Erinnerungen an Nimmerland

Beitrag zum Wettbewerb green poems von Sophie S., 25 Jahre

Aus dem Großstadtfenster blickend wird es mir klar.
Ich wünsche mir Kirschbaumblüten,
die riechen wie diese Lollis,
die ich beim Kinderarzt bekam.

Ich wünsche mir runde, glitzernde Springbrunnen
mit eiskaltem Wasser, an denen Rehe vorbeischreiten
während sanfte Harfen-, Violinen- und akustische Gitarrentöne durch die warme Luft spazieren,
etwas verzerrt wie aus einer Schallplatte.

Pfirsichfarbene Engelstrompeten werden von Bienen bestäubt –
all dies mitten in einer Lichtung, fast schon Feld aber immer noch Wald.
Ich erkenne aber schon die Klippen,
Augen fest zusammengekniffen.

Der Kirschgeruch, die Pastellfarben und das Zittern der Melodien
erden mich und trotzdem fühle ich mich benommen.
Alle Formen sind organisch, Kanten existieren nicht.
Granatäpfel zieren die Bäume wie Christbaumkugeln.

Und erinnern an ein menschliches Dasein, an das ich mich gerade noch erinnern kann.

Ich will weg –
weg aus diesem Teil der Stadt.
Ich vermisse das Meer –
jede Sekunde jedes Tages vermisse ich es.
Mit ihm kann ich besser reden als mit allen anderen.
Vor Bergen habe ich immer noch ein bisschen Angst,
obwohl auch Wellen hoch und kantig sein können.
Trotzdem brauche ich dich, lieber Ozean.
Ich bin leer
und abhängig von so vielem.
Ich bin eigentlich nicht ganz leer,
aber es ist als ob mir immer etwas weggenommen wird –
ein bisschen Kindheit und Erinnerungen an die Magie der klaren Nachtluft.
Manchmal bete ich zu Peter Pan.
Er versteht das.
Er holt mich nachts aus der Stadt.
Aber auf dem Weg hinaus falle ich
und laufe zurück in mein Zimmer,
schlafe ein,
wache auf
in einer matten Stadt,
die mich satt macht,
aber nie Appetit gibt.

Und deswegen flirtete ich
mit der Vorstellung dieses magischen Lebens –
fruchtig am Morgen, sandig am Mittag und klar am Abend,
so klar und fordernd wie das Zelt, das sich erst Himmel und dann Zuhause nennt.
Tannennadeln zieren den trockenen Boden auf dem letzteres steht –
vier Heringe das Fundament.
Schau, Orion am Firmament!

Nur dort schmecken meine Lippen süß und salzig zugleich,
meine Haut wird zarter und mein Haar rauer,
die Luft verrät mir wie spät es ist,
Zahlen verlassen meine Realität in jeder Hinsicht.
Wen soll ich bezahlen?
Schulden habe ich nur bei mir selbst, denn beim Analysieren der Zahlen
verlor und vergaß ich.
Und nun trage ich ein Korsett unter meiner Haut, das sich nicht aufschnüren lässt.
Warum wird ein Reh im Wald, eine Muschel im Ozean aber ich
nicht unter dem Himmelszelt geboren?
Fragil, deshalb steril, werden wir in antibakterielles Weiß geboren.
Und ich weiß,
dass wir nie achtzig oder neunzig Jahre alt würden ohne dieses weiße, weiche, reine Laken,
das unsere Mütter und uns vor einer bösen Entzündung schützt.
Aber wieso darf Mama nicht in das Firmament gucken
während ihre Wehen sie sterben lassen wollen –
während sie Leben gebärt?
Wir haben uns abgenabelt
von Tannennadeln, der klaren Luft,
und diese Luft –
sie war einst kälter.
Und so werden wir älter
und Kirschbaumblütenduft schlängelt sich durch die Praxis…