
du kannst den Ausweg nicht sehen,
Tränen verschleiern deine Sicht,
du hast Hunger und du hast Durst
und du trauerst um die Chancen, die auf deinem
Schreibtisch lagen, bis sie eines Tages unter
Geldscheinen begraben waren
und du bereust, dass dir die
Gewöhnung an
das Schöne so selbstverständlich und
deine Heimat für dich wie un-
endlich und langweiliger Alltag war
Weil, das muss ja nicht so sein

Du bringst die
Erde zum beben,
nur diesmal, damit deine Kartenhäuser sich
auseinander bewegen, du
willst dir zum zweiten Mal vorstellen, zum ersten Mal, die
Sonne untergehen zu sehen und
begreifen, was es eigentlich heißt in
Anbetracht der Geburtsstunde von Zeit
nach nur einem Wimpernschlag
hier zu sein
und du hoffst und willst alles dafür tun,
dass es noch lange so bleibt,
mit möglichst wenig Leid, weil
es wäre doch schön, wenn
Das Gute weiter gedeiht und
wir uns prophezeien
könnten, noch lange hier sicher zu sein, auf
einem Planeten,
der uns reicht, und der
nächstes Jahr erneut für uns die Sonne umkreist

Stell dir vor,
du machst morgen die Augen auf
und du tust so, als sähest du das alles zum ersten Mal

Autorin / Autor: L.K.