Und die Welt ist meine Beute

Einsendung zum Schreibwettbewerb Dr. Futura im Wissenschaftsjahr Gesundheitsforschung

„Meine sehr verehrten Damen und Herren, heute Abend haben wir eine Hybrid-Transkribierte der I. Generation bei uns.“ -Dramatische Pause.- „Die exklusiv und nur bei uns live die Wahrheit und einige Hintergründe erläutern wird und die Wahrheit über das, was mit unseren Genen wirklich möglich ist. Bitte heißen Sie Jade Swansborough herzlich Willkommen.“
Er breitet die Arme aus, die in seinem geleckten Anzug stecken, während ich den Raum betrete und sofortige Stille einkehrt. Sie drückt stärker auf meine Ohren als jeder Lärm es könnte.
"Jade, Sie sind noch sehr jung und dennoch stellten Sie sich damals für die Forschung freiwillig zur Verfügung.“
Ich erinnere mich daran, wie die Männer mich in das schwarze Auto verfrachteten, während meine Eltern teilnahmslos zusahen. Ich habe geschrien, gebettelt und getobt. Ich habe versucht sie umzustimmen, doch sie standen lediglich mit glasigem Blick daneben, erfreut über die Aufstiegschance in der Gesellschaft, die sie durch meinen Verkauf bekamen und ansonsten nie bekommen hätten. An diesem Tag wurde ich von einem Menschen mit „Rechten“ gefühllos zu einem Forschungsobjekt degradiert.
*„Korrekt.“*
„Sie sind in unserer Gesellschaft eine sehr kleine Gruppe, die sich Hybrid-Transkribierte nennen, deren DNA mit anderen Organismen gepaart, beziehungsweise verbessert wurde. Haben Sie Ihre Entscheidung aufgrund der Komplikationen und herrschenden Vorurteile bereut?“
Ich lächle und entblöße dabei meine Reißzähne, was den sonst so selbstsicheren Moderator sichtlich verunsichert. Ich spüre das durch die neuen, feinen, sich unter meiner Haut befindlichen Härchen, die niemand sieht, die aber da sind. Ich rieche das durch die Nase einer Raubkatze, die zwar noch eine menschliche Form hat, aber tatsächlich „tierisch“ ist.
*„Nein. Ich bereue nichts.“* Dabei denke ich an die Schreie, die Schmerzen, die Angst, die kalten und sterilen Apparaturen, die unzähligen, künstlich gezüchteten in Reagenzgläsern schwimmenden Organe, die wie ein Mahnmal um uns herum positioniert waren. *Ich verstehe, dass die Menschen Angst haben“* fahre ich mit meiner einstudierten Rede fort. Ich sage, was sie hören wollen, aber ich denke, was ich fühle. *"Weil wir anders sind. Doch ich glaube, dass das lediglich dem fehlenden Informationsfluss zuzuschreiben ist. Nach einer Weile werden Sie alle feststellen, dass wir immer noch Menschen sind, wir noch genauso fühlen, denken, atmen und sprechen wie vor dem Eingriff. Wir sind genau dieselben, lediglich unsere DNA wurde leicht verändert.“*
Ich unterdrücke den Impuls meine Augen zu schließen, damit ich nicht sehe, wie sie mir bei vollem Bewusstsein meinen lebensspendenden Teil herausschneiden, während der neue eingesetzt wird. Das synthetisierte und kopierte Herz des schwarzen Pantherweibchens Mara, die in den qualvollen Monaten meine einzige Freundin war. Sie hatten uns miteinander bekannt gemacht und mir erklärt, dass wir bald für immer zusammen sein würden, aber ich verstand das nicht. „Sie meinen die DNA eines Pantherweibchens? Wie können unsere Zuschauer sich diesen Vorgang vorstellen? - Was können Sie nun, was vorher nicht ging?“
Mara war für sie auch nur eine Zahl, ein Forschungsobjekt, so wie ich. Sie synthetisierten ihre DNA-Informationen für die Bauanleitung des Herzens, der Nase, der Augen, allen damit verbundenen Funktionen und noch so vielem mehr. Sie überschrieben ihren DNA-Strang nun mit einem mRNA-Strang, der sich an den codogenen anlagerte. Das ist nichts anderes als eine Kopie von Phosphorsäuren, Zucker, Basenpaaren, Wasserstoffbrücken und anderem fachchinesischem Zeug, das man am Ende DNA nennt. *„Ich habe eine Transkription ihrer DNA erhalten. Daher auch unser Name: `Transkribierte´. Vor ca. hundert Jahren war das noch nicht möglich, zumindest nicht in dieser Form. Es war möglich, einzelne Pläne, der sich in der DNA befindenden Bauanleitung, zu kopieren und irgendwo einzusetzen. Doch die Organe versagten, weil der Körper sie abstieß. Irgendwann funktionierte dieses Verfahren von Mensch zu Mensch. Da Tier und Mensch nicht kompatibel sind, dachten alle vom Fach, könne auf dieser Ebene niemals ein Austausch von DNA stattfinden. Alle Theorien sind widerlegt. Ich bin der lebende Beweis.“* Ich schenke ihm und der Menge meinen Raubtierblick. *„Jetzt im 22. Jahrhundert kann ich alles, was zuvor die DNA des Panthers konnte.“* Mara konnte vieles. Voller Anmut und Stärke zeigte sie jedes Mal Zähne, wenn sie uns trennen wollten. *„Ich sehe, wenn es dunkel ist und menschliche Augen blind und nutzlos sind. Ich höre, selbst wenn es jemand in großer Entfernung flüstert...“*...und ich spüre wie das Publikum vor Angst erbebt, rieche, wie sie alle schwitzen und weiß, dass ich mich bloß meinen Trieben hingeben müsste, um sie alle sofort zu reißen. Als sie anfingen mit diesen Versuchen, haben sie noch alles wild durcheinander gekreuzt. Die Kiemen eines Fisches in den Jungen eingesetzt, der daran erstickte. Drei Arme, drei Beine und drei Augen für die schon runzelige Frau, nur um zu sehen, was passiert und um zu demonstrieren, dass sie es konnten. Nur um zu beweisen, dass sie Gott sind. Wenn die Kamera-Teams und Investoren vorbei schauten, zeigten sie ihnen einige züchtige, gelungene Fortschritte, die nichts mit den richtigen Experimenten zu tun hatten. Mit solchen, die unsere Körper zerstörten, unsere DNA transformierte und unsere Persönlichkeit stahl. Die anderen sahen nur das, was sie sehen sollten. „Wie wurde diese Inkompatibilität zwischen Mensch und Tier behoben?“ *„Ich nenne es mal Berufsgeheimnis. Wir sind bisher die einzigen, denen das gelungen ist. So soll es auch bleiben. Allerdings können Sie sich die Verbindungen zwischen diesen beiden DNA-Typen in etwa wie einen Adapter vorstellen.“* Maras Fell ist samtig und weich. Ihr Körper warm, muskulös und voller Kraft strotzend unter meinem. Jetzt bin ich dies. Ich bin ein Mensch, war es, weiß nicht, was ich inzwischen bin. Ich weiß nicht, was die Tausende von Menschen in mir sehen, wenn sie mich per Übertragung dieses Interviews anblicken.
„Wie wird mit diesen legendären Fortschritten weiter verfahren?“
Sie werden Kinder aus ihren Familien reißen, wenn es keine Freiwilligen gibt. Diejenigen, die doof genug sind, sich zu melden, weil sie glauben, dass es cool sei, so zu sein, werden erniedrigt, untersucht, aufgeschnitten, genmanipuliert, transformiert und sich wünschen, niemals geboren zu sein. *„Leider bin ich nicht befugt, darüber Auskünfte zu erteilen“*, merke ich bittersüß an. Ich frage mich, was passiert, wenn sie herausfinden, dass ich eine Mutation bin. Ein Fehler, in ihrem sonst so säuberlichen System. Ich bin etwas, von dem niemand weiß, dass ich es sein kann. Wenn ich in den Spiegel schaue, erkenne ich mich nicht mehr. Mir guckt ein Wesen entgegen, mit dem ich mich nicht identifiziere und wenn ich versuche, mich darin zu finden, gelingt es mir nicht. Da sind spitze schwarze Ohren, etwas höher angesetzt, als menschliche, schlitzige Katzenaugen und das Lächeln eines Raubtiers mit scharfem Gebiss und Reißzähnen für seine Beute. Für die Forscher und das Institut bin ich ein erfolgreicher Versuch. Spiel. Satz. Sieg. Für die Menschen bin ich ein Monster. Ein Makel in ihrem sonst so perfekten Weltbild.
„Eine letzte Frage noch, Jade, wenn Sie gestatten?“, ich nicke. „Was glauben Sie, würde Gott zu diesen Eingriffen sagen?“ *„Seit Jahrzehnten ist die Nicht-Existenz Gottes wissenschaftlich bewiesen.“* „Dennoch glauben einige an ihn. Heißt das nicht, dass er noch existiert? Würden sie sich noch als ein...“, er bleckt die Zähne, „Geschöpf Gottes ansehen?“ Wenn ich meine Existenz betrachte, weiß ich, dass dies von keinem Gott je gewollt sein kann, denn manchmal, wenn ich ganz genau hinschaue, blickt mir das verzerrte Abbild eines Albtraums entgegen. Die Albträume sind in meinem Kopf, in meinem ganzen Sein verankert. Doch nicht deswegen, was SIE mir angetan haben und wie sie jeglichen ethischen und moralischen Grenzen trotzen, sondern weil ich spüre, dass ich selbst das Ungeheuer bin. Ich selbst bin der Albtraum; zum Jagen erschaffen, zum Überleben geboren, denn das haben sie aus mir gemacht; ein Raubtier mit Instinkten, schwarz wie die Nacht. Mit der Zeit werde ich vergessen, dass ich nur eine Kopie bin. Dann bin ich nur noch eines, eine Jägerin: Und die Welt ist meine Beute, sie ahnt es nur noch nicht.

Autorin / Autor: Charlene Sander, 18 Jahre