Ein Jahr andersherum
Abitur bestanden und dann? Minna erzählt euch wie es ist, wenn man sich für ein Jahr für ein FSJ (Freiwilliges Soziales Jahr) in Australien entschieden hat. Sie arbeitet in einem Altenheim in der Nähe von Melbourne.
Die letzten 12 Jahre lang hatte ich eine Routine, die sich kaum verändert hat. Ich wusste immer, zumindest so ungefähr, was auf mich zukommt, was von mir erwartet wird. Aber auf einmal stehe ich am Ende dieser 12 Jahre da, mit meinem Abitur in der Hand, und es eröffnet sich eine völlig neue Welt voller Möglichkeiten, aber auch eine Welt mit Ungewissheiten. Die Routinen, die ich mir über die Jahre aufgebaut habe, alles, was so zur Gewohnheit geworden ist, war einfach weg. Und was macht man mit der neu gewonnen Zeit und Freiheit? An die andere Seite der Welt zu ziehen, ist da für mich eine sehr logische Antwort. Deswegen sitze ich jetzt hier in Australien und verfasse diesen Text, um über meine Zeit in Down Under zu berichten und zu zeigen, dass es nicht nur Schule, dann direkt Uni und danach Arbeitsleben gibt.
Gesamtsituation - ein ganz kurzer Rückblick
Vor knapp 3 Monaten bin ich in Australien gelandet. Aber was mache ich hier überhaupt? Eine Frage, die ich mir um ehrlich zu sein, immer wieder stelle. Ganz neutral und faktisch betrachtet, bin ich nach Australien gekommen, um ein IJFD (internationaler Jugend Freiwilligendienst) zu machen. In meinem Fall bedeutet das knapp ein Jahr in einem Altenheim in der Nähe von Melbourne zu arbeiten. Noch konkreter bedeutet das, dass ich bei Tätigkeiten wie Essen anreichen helfe, bei Aktivitäten wie Quizzen und Bingo unterstütze, aber vor allem auch einfach viele Gespräche mit den Senioren führe. Meine drei deutschen Mitfreiwilligen und ich wohnen, arbeiten und bewältigen den Alltag gemeinsam. Wir alle haben dieses Jahr unseren Schulabschluss gemacht, und für uns alle ist es das erste Mal, richtig alleine zu wohnen. Den Alltag nun selbstständig zu bewältigen klappt dementsprechend auch eher mal mehr und mal weniger gut.
Aber wie kommt es, dass ich überhaupt in Australien bin, ein FSJ im Altenheim hätte ich ja auch genauso gut zu Hause machen können, oder?
Ich wollte schon immer nach dem Abi reisen und für mich stand auch recht früh schon fest, dass mir ein paar Wochen zwischen Abi und Uni nicht reichen. Ich wollte eine Pause vom Lernen und Schulstress, wollte aber gleichzeitig auch irgendetwas „Sinnvolles“ machen. Mehr durch Zufall und Glück bin ich dann auf die Seite des IBs (Internationaler Bund) und deren Auslandsfreiwilligenprojekte gestoßen und mit noch mehr Glück habe ich dann auch noch einen Platz bei meinem Wunschprojekt in Australien bekommen. Zu dem Zeitpunkt meiner Bewerbung war nämlich nur noch ein Platz frei. Um so glücklicher war ich, als ich dann nur ein paar Wochen nach dem Kennenlernseminar meine Zusage erhalten habe. Nach noch mehr Seminaren, die uns für unsere Zeit abroad vorbereiten sollen, sowohl online als auch eine Woche in Präsenz, ging es für mich dann Anfang August endlich nach Melbourne, Australien!
Ein neuer Anfang
Die ersten paar Tage in meinem neuen Zuhause waren einfach nur absurd und überwältigend. Angefangen damit, dass ich direkt, nachdem ich vom Flughafen abgeholt wurde, weiter zum Altenheim gefahren bin und mir eine kleine Tour gegeben wurde. Alleine, dass ich auf dem Rückweg vom Flughafen auf der linken Straßenseite gefahren bin und statt Amseln Papageien durch die Luft flogen, hat mir gezeigt, dass ich jetzt wirklich in Australien bin. Nach meinem Flug war ich dann aber doch ziemlich durch. Da hat auch kein Iced Latte aus dem altenheimeigenen Café geholfen. Völlig fertig, aber immerhin frisch geduscht, bin ich am selben Tag, diesmal aber abends, nochmal zum Flughafen, um meine Mitfreiwilligen abzuholen. Die paar Tage danach haben wir alle genutzt, um erstmal anzukommen, aber natürlich war die Neugier größer als die Müdigkeit. Deshalb habe ich mir keine Zeit genommen, um Pause zu machen und bin stattdessen erstmal an den Strand gefahren und habe mit meinen Mitbewohner:innen Melbourne erkundet. Nach unseren paar freien Tagen wurden wir dann auch schon in unser Arbeitsleben eingeführt.
Freie Zeit oder doch eher Freizeit?
Natürlich bin ich nicht nur zum Arbeiten hier, auch wenn eine 40h Woche doch schon einen ganz schön großen Teil meines Lebens hier einnimmt. Ich habe mich mit meinen Housemates zwar schon relativ am Anfang fürs Gym angemeldet, aber das war auch erstmal so das Einzige, was wir unter der Woche gemacht haben. Je mehr man sich an den Arbeitsrhythmus gewöhnt, desto einfacher ist es auch nach den 8 Stunden Arbeiten trotzdem noch die Energie aufzubringen andere Sachen zu machen. Ich habe auch erst vor kurzem angefangen, das so wirklich zu tun. Das liegt vor allem auch daran, dass sich mittlerweile hier so ein Alltagsgefühl eingestellt hat und sich auch richtige Freundschaften bei mir entwickelt haben, nicht nur zwischen mir und meinen Mitfreiwilligen. Ich bin jetzt an einem Punkt, wo ich sagen kann, dass ich zumindest schonmal eine wirkliche Freundschaft außerhalb des Freiwilligenkreises geschlossen habe. Und da bin ich auch unfassbar dankbar für. Da das Wetter mittlerweile endlich besser ist, werden Trips zum Strand unter der Woche immer häufiger, und ich war jetzt auch schon mehrfach einfach mal so in Melbourne. Ich bin ein großer Fan dieser Metropole, die nicht umsonst zu einer der lebenswertesten Städte der Welt ausgezeichnet wurde. In dieser Stadt kannst du theoretisch fast alles machen, was du willst. Ich persönlich bin ein besonders großer Fan des melbournischen Kaffees und der Kunstszene.
Die richtig spannenden Sachen passieren aber eigentlich immer am Wochenende. So war ich schon mit meiner WG und der Freundesgruppe einer Arbeitskollegin auf der Mornington Peninsula campen, meine Mitbewohner und ich haben einen Roadtrip entlang der Great Ocean Road gemacht und wir sind nach French Island rübergefahren. Koalas und Kängurus wurden tatsächlich auch schon mehrfach gesichtet. Für mich ist und bleibt das aber jedes Mal noch etwas sehr Besonderes. Es ist unfassbar, wie groß und muskelbepackt Kängurus sind, denn so süß sind die von nahem nämlich nicht mehr. Da ist es besser, wenn man diese so faszinierenden Tiere aus einer sicheren Entfernung beobachtet. Besonders absurd war aber als eine Nachbarin vom Altenheim mit einem Babykänguru durch die Tür des Cafés spaziert ist, weil sie dieses gerade aufpäppelt. Begegnungen mit Spinnen und Schlangen halten sich dafür aber in Grenzen. Es ist tatsächlich nur ein Mythos, dass einem überall gefährliche Tiere im Weg liegen. Ich habe in meinen drei Monaten genau eine Schlange gesehen und bin von großen Spinnen, zumindest noch, verschont worden. Moskitos und andere Insekten sind da viel penetranter und nerviger.
Gefühlsverlagerung
Und was ist mein Fazit? Ich muss sagen, am Anfang war erstmal alles super, auch wenn ich mega nervös war, vor allem was die Arbeit anging. Man merkt, dass man Menschen nochmal auf einer ganz anderen Ebene nahekommt und wie fragil das Leben selbst auch sein kann. Auch wenn die Arbeit kognitiv nicht besonders fordernd ist, ist es psychisch um so anstrengender. Man kriegt einen ganz tiefen Einblick in die Schicksale Einzelner. Und trotzdem ist es ein Job, wo einem so viel Liebe und Dankbarkeit zurückgegeben wird. Alleine, dass ich mir die Zeit nehme und nehmen kann, mit Einzelnen zu reden, kann schon eine so große Bereicherung für die Senioren sein. Ich habe schon so viele Gespräche führen können und dadurch auch Senioren wirklich ins Herz geschlossen. Eine Omi, die ich jeden Morgen, nachdem ich beim Frühstück geholfen habe, besuche, hat mir z.B. heute einen selbstgebastelten Anhänger geschenkt „der für Leute ist, die sie lieb hat“. Natürlich versteht man sich nicht immer mit allen Bewohnern so gut, aber Momente wie diese bleiben einfach in meinem Herzen. Was ich auch gemerkt habe, ist, dass meine Berührungsängste, oder eher -unsicherheiten, viel weniger geworden sind. Denn es wird auch viel, vor allem in der Demenzstation, über körperliche Nähe kommuniziert. Umarmungen und ähnliches werden einfach genutzt, um zu zeigen, dass man für die Person da ist.
Was mein persönliches Leben so nach der Arbeit angeht, hat sich nichts und trotzdem alles verändert. Zu Beginn hat sich alles eher nach Urlaub angefühlt und das tut es manchmal immer noch. Ich glaube, es ist aber auch ganz normal, dass es eine Weile braucht bis man so richtig realisiert, was hier eigentlich alles passiert. Vielleicht realisiere ich das ganze auch erst, wenn ich wieder zurück in Deutschland bin.
Falls du selbst mal zu einem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) in die Ferne möchtest, sind hier ein paar Links für dich
- Internationaler Jugend Freiwilligendienst (IJFD)
Der IJFD des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist neben anderen Programmen eine zusätzliche Möglichkeit des freiwilligen Engagements junger Menschen bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres. - Weltwärts - Programm zur Finanzierung eures FSJ
Mit weltwärts von Engagement global könnt ihr für eine längere Zeit in einem Land in Afrika, Asien, Lateinamerika, Osteuropa oder Ozeanien leben und euch dort in einem Projekt engagieren.
Das Programm wird finanziert durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). - Internationale Jugendgemeinschaftsdienste
Hier kannst du dich über weitere weltweite Freiwilligendienste in über 50 Ländern informieren.
Autorin / Autor: Text und Bilder: Minna - Stand: 9. Januar 2025